Die Steppnähte geben den einzelnen Kleidungsstücken Stabilität, Wattierungen sorgen für Volumen. Die Stoffe zeichnen sich durch Steifigkeit aus und die Muster sind in natürlichen Erd- und Laubtönen gehalten. Raffinierte Details legen Funktionalität nahe.
"Life is hard", eröffnet der Modekritiker Angelo Flaccavento seine Show Notes zu dieser ausgereiften Kollektion. "Man muss auf alles vorbereitet sein." Das wechselnde Wetter, die Umstände – wer habe schon Zeit, nach Hause zu gehen und sich umzuziehen? Hier werde jede Silhouette durch den Gebrauch definiert, schreibt der "Vogue"-Autor. "Der emotionslose, kastenförmige Schnitt sorgt für einen Hauch von Formalität und wird durch Epauletten und Capes ergänzt. Hosen mit hoher Taille und weitem Bein werden zu einem entscheidenden Statement für die ganze Saison."
Der Sizilianer ist einer der angesehensten Modejournalisten und -kritiker, geliebt für seinen poetischen Stil. Show Notes zu verfassen ist indessen normalerweise Sache der Modehäuser. Sie liefern den intellektuellen Hintergrund zu den jeweiligen Kollektionen, und beispielsweise im Falle von Alessandro Michele für Gucci (2015 bis 2022) erwähnten sie nicht einmal die einzelnen Kleidungsstücke, sondern kreierten einen übergeordneten Esprit.
Interne Akronyme eines abgeschlossenen Systems
Die Designer der Kleidungsstücke, zu denen Flaccavento für das Buch "Fashion Army" die in der Modewelt üblichen Begleittexte verfasst hat, sind allerdings namenlos, und sie haben keinen philosophischen Überbau. Diese Overalls, Boots, Sweatshirts, Jacken und Mäntel sind nicht für die Fashion Industrie gemacht, sondern dafür, Körper in Kriegshandlungen zu schützen und zu unterstützen.
Erschienen sind die Abbildungen der US-Militärkleidung bei Mack, herausgegeben von Matthieu Nicol. Der versierte Bildredakteur aus Paris ist passionierter Sammler von Vintage-Gebrauchsfotografie, einen Instagram Account widmet er ganz der Geschichte der Food Photography. Er stieß auf ein absolut ungewöhnliches Konvolut von Scans, die bis vor kurzem Geheimsache des US-Militärs waren und erst kürzlich freigegeben wurden.
Trotz seiner Bemühungen konnte er nicht viel über Urheber und Hintergründe der mehr als 14.000 Aufnahmen erfahren, aus denen er für das Buch eine visuell starke Auswahl getroffen hat. Denn die zu jedem Bild gehörenden Legenden bestehen aus unverständlichen internen Akronymen eines abgeschlossenen Systems. Nicol datiert sie "zwischen dem Ende des Vietnamkriegs und dem ersten Golfkrieg."
Stoizismus und Steifheit
Die Dramaturgie des Buches sieht eingangs mit einem großen Bildanteil ohne jede textliche Moderation vor, dass man sich völlig der visuellen Kraft dieser Großformat-Studiofotos überlässt. Sie sind, genau wie die einzelnen Bekleidungsstücke, rein funktional. Die Menschen, die sie tragen, strahlen unbeteiligten Stoizismus oder unbehagliche Steifheit aus und ordnen sich der Objektifizierung bereitwillig unter.
Müssen sie ein Detail wie einen Belüftungsschlauch oder verdeckte Reißverschlüsse präsentieren, so orientiert sich das Demonstrative bestenfalls an der schablonenhaften Katalogfotografie der 1950er-Jahre. Einzig die Eigenschaften der Kleidungsstücke stehen im Vordergrund: gepufferte Hosen und Oberteile, Strahlung abhaltende, reflektierende Mäntel oder Overalls, schusssichere Corsagen, Schnürstiefel mit extremen Profilsohlen. "Form follows function" ist hier kein Aufruf zur Zügelung des Gestaltungswillens, sondern schlicht Voraussetzung.
Gerade die Abwesenheit jeglicher kreativer Handschrift macht die Bekleidungsstücke und die Fotografien so reizvoll für eine Betrachtung mit dem Besteck der jüngeren Modekritik. Wie von selbst rufen die Aussparungen und Gurte, die gedeckten Weißtöne oder die militärischen Un-Farben Assoziationen zu Helmut Lang oder Martin Margiela aus den späten 1990er-Jahren hervor.
Intellektuelle Unisex-Mode
Als Designer waren sie die Ersten, die derbe Militärmaterialien zu einer intellektuellen Unisex-Mode umdeuten konnten, die das Übersteuerte, Artifizielle der vorangegangenen Generation mit einem maximal harten Bruch ablöste und die noch immer Bestand hat. Wer heute die alten Produktfotos von schwarzen Gummihandschuhen oder von aerodynamischen Brillen aus leichten Materialien sieht, die das U.S. Army Natick Soldier Systems Research in Massachusetts gut ausgeleuchtet unter die Balgenkamera legte, denkt eher "Balenciaga" als "Air Force". Auch die Jedermannsgesichter der Modelle tragen dazu bei – sie wirken aus heutiger Sicht absolut zeitgemäß in ihrer Verneinung von Schönheitsideal oder Glamour.
Wer das Material durch die Brille der Modefotografie betrachtet, die ihrerseits immer das noch nie Dagewesene sucht, kommt auf seine oder ihre Kosten. Die fußt ihrerseits selbst in den 1990ern und setzt bis heute die Maßstäbe: Provokant ungeschönt, situativ und direkt zeigten Fotografen wie Juergen Teller oder David Sims Mode und Models in Magazinen wie "i-D", "The Face" oder "Self Service".
Die visuell geschulte Gegenwart hat also alle Referenzen beisammen, die zur Bewertung und Einordnung dieses außergewöhnlichen Zeitdokuments dienen und die den Band zu einer absolut faszinierenden Fundgrube und Inspiration machen. Wobei einerseits die Mode von Lang und Margiela, überhaupt Cargohosen und Flecktarn, Tunnelzüge und Klettverschlüsse erst in einer Zeit auf die Laufstege kamen, als das Ende des Kalten Kriegs erklärt worden war und militärische Einsätze nicht mehr mit Körpern von Soldaten assoziiert wurden, sondern technischer, vom Menschen abstrahiert erschienen.
Der Abstand zur Sache Krieg war groß genug, als dass man ihn damals als Materiallager anzapfen konnte. So ist das Buch ein historisches Dokument, und eine nachgereichte Quellenangabe zur Modegeschichte. Kaum vorstellbar, dass Helmut Lang, Martin Margiela und andere sie nicht damals schon gekannt haben.