Atelier-Hopping mit Anne Imhof, ein Kinofilm über den Alltag einer Bildhauerin und Jan Delay liebt kulturelle Aneignungen: Das ist unsere Presseschau am Mittwoch
Debatte
Die nächste Künstlerische Leitung der Documenta wird sich nicht auf einen Verhaltenskodex verpflichten müssen, wie am Dienstagabend bekannt wurde. Jörg Häntzschel kommentiert für die "SZ": "Um es gleich vorwegzunehmen: Glücklich werden die Neuerungen wohl keine der beiden Seiten in der polarisierten Debatte machen. Weder diejenigen, die von der 'Antisemita' sprachen, sie als Speerspitze eines von Israelhass durchdrungenen Kulturbetriebs verstanden und nur zwei Möglichkeiten sahen: das Ende oder einen radikalen Neuanfang. Noch die, die, angeführt vom ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten und Bundesfinanzminister Hans Eichel, unter dem Slogan 'Stand with Documenta' auch milde Reformen als unwiderruflichen Todesstoß nicht nur für die Ausstellung, sondern auch für die Kunstfreiheit strikt ablehnten. Doch auch der Zwist zwischen Hessen und Kassel auf der einen und Kulturstaatsministerin Claudia Roth auf der anderen Seite - sie bekam damals einen Großteil der Wut ab, obwohl sie bei der Documenta nur wenig zu sagen hatte - scheint am Dienstagabend nicht vollends befriedet."
Porträt
Christof Siemens porträtiert in der "Zeit" den britischen Landschaftskünstler Andy Goldsworthy, der Kunstwerke im Zusammenspiel mit Naturmaterialien und der natürlichen Umgebung schafft - jetzt auch im niedersächsischem Nieheim: "Und das ist die Idee: Am Rand links und rechts der Rinne wurden 1.100 Weißdornbüsche gepflanzt, die nach wenigen Jahren oberhalb des Grabens zusammenwachsen und eine Art Gewölbe bilden werden. So entsteht ein menschenbreiter, menschenhoher Gang den Hügel hinauf, dem Licht entgegen."
Interview
Tobias Timm hat für die "Zeit" mit Anne Imhof eine Art Interview-Staffellauf durch verschiedene Ateliers der Künstlerin und ihre Wohnung gemacht. Sie sprechen über neue Bilder, Pläne, LA als Zweitheimat, Todessehnsucht - und Politik: "Ich beschäftige mich mit Politik, aber spreche darüber lieber nur in privaten Zusammenhängen. Ich mache Kunst und versuche über die Kunst zu vermitteln, was ich wichtig finde. Es lässt mein Blut gefrieren, dass in jüngster Zeit aus politischen Gründen Veranstaltungen und Ausstellungen abgesagt wurden. Wenn es nicht mehr möglich ist, einen Diskurs zu führen, dann ist alles zu Ende."
Jan Delay kann mit dem Vorwurf sogenannter "kultureller Aneignung" nichts anfangen. Sein gesamtes Schaffen sei ohne fremde musikalische Einflüsse undenkbar, sagte der Hamburger Musiker dem Magazin "Playboy" in seiner Printausgabe. "Das, was mich zur Musik gebracht hat, nämlich diese ganze Hip-Hop-Kultur, die besteht nur aus kultureller Aneignung. Du kannst dir im Hip-Hop aus jeder musikalischen Kultur der Welt, aus jeder Epoche die Musik sozusagen aneignen und mit deinen eigenen Ideen zu etwas Neuem vermischen", erläutert der Sohn der bildenden Künstlerin Dörte Eißfeldt. "Mein Leben besteht nur aus kultureller Aneignung. Solange man weiß, wo es herkommt, und die Leute feiert, die es erfunden haben, so lange ist doch alles toll."
Museen
Bevor das Centre Pompidou für fünf Jahre schließt, proträtiert Matthias Krupa das Pariser Museum in der "Zeit" und macht Lust auf die Zukunft: "Denn obwohl das Haupthaus schließt, soll die Kunst auf keinen Fall ruhen. Im Gegenteil: 'Diese Schließung verschafft uns die nie dagewesene Gelegenheit, das Centre Pompidou noch einmal zu erfinden', sagt Laurent Le Bon, sein Direktor. 'Wir möchten aus der Zeit, die vor uns liegt, eine Zeit der Neugründung machen.' Neugründung, refondation – fast klingt der Kunsthistoriker wie Emmanuel Macron, der Präsident, der auch ständig etwas neu gründen will. Tatsächlich hat Macron ihn vor drei Jahren an die Spitze der nationalen Einrichtung berufen.
Die Ausstellungsräume des Hammer Museum und das Museum of Contemporary Art in Los Angeles werden in diesem Jahr nicht wie bislang runtergekühlt. Die beiden Häuser gehören zu den Institutionen, die am Climate Impact Program teilnehmen, das von PST Art, der Kunstinitiative des Getty, früher bekannt als Pacific Standard Time, ins Leben gerufen wurde, schreibt Kaitlyn Huamani in der "Los Angeles Times": "Ziel des Programms ist es, Galerien und Institutionen zu ermutigen, ihre Umweltauswirkungen zu minimieren, indem sie Werkzeuge zur Verfügung stellen, mit denen sie 'Klimakompetenz' erreichen können. Einige teilnehmende Museen überdenken, wie sie die typischen Klimatisierungsstandards in Ausstellungsräumen lockern können, um Energie zu sparen."
Film
Regisseurin Kelly Reichardt zeigt in ihrer Komödie "Showing Up" den Alltag einer Bildhauerin. In der "taz" spricht sie mit Thomas Abeltshauser unter anderem über Beharrlichkeit: "Meine Art Filme entstehen nur, weil ich trotz aller Widrigkeiten immer weitermache. Kino ist eine teure Kunst, auch wenn es durch die Digitalisierung demokratischer wurde. Und wenn man einen Film fertig hat, gibt es in der Regel Festivals, die ihn zeigen wollen. Eine bildende Künstlerin hat ein solch eingebautes Publikum nicht automatisch, sie kreiert erst mal für sich in einem Studio. Auch darum ging es mir in „Showing Up“. Wenn man den Impuls hat, etwas zu erschaffen, und jeden Tag aufwacht und daran arbeitet, ob man nun einen anderen Job hat oder nicht, und wenn dieses Kunstmachen wie Essen oder Atmen ist, aber es gibt dafür kein Publikum – was ist das für eine Erfahrung, wie geht man damit um?" Für den "Tagesspiegel" bespricht Esther Buss den Film: "'Showing Up' ist, anders als Filme über Bildhauer und Maler üblicherweise, kein Künstlerroman über Schaffen und Leiden eines Genies. Kelly Reichardt entwirft vielmehr eine 'kleinformatige' Künstlerinnenerzählung, die ihr regionalistisches Projekt, auf die großen (amerikanischen) Erzählungen mit Beobachtungen des Peripheren zu antworten, auf etwas intimere Weise fortsetzt."
Kunstmarkt
Ein Monet- und ein Renoir-Bild gehören zu 40 gefälschten Gemälden, die auf eBay zum Verkauf angeboten werden und nun vom Schweizer Start-up Art Recognition identifiziert wurden. Die Gründerin Carina Popovici (hier im Monopol-Interview) erzählte dem "Guardian", "sie habe modernste Technologie der künstlichen Intelligenz auf Bilder angewandt, die auf der Online-Plattform angeboten wurden, und sei schockiert gewesen, als sie feststellte, dass viele von ihnen mit 'hoher Wahrscheinlichkeit' nicht echt seien. 'Wir haben uns heute einige Bilder angesehen und heruntergeladen, und es waren überall Fälschungen dabei. Alles, was wir analysiert haben, stellte sich als unechte Kunst heraus, mit einer negativen Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent. Ich bin sicher, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist.'"
Literatur
Die Malerin Eliška Bartek erzählt in "Und vor mir ein ganzes Leben", ihrem ersten Roman, eine drastisch-komische Lebensgeschichte eines Mädchens aus gutem Hause, das nach dem Einmarsch der Russen in Prag beschließt, ihrer Heimat unter Lebensgefahr den Rücken zu kehren. Der Ex-Verleger Michael Krüger bespricht das Buch in einem Gastbeitrag für die "SZ". "Manchmal hatte ich den Eindruck, ein weibliches, emotional aufgeladenes Gegenstück zu dem Roman 'Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins' ihres tschechischen Landsmanns Milan Kundera zu lesen. Nicht nur die Orte - Prag und Zürich - erinnern an Kundera, sondern auch die vielen vergeblichen Versuche, der Liebe aus dem Weg zu gehen. Kunderas essayistische, philosophische Überlegungen zum 'haltlosen' Leben seiner Hauptfiguren Tomas und Tereza werden bei Eliška Bartek ins Leben zurückgeholt. Trotz aller Niederlagen, Enttäuschungen, Demütigungen und Unerträglichkeiten bleibt es ein kämpferisches Leben."