Debatte
Dass man in der Golfregion so viel in Kunst investiert, zeige, wie viel man ihr zutraut, schreibt Ulrike Knoefel im "Spiegel". "Und gleichzeitig, wie wenig Zutrauen deutsche Politikerinnen und Politiker in die Kunst haben. Denn hier geschieht gerade das Gegenteil. Hier soll die Kunst weggespart werden." Das gesamte Land habe so viel zu bieten, alte und neue Kunst, große und kleine Institutionen. "Und es ist sicher kein Zuviel an Kultur zu konstatieren, sondern es ist ein Zuwenig an Fantasie, was sich damit anstellen ließe. In Berlin reicht die Fantasie nur zum Streichen des kostenfreien Museumssonntags, der ohnehin nur einmal im Monat angeboten wurde. Kultur kann Städte machen, das sollte in der Debatte nicht vergessen werden." Angenommen, Menschen würden für Berliner Schätze an den Golf fliegen wollen, schreibt Ulrike Knoefel, "warum soll dann Berlin selbst zu abgelegen sein?" Indes berichtet der RBB, dass schwarz-rote Koalition in der Hauptstadt die rund 130 Millionen Euro Einsparungen im Kulturbereich anders verteilen will. Dabei sollen vor allem die Theater stärker als bisher von den Mittelkürzungen ausgenommen werden. Dem Sender liegt eigenen Angaben zufolge die aktuelle Sparliste vor, wonach etwa bei kleineren Häusern wie dem Hebbel am Ufer oder dem Theater an der Parkaue geplante Kürzungen von Hunderttausenden Euro wegfallen sollen. Auch größere Häuser sollen nun wieder mehr Geld bekommen als ursprünglich geplant, darunter das Deutsche Theater oder die Schaubühne. Hingegen soll es noch weniger Geld für den Ausbau von Ateliers bildender Künstler geben, als bislang geplant. Die Senatsverwaltung für Kultur äußerte sich auf Anfrage nicht zu dem Bericht des RBB und verwies auf das laufende parlamentarische Verfahren. Der gesamte Nachtragshaushalt für 2025 soll am 19. Dezember im Abgeordnetenhaus beschlossen werden.
Letzte Woche hatte Nan Goldin im "FR"-Interview mit Hanno Hauenstein behauptet, sie sei bei ihrer Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie zensiert worden (siehe unsere Medienschau). Die Vorwürfe bezogen sich auf ein Dia in der Arbeit "The Ballad of Sexual Dependency": Im Abspann fügte die Künstlerin ein Dia ein, auf dem Goldin ihre "Solidarität mit den Menschen in Gaza, im Westjordanland und im Libanon" ausdrückte. Und - nach ihren eigenen Angaben - "mit den israelischen Zivilisten, die am 7. Oktober getötet wurden". Doch in diesem Punkt widerspricht das Museum: die Opfer des 7. Oktobers hätten in einer ersten Version gefehlt. Nun schreibt Hauenstein in der gleichen Zeitung, dass die Künstlerin und das Museum sich geeinigt hätten. Dem ging ein E-Mail-Wechsel voraus: "In einer E-Mail an Museumsdirektor Biesenbach vom 3. Dezember schreibt die Künstlerin: 'Sie haben vielleicht nicht das Wort Zensur verwendet, aber Sie haben Zwang ausgeübt'. Es sei ihr gegenüber angedeutet worden, dass das Museum seine Finanzierung verlieren könne, sollte das Dia in der Ausstellung bleiben. 'Ein Ergebnis, das ich nicht herbeiführen wollte', so Goldin. Ihre mündliche Rückfrage an einen Museumsmitarbeiter infolge der Eröffnung, ob das Dia denn nun wieder eingefügt werden könne, sei von diesem klar abgelehnt worden. 'In welcher Welt sind diese beiden Vorfälle kein Zwang?', so Goldin. Goldins Mail an das Museum angefügt ist ein Bild eines Dias, mit Bitte, dieses nun nachträglich einzufügen: 'Jetzt ist es an Ihnen, zu zeigen, dass Sie mich nicht zensieren', so Goldin." Inzwischen sei das Dia mit der Nennung der Opfer des 7. Oktober in der Ausstellung zu sehen.
María Inés Plaza Lazo, Herausgeberin der Straßenzeitung "Arts of the Working Class", fasst auf der Website der Publikation ihre Erfahrungen mit dem Symposium "Kunst & Aktivismus in Zeiten der Polarisierung: Diskussionsraum zum Nahostkonflikt" zusammen, das im Rahmen der Nan-Goldin-Retrospektive der Neuen Nationalgalerie stattfand und bei dem sie, wie sie schreibt, nach mehreren Absagen als "israelkritische Stimme" auf dem Podium saß. Sie plädiert für eine Überwindung der Spaltung: "Der harte Widerstand in den vergangenen Wochen gegen diese Veranstaltung zeigt: Reflexion und Dialog in öffentlichen Institutionen haben ihre zentrale Rolle in der Gesellschaft verloren. Viele betrachten diese Debatte mit Misstrauen. Doch wer den Dialog vermeidet, landet irgendwann bei Gewalt. Mein Wunsch ist es, gemeinsam Formate für Verhandlungsräume zu finden, die Platz für alle Ansichten und Positionen machen." Dafür empfiehlt sie das Buch "Trotzdem sprechen", das kürzlich im Ullstein-Verlag erschienen ist und aus dem Plaza Lazo in ihrem Text Kernpunkte destilliert.
Jetzt stellt auch noch Marion Löhndorf in der "NZZ" fest, dass der Turnerpreis angeblich seine Strahlkraft eingebüßt habe. Sie vermisse "wilde Debatten", obwohl jetzt doch schon so viele Meinungstexte zu dem Kunstpreis erschienen sind (siehe Medienschau von gestern und vorgestern), die sie auch nennt. Einen Grund für die Langeweile könnte im politischen Fokus der Kunst liegen, deutet sie an: "Alex Farquharson, der 2015 die Direktion der Tate Britain übernahm, erklärte, er habe die Identitätspolitik zwar noch nicht satt. Zugleich könnten die Werke der Nominierten aber keinesfalls darauf reduziert werden. In Wirklichkeit wird die diesjährige Turner-Prize-Ausstellung durchgehend von Identitätsfragen bestimmt – seien es Delaine Le Bas’ Werke vor ihrem Hintergrund aus der Roma-Community, seien es die grafischen Arbeiten des aus den Philippinen stammenden Pio Abad, die sich mit dem kolonialen Erbe Englands auseinandersetzen, oder seien es auch die Gemälde von Claudette Johnson, die auf die karibische Vergangenheit ihrer Familie blickt."
Porträt
Ingo Arendt stellt in der "taz" die emiratische Kuratorin Hur Al-Kasimi vor, die von dem britischen Kunstmagazin "ArtReview" zu mächtigsten Frau des Kunstbetriebs gewählt wurde (siehe Medienschau von gestern; die "taz" benutzt die englische Transkription ihres Namens): "'You slowly push the boundaries', beschrieb al-Qasimi selbst einmal die Möglichkeiten der Kunst und damit auch ihre eigene Rolle. Die stille Konsequenz, mit der sie dieser in einem dafür kaum prädestinierten Raum Terrain eroberte, ist ein Grund für ihr internationales Ansehen. Wie fragil die damit verbundene Hoffnung ist, eine autoritäre Gesellschaft mit der 'soft power' Kunst auf eine demokratische Spur zu heben, zeigt sich am Golf überall. Vor zwei Wochen entfernte das katarische Mathaf-Museum die Arbeit 'Harem' der türkischen Künstlerin İnci Eviner ohne Begründung aus einer Schau. Schon 2011 hatte Sheik al-Qasimi in Schardscha den palästinensischen Biennale-Kurator Jack Persekian gefeuert, weil der eine sexuell konnotierte Arbeit des algerischen Künstlers Mustapha Benfodil abgesegnet hatte. Auch später soll die Sharjah Biennale Augenzeug:innen zufolge heikle Künstler:innen wieder ausgeladen haben. Spätestens an diesen 'boundaries' endet die Macht der derzeit mächtigsten Person der Kunstwelt.