Medienschau

"Jetzt fliegt ihm wirklich alles um die Ohren"

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Was sagt das Scheitern der Übergangslösung für die Volksbühnen-Intendanz über Joe Chialos Arbeit aus? Wie war der letzte Museumssonntag in Berlin? Und ist eine Otto-Mueller-Schau zu "woke" geraten? Unsere Presseschau am Dienstag


Kulturpolitik

Die Übergangslösung an der Volksbühne mit Vegard Vinge und Ida Müller ist gescheitert. Der "Berliner Zeitung" zufolge soll die Absage Folge der angekündigten Kürzungen im Kulturbereich sein - was Kultursenator Joe Chialo jedoch nicht bestätigt. "Jetzt fliegt ihm wirklich alles um die Ohren", schreibt Simon Strauss dazu in der "FAZ": "Die vielen kleinen Mosaiksteine seines Versagens fügen sich nun zu einem Bild des vollständigen Scheiterns zusammen: Joe Chialo ist von den Aufgaben, die die Berliner Kultur an ihn stellt, überfordert. Er hat kein Gefühl für die Eigenarten ihrer verschiedenen Schauplätze, von ihrer Geschichte weiß er zu wenig oder nimmt sie nicht ernst genug. Und das schwerwiegendste: Er hat keine Sprache gefunden, um über Berlins Kultur und mit ihren Akteuren zu sprechen." Nicht, dass die Kultur in Berlin sparen muss, sei der eigentliche Skandal. "Verheerend ist aber die Art, wie Chialo diese neuen Härten an die Kulturszene vermittelt: nämlich schulterzuckend." Chialo hätte wissen können, dass der Volksbühne höchste Priorität gebührt, schreibt Rüdiger Schaper im "Tagesspiegel". "Was dort passiert oder eben nicht, hat Signalwirkung. Doch der Kultursenator lässt die Sache laufen, er schaut zu und findet es in Ordnung, wenn sein Etat zusammengestrichen wird, und denkt nicht an die Folgen."

Museen

Für eine kleine "Zeit"-Reportage war Julian Sadeghi in Berlin beim letzten Museumssonntag dabei und hat Aktivisten und Besucher befragt. "Die Museen selbst bleiben indes an diesem Sonntag eigenartig unbefangen. An dem Bündnis Kultur für Alle sind sie nicht beteiligt. Nur ein paar kleine Plakate hängen hier und dort im Eingangsbereich, auf das Logo des Museumssonntags ist in Rot das Wort "Abgeschafft" gedruckt. Aber ein Rahmenprogramm oder Reden gab es, soweit ersichtlich, in den großen Häusern nicht. Die Aktivisten vor dem Hamburger Bahnhof verteilen dafür fleißig Flugblätter, ein paar Besucherinnen bleiben stehen und hören zu, wie einer der Aktivisten am Mikrofon das Anliegen erklärt: 'Gerade in Zeiten, in denen die Welt viele Probleme hat und wir zusammenhalten müssen, brauchen wir Kultur.' Und zwar auch für diejenigen, 'die nicht so viel Geld in der Tasche haben'."

Ausstellung

Dass der Expressionist Otto Mueller in einer Ausstellung in Münster mit Sexismus, Rassismus und der Nazi-Ideologie in Verbindung gebracht wird, findet Philipp Meier in der "NZZ" nicht in Ordnung. Mit der Ausstellung ehrt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) den Maler zu seinem 150. Geburtstag: Bis zum 2. Februar 2025 wirft das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster auch einen kritischen Blick auf die romantisierende und stereotypierende Darstellung von Minderheiten wie den Sinti und Roma in Muellers Werk. Aber auch der deutsche Kolonialismus und die Rolle von Frauen werden in der Ausstellung thematisiert. Mueller gelte in Münster "als Problemfall", ärgert sich Meier. "Die Vorwürfe sind absurd. Mueller war nicht Ethnologe. Er interessierte sich weder für dokumentarische Studien noch für politische und sozialkritische Programme. Er sah sich in keiner Pflicht, Sinti und Roma in ihrer Lebensrealität wiederzugeben. Mueller war Künstler und schuf Kompositionen nach seinen eigenen Vorstellungen. Diese Freiheit der Kunst löst heute offensichtlich Unbehagen aus." Till Briegleb sprach in seiner Ausstellungskritik in der "SZ" Mitte November sogar von einem "Tribunal": "Über Jahrzehnte wurden diese Motive als zugewandt und liebevoll wahrgenommen. Mueller selbst hat einmal den entscheidenden Satz zu seiner Haltung gesagt, der in der neuen Bewertung auch nirgends erwähnt ist: 'Ich kann nur malen, was ich liebe.'" Die negative Bewertung seiner Kunst basierten allein "auf einer stark emotional und ideologisch aufgeladenen Bildwahrnehmung aus heutiger Wokeness-Perspektive, die den historischen Kontext und die Kunstentwicklung jener Zeit ignoriert. Oder auf dem demagogischen Generalargument gegenüber weißen Männern, sie hätten eben den 'typisch männlichen Blick', und der sei strukturell gewalttätig. Ansonsten werden Argumente gewendet, wie es gerade passt." Nun wäre es auch interessant, was andere Menschen als weiße Männer wie Philipp Meier und Till Briegleb dazu meinen.

Ingeborg Ruthe bespricht in der "Berliner Zeitung" eine Schau von Karl-Heinz Adler in der Berliner Galerie Eigen+Art, dem ostdeutschen Pionier der "Konkret-konstruktivistischen Kunst": "Nur galt 'concret art' in der DDR eher als eine elitäre (westliche) Außenseiter-Disziplin. Und so wurde Adler erst spät entdeckt, obwohl er im Westen längst illegale Ausstellungen hatte, freilich ohne hinreisen zu dürfen. Sie wurden aus dem Stand Fans seiner 'Metriks', in der Literatur Begriff für die rhythmische Bestimmung von Texten, in der Musik die Lehre von der Bewertung der Töne. Und im Allgemeinen bedeutet es einen quantitativen Messwert." Adlers Bildwelten wirkten, als seien sie eigenen Gesetzen entsprungen, meint Ruthe. "Es herrscht Balance von Spielerischem und Strengem, Schwere und Leichtigkeit. Eine Kunst an der Schnittstelle zur Wissenschaft."

Ranking

"Forbes" hat eine Liste von 30 Künstlern und Designern unter 30 Jahren aus Nordamerika veröffentlicht, die laut dem Magazin "die Zukunft neu definieren".

Film

Die Satire "A Different Man" hat bei den Gotham Awards in New York überraschend den Preis als "Bester Film" gewonnen. Er sei "völlig überwältigt", sagte Regisseur Aaron Schimberg Berichten zufolge bei der Verleihung am Montag und musste demnach eine Dankesrede improvisieren. "In Anbetracht der anderen Nominierten hielt ich es für Hybris, eine Rede vorzubereiten", zitierte ihn "The Hollywood Reporter". Als Favorit war dem Bericht zufolge Cannes-Gewinner "Anora" von US-Regisseur Sean Baker gehandelt worden. "A Different Man" mit "Marvel"-Star Sebastian Stan handelt von einem Mann mit einem deformierten Gesicht, der sich nach einem Experiment in einen äußerlich attraktiven Mann verwandelt. Anders als erwartet, bringt ihm das kein Glück. Beste Haupt- bzw. Nebendarsteller wurden Colman Domingo und Clarence Maclin in "Sing Sing". Auch Hollywood-Stars wie Angelina Jolie, Zendaya und Timothée Chalamet erhielten bei der Gala in New York Trophäen. Nicole Kidman und Pamela Anderson gingen dagegen leer aus. Als bester Dokumentarfilm wurde "No Other Land" ausgezeichnet. Der Film eines palästinensisch-israelischen Teams hatte bei der Berlinale eine Debatte über Antisemitismus in der Kulturbranche ausgelöst. Bester internationaler Film wurde das Drama "All We Imagine as Light" der indischen Regisseurin Payal Kapadia. Der Preis für die beste Regie ging an Ramell Ross für den Film "Nickel Boys". Die seit 1991 verliehenen Gotham Awards gelten als Auftakt der Trophäensaison, die im März mit der Oscar-Verleihung endet. Über die Auszeichnungen bestimmt eine kleine Gruppe von Kritikern und Filmschaffenden. Zu früheren Gotham-Award-Gewinnern, die später auch Oscars holten, zählen Filme wie "Moonlight", "Spotlight", "Birdman" und "Nomadland".