Debatte
Vor kurzem hat sich der Investor und Fotografiska-Betreiber Yoram Roth bereits in der "Berliner Zeitung" zu den aktuellen Einsparungen in der Kulturförderung geäußert. Nun wird er auch von Heiko Zwirner für die "Welt" interviewt. Neben dem Fotozentrum Fotografiska gehört Roth auch die legendäre Berliner Institution Clärchens Ballhaus. Er hatte die Immobilie 2018 gekauft und saniert. "Der riesige Saal hier unten hatte nur eine Steckdose", sagt Roth. "Technisch gesehen war das Haus auf dem Stand von 1936. Ich musste mir immer wieder anhören, dass man hier bloß nichts verändern solle, um die einmalige Atmosphäre nicht zu zerstören. Dabei ist es wie bei einem Oldtimer: Der muss regelmäßig gewartet werden, damit man damit noch fahren kann." Dass die Stadt Berlin insgesamt an Attraktivität verloren habe, sehe er nicht, Berlin sei nur erwachsener geworden. Doch wünsche er sich tatkräftige politische Führung und eine funktionierende Verwaltung. "Wenn ich hier eine Baustelle habe und eine Wand anmalen will, muss ich vier Monate auf eine Genehmigung warten – und die Antwort ist meistens nein, weil das weniger Arbeit macht." Den Skeptikern seiner Modernisierungen attestiert Yoram Roth Nostalgie. Das betrifft auch insbesondere das Tacheles, in dem seine Fotografiska-Ausstellungshalle untergebracht ist: "Das ist eine kleine Gruppe von 60-Jährigen, die das aufregende Leben vermissen, das sie damals hatten. Die Jüngeren interessiert es doch gar nicht mehr, was hier vor 20 oder 30 Jahren einmal war. Außerdem stand das Haus zehn Jahre leer. Keiner von denen, die sich heute beklagen, ist auf die Idee gekommen, ein Konzept für die Nutzung zu entwickeln und eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Am Rand stehen und meckern, das kann jeder, das kennen wir in Berlin."
Die "NZZ" untersucht die Methoden der russischen Kulturproduktion, an Putins Zensur vorbeizukommen. Der Kulturbetrieb bleibe erfinderisch, schreibt Andrei Kolesnikow, und verwende oft alte Tricks aus Sowjetzeiten. Kanäle wie Youtube seien in Russland zwar blockiert (offiziell "verlangsamt"), aber über VPN könne man sie weiter nutzen. Es gebe aber Vorschläge von Abgeordneten, ausländische Musik auf russischen Streaming-Plattformen generell zu verbieten. Auch die großen Bühnen müssten ihren Spielplan dem politischen Klima anpassen. Die Filmlandschaft sieht er ernüchtert: "Filmkritiker sagen, dass es nach wie vor modernes russisches Filmschaffen gebe, und es sei durchaus kein schlechtes. Aber was auf die große Leinwand kommt, zeugt fast ausschließlich von Massenkultur und schlechtem Geschmack." Doch die Kinos selbst zeigten sich kreativ: "Gutes westliches Kino gelangt oft noch mit einem simplen und allgemein bekannten Trick ans Publikum. Danach werden cineastische Filme als undeklarierte Quasi-Vorfilme eines beliebigen, aber politisch korrekten einheimischen Kurzfilms eingeschmuggelt. Die Behörden versuchen, dagegen anzukämpfen, aber nur schleppend, weil sonst die Kinos massenhaft in Konkurs gehen würden." Der Buchmarkt sei immer noch am wenigsten restriktiv. So erschienen zahlreiche Werke, die sich mit dem Alltag in Nazideutschland oder mit gesellschaftlicher Gleichschaltung beschäftigten. Zum Beispiel Thomas Manns Rundfunkansprachen aus dem amerikanischen Exil oder eine Übersetzung von Uwe Wittstocks Abhandlung "Februar 1933: Der Winter der Literatur", in der die Schicksale deutscher Schriftsteller in den ersten sechs Wochen von Hitlers Herrschaft erzählt werden. Auch George Orwells "1984" sei noch nicht aus den Buchhandlungen verbannt worden. Der Autor erkennt darin "eine Art Selbstporträt der Gesellschaft".
Kulturpolitik
In der "Taz" berichtet Astrid Kaminski über die Frankfurter Crespo Foundation, die die 2019 verstorbene Wella-Erbin Ulrike Crespo gestiftet hat, um Projekte an den Schnittstellen von Kunst und Sozialem, Natur und Technik zu unterstützen. Die Stiftung, die unter anderem ein neu errichtetes Haus in Frankfurt und ein Residency-Programm für Künstlerinnen und Künstler in Irland betreibt sowie zahlreiche andere Projekte unterstützt, sei als "Verbrauchsstiftung" einzigartig, denn sie müsse innerhalb von 20 Jahren ihr Kapital aufbrauchen. "Durch ihre 'punk-artige' Haltung, wie der Kurator Ben Livne-Weitzman es nennt, Gelder nicht zu horten, erinnert sie daran, dass ein Diskurs über Stiftungen, eine öffentliche Auseinandersetzung mit deren Funktionsweisen und Zielen nur rudimentär geführt wird." Unseren Besuch bei der Crespo Stiftung lesen Sie hier.
Fotografie
Im "Spiegel" teilt der US-amerikanische Sportfotograf Walter Iooss Jr. seine Erkenntnisse aus seiner fast 60-jährigen Karriere im Interview. Die Zeit der ikonischen Sportfotos sei vorbei, sagt er: "Es gibt heutzutage keine berühmten Fotos mehr, weil es keine großen Sportmagazine mehr gibt. Und keine Cover." An die Ära, als Magazine wie "Time" und "Life" noch hohe Auflagen hatten, erinnert er sich so: "Geld spielte keine Rolle. Als ich anfing, mit etwa 20, musstest du ständig reisen. Erster Klasse, das war obligatorisch. Alle Redakteure waren auf Eliteuniversitäten gewesen, alle trugen Anzug und Krawatte. Es galt: nichts Geschäftliches nach dem Mittagessen. Weil alle betrunken waren." Später erkannte er die interessanteren Motive außerhalb des Spielfelds und porträtiere und begleitete viele berühmte Sportlerinnen und Sportler. Mit Michael Jordan machte er das Album "Rare Air". Für gute inszenierte Fotos brauche es vor allem einen guten Hintergrund, meint Iooss: "98 Prozent aller Fotos sind ohne Wert. Schlechter Hintergrund – schlechtes Bild. Oft reicht schon eine Wand. Ich habe noch keine Wand gesehen, mit der sich nichts anfangen ließe."
Ausstellung
Peter Richter findet es in der "Süddeutschen Zeitung" in einer schwungvoll geschriebenen Rezension der Francis-Bacon-Ausstellung in der National Portrait Gallery "erfreulich erfrischend, den Mann in dieser Londoner Schau einmal sehr lebensweltlich rekontextualisiert zu sehen". Jahrzehntelang sei in Bezug auf diesen Künstler immer sehr schwerwiegend klingendes Vokabular aufgefahren worden. In dieser Ausstellung, die sich mit den Porträts beschäftigt, dabei aber das Format einer ausgewachsenen Retrospektive erreicht, sei es stattdessen, "als hätte jemand die Fenster in der unmittelbaren Londoner Umgebung aufgestoßen und damit viel von dem existenzialistischen Weihrauch abziehen lassen." Die Schau zeigt, mit wem Bacon becherte, schlief und herumzog: "Es ist ein Hang zu tragischen Kleinkriminellen, für die später erst Morrissey mit seinem erotischen Faible für 'sweet and tender hooligans' adäquate Worte finden würde. Bacon fand immerhin die Bilder."
In der "Taz" freut sich Martin Mettin über die Ausstellung "Still – Moving. Portraits 1992 – 2024" von Rineke Dijkstra in der Berlinischen Galerie. Die Ideen von Dijkstras raffinierter Porträtkunst, bei denen die Künstlerin Menschen manchmal über viele Jahre begleitet, gingen über Konzeptkunst weit hinaus, so Mettin. "Ihre Sogwirkung verdanken die Bilder einer außergewöhnlichen Technik. Dijkstra fotografiert mit Großformat-Plattenkamera, mit der sie ihre Modelle frontal aufnimmt. Der Blick ins Objektiv erfordert von den Modellen besondere Konzentration, denn die Fotografin steht neben ihrem Gerät. Zudem setzt sie auch am Tag Blitzlicht ein, was die Motive dezent entrückt. Auf diese Weise entstehen Fotografien von erstaunlicher Detailgenauigkeit mit einer minutiös durchdachten Komposition. Allein schon deshalb sind es keine alltäglichen Augenblicke, sondern artifizielle Situationen. Etwas von dieser Künstlichkeit sickert in den Ausdruck der Modelle ein. Ihre Haltung scheint selten natürlich, bisweilen eher skulptural."