Medienschau

"Die AfD ist die Rache des Ostens"

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Ólafur Elíassons Kirchenfenster in Greifswald, postkoloniales Denken nach dem 7. Oktober und Wahlanalyse mit Frank Castorf: Das ist unsere Presseschau am Freitag


Debatte

Der Theaterregisseur Frank Castorf (73) glaubt die Motive von Wählerinnen und Wählern der Alternative für Deutschland (AfD) zu kennen. "Ich denke, sie sind angetrieben von einem ganz einfachen Gedanken. Die AfD ist die Rache des Ostens", sagt der 73-Jährige in einem Interview der "Berliner Zeitung". Dass die AfD auch außerhalb Ostdeutschlands recht gute Ergebnisse einfährt, ignoriert Castorf an der Stelle. "Es ist ja auch ein Skandal: Wer leitet die Redaktionen, Theater, Museen, Hochschulen, wer sitzt den Gerichten vor?", fragt Castorf in dem Interview weiter. "Christoph Hein hat zutreffend beschrieben, wie die Westprofessoren, die zu Hause keine Posten abbekommen haben, aus der zweiten Reihe in die offene Wunde Ostdeutschlands stießen." Rache löse "den pawlowschen Reflex auf der anderen Seite aus". Er finde das nicht gut, so der 1951 in Berlin (Ost) geborene Castorf: "Man schämt sich ein bisschen, dass so gewählt wird, aber man kann es ihnen doch nicht verbieten. Der Zustand gefällt mir nicht, aber ich kann nichts dazu sagen, weil ich keine richtige Lösung sehe." Er habe "etwas Hoffnung, wenn ich nach Frankreich und die Front Populaire blicke, dass linke Kräfte wieder erstarken können". Der frühere Intendant der Volksbühne Berlin (1992 bis 2017) äußert sich in dem Gespräch auch über die Demos gegen rechts, die Anfang des Jahres stattfanden und an denen auch führende Politiker der Ampel-Koalition wie Bundeskanzler Olaf Scholz oder Außenministerin Annalena Baerbock teilnahmen. "Die vielen, die gegen rechts, oder was sie dafür halten, auf die Straße gehen, erinnern mich mehr an die Demonstrationen zum Tag der Republik und zum 1. Mai in der DDR", sagt Castorf, "wo alle Erich Honecker, der tatsächlich bei den Nazis im Zuchthaus in Brandenburg gesessen hat, mit ihren roten Fahnen zugewinkt haben und dann schnell abgebogen sind, um einen schönen freien Tag zu haben. Nach dem Motto: Ich mach, was ihr wollt, aber ansonsten leckt mich am Arsch."

In der Ära des Doxxing und Cancelns möchte niemand der nächste Blitzableiter des Kulturkriegs sein, beobachtet Travis Diehl im "Spike Art Magazine". Aber wenn Kunst nichts mehr riskiert, für wen wird sie dann gemacht? Wer ist das Publikum? Offenbar versteckt man sich immer mehr in Nischen. "Kein Risiko, aber auch keine Dringlichkeit. Wenn die zeitgenössische Kunst seit dem 11. September einen sozialen Zweck hatte - abgesehen von ihren revolutionären Verkaufsargumenten -, dann war es der, immer kleinere Clubs des Eigeninteresses zu definieren. In gewisser Weise haben Kunstmuseen und -magazine schon immer so funktioniert. Das Projekt der Moderne versuchte, die Kunst zu universalisieren, und politische Spannungen treiben die Menschen regelmäßig dazu, auf festen, unversöhnlichen Positionen zu beharren. Es kann sich so anfühlen, als ob die Community selbst in Gefahr ist. Aber es gibt keine monolithische Kunst-Community, sondern vielmehr Communities, die ineinandergreifen, sich überschneiden und nicht übereinstimmen. Biete eine gute, warme Idee an, und jemand wird kommen."

Der Journalist Jens Balzer hat mit "After woke" einen Essay über postkoloniales Denken nach dem 7. Oktober geschrieben, das Buch wird in der "SZ" von Felix Stephan besprochen. Der hält fest, dass Balzer zwar ungnädig das Versagen der angeblich achtsamen Linken feststellt, aber doch noch etwas retten will: "Wenn man also postkoloniales Denken im habermasschen Sinne als Verfahren betrachte, eine Infrastruktur für 'notwendige Voraussetzungen kommunikativen Handelns' zu schaffen – also eine respektvolle Auseinandersetzung zwischen Menschen mit unterschiedlichen Biografien, Erfahrungshintergründen und gesellschaftlichen Positionen ermögliche –, dann ließe sich Jens Balzer zufolge der liberaldemokratische Kern der 'Wokeness' wieder freilegen, ohne in den Abschaffungsjubel jener Akteure zu verfallen, denen die angewandte Diskursethik ohnehin schon immer ein Dorn im Auge gewesen ist."

Malerei

Im Greifswalder Dom wurde im April das Osterfenster von Ólafur Elíasson eingeweiht. Es schimmert in zahlreichen Farbtönen und zeigt die Verbundenheit der Stadt mit Caspar David Friedrich: Die Idee Friedrichs, "das Licht selbst als Medium der Verkündigung an die Stelle figürlicher Malerei treten zu lassen, musste zweihundert Jahre lang auf ihre Umsetzung warten", schreibt Jan Brachmann in der "FAZ". Und hält das Ergebnis für gelungen: "Die Domgemeinde ist begeistert von dem Entwurf. Er arbeite mit traditionellen Fertigungstechniken und sei doch technisch raffiniert. Das Zusammenspiel zwischen Buntglasfenstern und Spiegelanlage gäbe es nicht noch einmal in Europa. Allein in den ersten vier Wochen nach dem Gottesdienst zur Einweihung der neuen Fenster seien achttausend Besucher außerhalb der Veranstaltungen in den Dom gekommen. Der farbige Atem des Glases zieht die Menschen an."