Medienschau

"So lax, nachrangig und planlos wird hier mit Kunst und Kultur umgegangen"

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Weiter Streit um den neuen "TTT"-Moderator Thilo Mischke, eine Bilanz der Ex-Präsidentin des Goethe-Instituts Carola Lentz und Foto-Philosophie mit Jeff Wall: Das ist unsere Presseschau am Freitag


Debatte

Seit Weihnachten sorgt die Berufung des Journalisten Thilo Mischke zum neuen Moderator des ARD-Kulturmagazins "Titel Thesen Temperamente" ("TTT") für Aufregung. Denn dieser hat in der Vergangenheit ein Buch geschrieben und Äußerungen von sich gegeben, die man nur als sexistisch werten kann. Inzwischen gibt es einen Offenen Brief von über 100 Kulturschaffenden, die eine zukünftige Zusammenarbeit mit Mischke ausschließen. Gerrit Bartels kritisiert im "Tagesspiegel", dass die ARD zwar vorgebe, die Vorwürfe ernst zu nehmen, in Wahrheit die Causa jedoch aussitzen wolle. Er plädiert für eine Kehrtwende und sieht den Fall auch als symptomatisch für das Kulturverständnis des Senders. "Mischke fallen zu lassen, wäre das Eingeständnis des eigenen Versagens. Und das ist bei den Öffentlich-Rechtlichen sowieso schon ein großes, so lax, nachrangig und plan- und orientierungslos hier mit Kunst und Kultur umgegangen wird."

UPDATE 4. JANUAR: Thilo Mischke wird einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zufolge doch nicht Moderator des Kulturmagazins. 


Zu ihrem Abschied als Präsidentin des Goethe-Instituts hat Carola Lentz einige Gedanken zur Kulturdiplomatie in der "Zeit" aufgeschrieben. So plädiert sie dafür, den "Nutzen" von Kultur nicht nur ökonomisch zu sehen. "Brückenbauen bedeutet, dass wir Kulturaustausch nicht instrumentell eng führen dürfen. Werbung für Deutschland zu machen, Deutschunterricht zu erteilen, Fachkräfte zu rekrutieren: Das ist alles wichtig. Aber Kulturaustausch kann noch viel mehr: Menschen verbinden, mit Emotionen arbeiten, mit Kunst auf Konflikte reagieren. Man kann Künstlerinnen und Schriftstellern nicht vorschreiben, was sie zu denken haben. Kultur ist kein 'nice to have', sondern überlebenswichtig." Beim Thema Antisemitismus spricht sich Lentz gegen Kontrolle der Politik aus. "Kultur- und Mittlerorganisationen wie das Goethe-Institut müssen unabhängig bleiben. Ich nehme wahr, dass Politiker manchmal glauben, dass sie Krisen besser bewältigen können, wenn sie engmaschiger kontrollieren. Ich sehe, dass Ängste vor Fehlern und vorweggenommene Selbstkontrolle zunehmen. Das gilt zum Beispiel für die jüngsten Antisemitismus-Resolutionen, die unsere internationale Zusammenarbeit herausfordern. Eine sehr enge Auslegung von Antisemitismus könnte dazu führen, dass deutsche Organisationen ihren Kulturpartnern im Nahen Osten, in Nordafrika, aber auch in Südafrika oder in Japan nur noch mit Misstrauen begegnen und Kooperationen aufkündigen müssten. Stattdessen sollten wir aber unterschiedliche Perspektiven zur Kenntnis nehmen und Kontroversen aushalten. Zuhören heißt nicht zustimmen, aber ohne zuhören ist Dialog nicht möglich."


Fotografie

Ein Muss für alle Foto-Nerds ist das Interview, das Boris Pofalla für die "Welt" mit dem US-Künstler Jeff Wall über sein bevorzugtes Medium geführt hat. Darin geht es um die Lebensdauer von Abzügen und die Frage, wie man ein fotografisches Werk am Leben erhält. Wall, der mit hinterleuchteten Farbbildern berühmt wurde, philosophiert darin auch über das Verhältnis von Fotografie zu Malerei: "Ich habe von der Malerei viel über Kunst gelernt, einmal, weil ich selbst gemalt habe, aber auch, weil ich Malerei immer geschätzt habe. Mir wurde klar, dass einige Gesichtspunkte von dem, was die Malerei über Jahrhunderte hinweg erreicht hat, nicht ihr exklusiver Besitz sind. Alle bildnerischen Kriterien, wie Komposition und ähnliche Elemente, sind sämtlichen bildenden Künsten gemeinsam, sei es Zeichnung, Malerei, Lithografie oder Fotografie. Wir tun dieselben Dinge, deshalb können wir voneinander lernen. Ich kann mir die Verbindungen zwischen den bildenden Künsten als eine Familienbeziehung vorstellen, aber ich habe in keiner Weise jemals geglaubt, dass die Fotografie dasselbe tun sollte, was die Malerei tut. Ich glaube nicht, dass die Fotografie alles können muss, was die Malerei kann."


Street Art

In den 1970er-Jahren tauchten in Zürich an Hauswände gesprühte abstrakte Figuren mit langen Gliedmaßen auf. Harald Naegeli blieb als der "Sprayer von Zürich" bis zum 12. Juni 1979 ein Phantom, dann wurde er enttarnt und musste die Schweiz fluchtartig verlassen. Die ganze Geschichte des Künstlers, seiner Familie und seiner Hassliebe zu Zürich hat der Journalist Res Stehle in einer Biografie niedergeschrieben (lesen Sie hier die Monopol-Rezension). Und die ist vorzüglich, findet Felix Thürlemann in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung". "Der biographische Überblick zeigt, wie unterschiedlich die deutschen und die schweizerischen Behörden auf Naegelis Schaffen abseits von Kunstmarkt und Kommerz reagierten. In Deutschland wurde es von Intellektuellen und Künstlern, allen voran von Joseph Beuys im Kontext von Post-1968 gefeiert. Ein Rechtsprofessor argumentierte, der Schutz des Eigentums dürfe nicht höher gewichtet werden als eine dringliche persönliche Botschaft. So traf Naegeli auf eine eher milde Justiz." Mit dem Buch habe der Autor Stehle, der mit den gesellschaftspolitischen Anliegen des Künstlers sympathisiere, Naegeli eine letzte Weihe erteilt. Fehle nur noch das Werkverzeichnis. Augenblicklich gibt es auf der Website sprayervonzuerich.com einen Œuvrekatalog, der seine Werke zeigt, auch die mittlerweile zerstörten. 


Kunstjahr 2025

Die "New York Times" findet neun gute Gründe, 2025 nach Europa zu reisen. Die Auflistung der besten Ausstellungen des Jahres führt nach London, Paris und Amsterdam, auch Berlin und Florenz sind dabei. Die große Schau zur queeren Ikone der 1980er-Jahre Leigh Bowery in der Tate Modern "verspricht einen schönen, wilden Ritt durch Bowery’s eklektisches, bahnbrechendes Œuvre." Die Jahrhundertwende-Malerin Suzanne Valadon wird im Centre Pompidou in Paris geehrt. Die Zeitgenossin von Degas und Toulouse-Lautrec schockierte die damalige Gesellschaft mit einem männlichen Akt. Anselm Kiefer in den Niederlanden schlägt zugleich im Van Gogh Museum und im Stedelijk auf. Außerdem auf der Liste: "Engel der Geschichte" mit Paul Klee und anderen im Bode-Museum in Berlin, James Turrell in Aarhus, "When We See Us: A Century of Black Figuration in Painting" im Bozar in Brüssel, die Architekturbiennale in Venedig, eine Cézanne Ausstellung in Aix-en-Provence und Fra Angelico im Palazzo Strozzi in Florenz.