Medienschau

"Die Wahrheit ist dem Betrachter zumutbar"

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Forensic Architectures Eyal Weizman über Nahostkonflikt-Debatten in Deutschland, Pussy Riots Nadja Tolokonnikowa über Klimaaktivistinnen in Museen und Gauguins problematische Kunstwelten in Wien: Das ist unsere Presseschau am Freitag

Debatte

Die russische Aktivistin und Künstlerin Nadja Tolokonnikowa vom Kollektiv Pussy Riot hat für den "Guardian" mit Vincent van Gogh im Jenseits gesprochen und ihn gefragt, was er von den Attacken auf seine Sonnenblumenbilder durch Klimaaktivistinnen der Gruppe Just Stop Oil hält. Seine Antwort: "Was wäre das Leben, wenn wir keinen Mut hätten, etwas zu versuchen? Wir müssen versuchen, den Mut am Leben zu erhalten." Weil sie ein Gemälde von van Gogh mit Tomatensuppe beworfen haben, müssen zwei Klima-Aktivistinnen ins Gefängnis. Eine 23-Jährige wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt, eine mitangeklagte 22-Jährige bekam 20 Monate Haft. Das Bild in der National Gallery war durch eine Glasscheibe geschützt, der Rahmen wurde beschädigt. "Die Aktion der nun verurteilten Aktivistinnen war ein sorgfältig abgestimmtes politisches Statement und nicht das Werk von hirnlosen Hooligans", kommentiert Tolokonnikowa. "Dennoch sehe ich so viel Verachtung, ja sogar Grausamkeit gegenüber diesen jungen idealistischen Frauen, sogar von Leuten aus der Kunstwelt, die ich sehr schätze. Wenn Sie einer von ihnen sind, fordere ich Sie auf, sich von den Fesseln des Zynismus und der Konformität zu befreien. Erinnern Sie sich daran, wie es war, jung zu sein und von einer besseren Welt zu träumen. Haben Sie Sympathie, wenn nicht gar Bewunderung für diese Frauen. Hören Sie auf ihre wortgewandten und nachdenklichen Worte und überlegen Sie zweimal, ob Sie in einer Welt leben wollen, die Intellektuelle und Träumer in Käfige sperrt und gleichzeitig korrupte, gierige Öl-CEOs, die den Planeten zerstören, verherrlicht und belohnt."

Interview

Das Recherchekollektiv Forensic Architecture erhält den Alternativen Nobelpreis. Maximilian Probst und Tobias Timm haben für die "Zeit" mit dem Gründer Eyal Weizman gesprochen, auch über die Fragem, warum er in Deutschland besonders unter Druck steht: "Es herrscht Angst davor, Israel zu kritisieren, ja sogar Angst davor, Juden, die Israel kritisieren, zu unterstützen. Der Diskurs in Deutschland ist sich in dieser Frage sehr einig. Man unterstützt hier von rechts bis links eine nationalistische Politik in Israel, statt sich für Gerechtigkeit und Gleichheit einzusetzen. Der Raum für Diskussionen schrumpft. Es herrscht eine Überwachungswut über die Sprache und die Begriffe. Deutschland hätte stattdessen ein Raum sein können, in dem ein Austausch stattfindet, der in Nahost nicht möglich ist."

Kunsttheorie

Echte Kunst stimuliert das Gehirn stärker als ein Nachdruck. Das ergab eine neurologische Studie aus den Niederlanden, über die der "Spiegel" berichtet: "Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die 20 Probanden beim Betrachten eines Originals bis zu zehnmal stärker reagierten als bei einer Reproduktion. Die realen Kunstwerke riefen eine starke positive Reaktion im Precuneus hervor, einem Teil des Gehirns, der mit Bewusstsein, Selbstreflexion und persönlichen Erinnerungen zu tun hat, so die Forscher. Gerrit van Honthorsts 'Der Geigenspieler' etwa löste in der Realität einen positiven 'Annäherungs'-Reiz von 0,41 von 1 aus, in Posterform jedoch nur 0,05." Die Untersuchung wurde im Auftrag des Mauritshuis-Museums in Den Haag erstellt.

Kunstmarkt

"Art News" hat eine neue Liste mit den Top-Sammlern des Jahres veröffentlicht. Aus Deutschland sind unter anderem Anette und Udo Brandhorst, Jan Ahlers, Karen und Christian Boros und Julia Stoschek, aber auch bereits verstorbene Sammlerinnen und Sammler.

Ausstellungen

Seine Frau und Kinder verließ er für eine 14-Jährige in Tahiti. Das Bank Austria Kunstforum Wien nimmt Gauguin unter die Lupe: Ist der berühmte Maler "exotischer Schönheiten" noch zu retten? Die Ausstellung habe die Chance vertan, sich dem Vertreter der französischen Moderne auf kritische Art zuzuwenden, findet Stefan Weiss im "Standard". Stattdessen finde eine Auseinandersetzung mit der problematischen Kolonialsicht nur im Begleitprogramm statt. "Die Dinge auch in der Ausstellung beim Namen zu nennen, hätte mit 'Wokeness' oder 'Cancel-Wahn' nichts zu tun, sondern mit wissenschaftlicher Redlichkeit. Die Wahrheit ist dem Betrachter zumutbar. Auf dem Kunstmarkt übrigens ist Gauguin nach wie vor ein Hit: 2014 wechselte seine Frauendarstellung mit dem Titel Nafea fea ipoip? (Wann heiratest du?) für 210 Millionen Dollar den Besitzer. Das Werk darf heute die Fantasie des Emirs von Katar beflügeln."