Medienschau

"Ihre Originalität würde alles andere in den Schatten stellen"

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Der deutsche Kunstbetrieb ein Jahr nach dem Hamas-Massaker, Gerhard Richter seit 21 Jahren auf Platz eins im Kunstkompass, und Henrike Naumann bringt sich als Merkel-Porträtistin ins Gespräch: Das ist unsere Presseschau am Montag

Debatte

Vor einem Jahr fand der Überfall der Hamas auf Israel statt, in Deutschland wird weiter um den Umgang mit dem Nahostkonflikt und Antisemitismus im Kulturbetrieb gestritten. "Während seit Monaten um eine Antisemitismusklausel gerungen wird, die die staatliche Unterstützung antisemitischer Kunst verhindern soll, wird in Deutschland ständig antisemitische Kunst gefördert", behauptet die Schriftstellerin Dana von Suffrin in einem "Spiegel"-Gastbeitrag. "Deutschen Künstlern, Autoren, Theatermachern verleiht Palästina einen Hauch von Revolution, einen progressiven Anstrich." Die Angst vor Einschränkungen der Kunstfreiheit kann sie nicht nachvollziehen: "Wenn man es zynisch formulieren möchte: Wenn das Hamas-Massaker und der Krieg in Gaza ein Gutes hatten, dann, dass das Selbstbewusstsein einer ganzen Generation Künstler gestärkt wurde. Hier wurde eine neue Identität geschaffen und ein neuer Markt erobert, Leute werden buchstäblich dafür bezahlt, dass sie auf Podien und in Talkshows sitzen und sich darüber beklagen, dass sie jetzt nichts mehr sagen dürfen. Seit dem 7. Oktober scheinen sich Künstlerinnen und Künstler ausgerechnet dann bedroht zu fühlen, sobald sie für antisemitische Äußerungen kritisiert werden."

Kunstgeschichte

Drei für van-Gogh-Originale gehaltenen Bilder hat das Van Gogh Museum in Amsterdam zu Fälschungen erklärt, berichtet Stephan Koldehoff in der "Zeit". Wie er herausgefunden hat, gehört eines der Gemälde der Schauspielerin und Sängerin Barbra Streisand. Sie "hat in ihrem vielleicht schönsten Lied überhaupt, The Way We Were, einst 'misty watercolour memories' besungen. Die trübseligen Erinnerungen an den fälschlicherweise als echt gekauften van Gogh nun werden nicht an ein Bild sein, das mit Wasserfarben gemalt wurde, sondern in Öl."

Kunstberichterstattung

Stefan Trinks hat für die "FAZ" "durchgängig propalästinensische Einträge" im Kunstmagazin "Hyperallergic" zusammengestellt. "Das Portal strotzt von sprachlichen Klitterungen in den Überschriften und Texten zum Nahostkrieg." Das Fehlen empathischer Berichterstattung mit den Opfern des 7. Oktobers fällt ihm in den ersten Wochen ins Auge. Später dann Meinungsstücke wie das zu einem Vorfall in Berlin: "Als rund drei Dutzend Pro-Palästina-Demonstranten eine Performance der kubanischen Dissidentenkünstlerin Tania Bruguera im Hamburger Bahnhof Berlin niederbrüllen und stoppen, kommentiert Hyperallergic zynisch: 'Es handelte sich um eine hundertstündige Lesung von Hannah Arendts Elemente und Ursprünge des Totalitarismus, sodass die Demonstranten reichlich Zeit hatten, einzugreifen. Wie in letzter Zeit in Deutschland üblich, wurden die Dinge sofort kompliziert und absurd.' Der letzte Satz bezieht sich auf das legitime Eingreifen von Museumsmitarbeitern. Von den Aktivisten, die auch 'From the River to the Sea' riefen, werden die Künstlerin wie auch der Museumsdirektor Sam Bardaouil als 'Rassisten' und die ebenfalls anwesende Mirjam Wenzel vom Jüdischen Museum Frankfurt als 'Zionistin' beschimpft."

Reportage

Für die aktuelle "Spiegel"-Ausgabe und online hat Ulrike Knöfel die Künstlerin Henrike Naumann nach Chemnitz begleitet, wo die 39-Jährige mit einer Performance ein nach der Wende verborgenes Wandgemälde ihres Großvaters, dem Maler Karl Heinz Jakob, in eine Art Tableau vivant hat auferstehen lassen. "'Mein Lebensziel ist es, es eines Tages wieder freizulegen', sagte Naumann über das Bild, als sie die Gäste begrüßte. Das so zu äußern, ist fast mutig. Denn mehr als Architektur oder andere kulturelle Hinterlassenschaften des Landes ist die Kunst der DDR wegen ihrer damaligen Staatsnähe nach wie vor ein Tabu." In dem Artikel erfährt man auch, dass Henrike Naumann sich ins Spiel bringt, das noch ausstehende Kanzlerinnenporträt von Angela Merkel zu schaffen, "als Frau aus dem Osten der Republik". "Für Merkel wäre es ein Risiko, sie zu beauftragen. Üblich sind in der Kanzlergalerie schmeichelhaft gemalte Bildnisse. Naumann ist weder Malerin noch eine Künstlerin, die schmeichelt. Sicher wäre: Ihre Originalität würde alles andere in den Schatten stellen."

Ranking

Der Maler Gerhard Richter (92) wird im Ranking "Kunstkompass" unverändert als weltweit wichtigster Künstler geführt. Seit nunmehr 21 Jahren behauptet der in Köln lebende Maler unangefochten die Spitzenposition in dem seit 54 Jahren bestehenden Ranking. Auch die nächsten Ränge sind unverändert: Auf Platz zwei bleibt der US-Künstler Bruce Nauman, dahinter folgen die beiden Deutschen Georg Baselitz und Rosemarie Trockel. Auf Platz fünf hat sich der in Wuppertal lebende britische Bildhauer Tony Cragg vorgeschoben und die US-Künstlerin und Fotografin Cindy Sherman auf Platz 6 verdrängt. Auf 7 bis 10 folgen der auch in Berlin wirkende dänische Installationskünstler Ólafur Elíasson, der deutsche Maler und Bildhauer Anselm Kiefer, der mehrfache Documenta-Teilnehmer William Kentridge aus Südafrika und der minimalistische deutsche Maler Imi Knoebel. Der "Kunstkompass" wird jedes Jahr von der Journalistin Linde Rohr-Bongard aus Köln erstellt und erscheint im Magazin "Capital" (die neue Ausgabe ist noch nicht online). Bewertet und mit Punkten gewichtet werden unter anderem Ausstellungen von nahezu 300 Museen, Rezensionen in Fachmagazinen, Ankäufe führender Museen und Auszeichnungen. Verkaufspreise und Auktionserlöse werden dagegen nicht berücksichtigt. Die Liste der "Stars von morgen" - Künstler jenseits der Top 100, die den größten Punktezuwachs hatten - wird in diesem Jahr angeführt von dem britischen Medienkünstler Sir Isaac Julien, der sechs Jahre als Professor an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe tätig war. Dahinter kommen die kanadische Künstlerin Kapwani Kiwanga und die 95 Jahre alte Japanerin Yayoi Kusama. Insgesamt sind Künstlerinnen und Künstler aus Afrika, Südamerika, Asien und Australien unter den "Stars von morgen" sehr viel stärker vertreten als in den "Top 100". "Mit den Herkunftsländern der Künstler weitete sich die Kunst, sie ist farbenfroher, experimenteller und zu Teilen relevanter", urteilt Rohr-Bongard.  Beim Extra-Ranking der verstorbenen Künstler hat Joseph Beuys (1921-1986) Andy Warhol (1928-1987) den ersten Platz abspenstig gemacht, gefolgt von dem Kölner Maler Sigmar Polke (1941-2010) und der französisch-amerikanischen Bildhauerin Louise Bourgeois (1911-2010). 

Kunstmarkt

Magnus Resch macht in seinem "Welt"-Gastbeitrag die Kunstmessen dafür mitverantwortlich, dass heute weniger Kunst verkauft wird: "Kleinere und mittelgroße Galerien sind in einem Teufelskreis gefangen. Sie können es sich einerseits nicht leisten, an diesen Messen teilzunehmen, sich es aber andererseits auch nicht leisten, sie zu verpassen. Denn die Hälfte aller Kunstverkäufe von Galerien findet heute auf Messen statt, doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren. Galerien nehmen im Durchschnitt an fünf Messen pro Jahr teil – aus der Notwendigkeit heraus. Die großen Messen bieten zwar die Möglichkeit, Sammler zu treffen und den Bekanntheitsgrad von Künstlern zu erhöhen, aber die Kosten der Teilnahme sind hoch." Was könnten die Messen tun, wenn sie Interesse daran hätten, kleinere Galerien zu fördern? "Vorschläge wie kostenlose Standplätze, eine faire und transparente Auswahl der Galerien fernab von Vetternwirtschaft, Reduzierung der Kunstpreise, verpflichtende Preistransparenz, der Einsatz von Technologie für personalisierte Führungen über die Messe sowie die Beteiligung von Künstlern und Galerien am Messegewinn könnten Galerien und Künstler auf sicherere finanzielle Beine stellen." Resch könnte sich sogar vorstellen, "dass Galerien und Künstler kostenlos an den Messen teilnehmen und ausstellen können oder sogar entschädigt werden. Auf einem Rockkonzert wird schließlich auch der Sänger entlohnt, statt selbst für den Auftritt zu bezahlen. Warum sollte es bei Künstlern und Galerien anders sein, schließlich machen sie doch die Messen erst besuchenswert?"