Medienschau

"Ich hatte genug Sex"

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Ist Pop heute rechts? Gibt es gute Romane über Kunst? Und wie geht's Robert Crumb? Das ist unsere Presseschau am Donnerstag 

Podcast

Wow, was für eine tolle Folge von "Die sogenannte Gegenwart", dem Feuilleton-Podcast der "Zeit". Hosts Ijoma Mangold und Lars Weisbrod diskutieren mit ihrem Gast Diedrich Diederichsen über die Frage, ob Pop heute rechts ist. Der libertäre Mangold, der "woke" bereits als Zeitgeistphänomen begraben hat, und Weisbrod, der Identitätspolitik skeptisch gegenübersteht, treffen also auf einen Professor für Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst, der mit intersektionaler Anti-Diskrimierungsarbeit sympathisiert. Deshalb kommen in diesen anderthalb Stunden viele Fragen zu den aktuellen Kulturkämpfen zur Sprache, die gerade auch an großen Teilen der Kunstwelt nagen. Welche emanzipatorische Kraft hat der Fokus auf Identität – oder lähmt er im Gegenteil das Denken? Leben wir im Neoliberalismus? Was lesen Studierende an den Kunsthochschulen, hat Theorie noch den Stellenwert wie einst? Sind Linke heute brav und angepasst? Sind Rechte die neuen Poplinken?

Interview/Porträt

Birgit Rieger spricht im "Tagesspiegel" mit Elmgreen & Dragset über Natur, Museen und andere Orte, an denen Menschen sich treffen können und die von dem Künstlerduo als Setting nachgebaut werden. "Wir sind Befürworter des altmodischen Wohlfahrtsstaates, der die bürgerlichen Institutionen am Leben erhält", erklärt Michael Elmgreen. "Menschen müssen sich analog treffen, nicht nur online. Wir brauchen das Gefühl, Teil von etwas zu sein, einer Gemeinschaft, einer Gemeinde, einer Stadt. Auch Kinos sind solche Orte. Es ist wichtig, dass die Menschen zusammenkommen und sich nicht nur allein zuhause Filme herunterladen."

Feuilleton-Chef Andreas Rosenfelder hat für die "Welt" den einst subversiven, heute mit 80 Jahren konservativen Zeichner Robert Crumb in Südfrankreichreich besucht. Der Künstler, in dessen Comics ungezügelter Sex dargestellt wird, sieht sich aus der Mode gekommen: "Für viele junge Leute bin ich Persona non grata". Dabei zeige er doch nur "all das verrückte Sex-Zeug, all die Gewalt, all das Psycho-Zeug ", das in seinem Kopf sei, ohne es als Verhaltensmodell zu empfehlen. "Klingt der Kampf mit den eigenen Fantasien, von dem seine Comics handeln, im Alter ab? 'Yeah, das Alter verringert den Sexualtrieb. Und ich habe meine Fantasien ausgelebt, wenn auch nur mit einer Handvoll von Frauen. Ich hatte genug Sex.' Das Leiden aber, so Crumb, verschwinde im Alter nicht: 'Es verändert sich nur', erklärt er. 'Es fußt nicht mehr auf Frustration wegen fehlender Erfüllung. Sondern es richtet sich auf etwas, das größer ist als das eigene Selbst: diese ganze verdammte Existenz, die so erhaben, aber auch so schrecklich sein kann.'"

Kunstmarkt

Vor 50 Jahren wurde die Berliner Galerie Kicken gegründet, Verena Harzer gratuliert in der "taz". Rudolf Kicken startete in einer Zeit, "in der Fotografie in Deutschland als ein mechanischer Vorgang ohne jeden künstlerischen Wert wahrgenommen wurde. In den Museen war von dem jungen Medium nichts zu sehen. Von Sammlungen ganz zu schweigen. Kicken wusste, dass es auch anders geht. Er kam gerade aus den Vereinigten Staaten zurück, wo er ein Jahr lang in Rochester im Osten des Landes Fotografie studiert und ein Praktikum in der legendären New Yorker Fotogalerie Light Gallery absolviert hatte. Dort wurde Fotografie ganz selbstverständlich als Kunst wahrgenommen, gehandelt und ausgestellt." Nach der Gründung der Galerie Lichttropfen in Aachen gemeinsam mit Wilhelm Schürmann (der auch die aktuelle Jubiläumsausstellung in der Galerie kuratiert hat), zog Kicken 1979 nach Köln. "Dort begann sich ein neuer Kunstmarkt zu entwickeln, und auch der Name Kicken wurde immer bekannter. Als er 2000 nach Berlin zog, war Kicken längst die erste deutsche Fotogalerie von Weltrang."

Das "Handelsblatt" stellt das nun auch schon gar nicht mehr so neue Berliner Auktionshaus am Grunewald vor: "Es ist ein sympathisches, unprätentiöses Unternehmen, in dem zwei geschäftsführende Gesellschafter den Ton angeben. Sebastian Greber, vormals Händler von Designmöbeln, hielt im November 2021 seine erste Auktion im Wohnzimmer ab und erzielte auf Anhieb Marktpreise. Seit Anfang 2023 ist Lena Winter seine Geschäftspartnerin."

Bücher

Von Rachel Cusk über Raven Leilani bis Hari Kunzru: Die Schriftstellerin C Michelle Lindley stellt im "Guardian" gelungene Romane über die Kunstwelt vor und stellt fest, dass "Geschichten über Kunst und Kunstschaffen von Natur aus metatextuell sind. Die Ängste des Kunstschaffenden - des Schriftstellers - spiegeln sich in den Ängsten vor der Malerei, der Fotografie, der Bildhauerei oder dem Tanz wider. Aber die besten Kunstromane gehen über dieses Selbstbewusstsein hinaus, bieten neue Sichtweisen an und geben einer Welt, die sich oft formlos anfühlt, Gestalt und Form."

Kulturjournalismus

Die Tonträgerkrise, algorithmusbasierte Playlists und Popstars, die in Social-Media-Zeiten keine Interviews mehr geben brauchen, haben Musikmagazinen den gar ausgemacht. "Spex", "De:bug", "Juice" sind Geschichte. "Groove" hat sich bislang tapfer gehalten, doch jetzt wurde bekannt, dass das Verlagshaus Piranha Media das Magazin für elektronische Musik zu Ende Mai schließen wollte. Dagegen wehrte sich die Redaktion: "Mehr als 60 Autor:innen und Redakteur:innen haben am 30. Mai 2024 den Verein für Technojournalismus als zukünftigen Träger des Magazins gegründet", heißt es in einer Pressemitteilung. "Bis zum 17. Juli fand sich auf groove.de tagesaktuelle Berichterstattung über elektronische Musik und Clubkultur. Zum ersten Mal in der 35-jährigen Geschichte der GROOVE unterbricht die Redaktion ihre tägliche Arbeit, um über die Situation des Magazins zu sprechen und Mitglieder anzuwerben." Viel Glück und solidarische Grüße aus der Monopol-Redaktion!