Wenn man vom Türstopper bis zur Yacht so ziemlich alles designt hat, dann hat man es wohl geschafft. Schuhe, Seifenhalter, Stundengläser, erstaunlich viele Ferngläser, Uhren Schmuck: Marc Newson hat das alles gestaltet. Wie umfangreich und ikonisch sein Werk ist, zeigt nun das bei Taschen erschienene Buch "Marc Newson Works 84-24". 496 Seiten hat es, fünf Kilogramm schwer ist es und zeigt auf den ersten Seiten den australischen Designer mit zerrissenen Jeans, langen Haaren und Schrammen am Arm in seinem Studio in den 1980er-Jahren.
Dort arbeitete er mit Aluminiumplatten, die er auf einen Leder-Sandsack hämmerte, um sie zu formen. So entstand 1986 der LC1, eine fließende Chaiselongue in Aircraft-Anmutung, die ein paar Jahre später zu Newsons ikonischen Lockheed Lounge wurde, von dem es nur 15 Stück gibt, und der inzwischen über Sotheby’s oder Phillips de Pury versteigert wird. Und zwar für so viel Geld, wie die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben nicht verdienen (3,7 US-Dollar in einer Auktion 2015).
Newson, seit den 90ern in England arbeitend, steht damit für einen Paradigmenwechsel im Design: Gestaltete Alltagsgegenstände wurden zu Kunstobjekte. Newsons Galerist ist niemand Geringeres als Larry Gagosian.
Emotional und physisch anziehend
Doch Marc Newson hat nicht nur Möbel in limitierter Auflage gemacht, sondern auch recht viele Massenprodukte. Salz- und Pfeffermühlen für Alessi, einen Flaschenöffner für selbige, den Teller-Abtropf-Halter "Dish Doctor" von 1997 für Magis – all das befindet sich in einigen Küchen der Welt.
Viele seiner Objekte sind bauchig, die Formen fügen sich, seine Symmetrien wägt er mit dem Auge ab. Objekte sollten nicht nur emotional, sondern auch physisch anziehend sein. "Verführerisch", sagte er mal in einem Interview, inzwischen spricht er nur noch sehr selten mit der Presse.
Ende der 80er arbeitete er dann mit Dampf, um auch Holz in Sinnlichkeit zu biegen und formte seinen "Wood Chair" aus langen Holzstreifen, die ineinander griffen. Natürlich brachen sie erstmal, verformten sich, passten nicht mehr in das Verstrebungssystem, bis er eine Firma in Tasmanien mit geeigneter Dampfbiegemaschine fand, die den Stuhl, der die Fähigkeiten seines Materials austestet, in kleiner Serie produzierte. Erst später nahm Cappellini den Stuhl mit ein paar Änderungen auf. Newson sollte einige Jahre erstmal darauf verzichten, wieder mit Holz zu arbeiten.
Die Designwelt ist voller Blasen
Ein weiterer ikonischer Entwurf entstand ebenfalls 1988, der "Embryo Chair" für Cappellini. Ursprünglich für eine Ausstellung gefertigt, war der "Embryo" Newsons bisher technisch fortschrittlichstes Projekt. Der spritzgegossene Polyurethanschaum formte sich über einen Stahlrahmen und wurde dann mit Neopren überzogen. Inspiration war hier – na klar – das Surfen. Newson produzierte ungefähr 100 Stühle in verschiedenen Farben, einige waren auch mit Wolle bezogen. Als Cappellini Mitte der 1990er Jahre mit der Produktion begann, nahmen sie durchsichtigen, dehnbaren Stoff, denn das Neopren war in Europa schwer zu beschaffen.
All diese blasenförmigen Designs machten Newsons in der Designwelt bekannt. Und zwar so, dass zu seinen Kunden heute auch Apple gehört, aber auch alle wichtigen Design- und Möbelfirmen mit ihm arbeiten wollen. Für die Lampenhersteller Flos gestaltete er 1997 die Taschenlampe "Apollo Torch", für Knoll 2022 den Schreibtischstuhl "Task". es folgten der "Felt Chair" für Cappellini, Tische für B&B Italia, der "Orgone Chair" von 1993. Es fällt schwer, sich nur auf ein paar ikonische Entwürfe zu beschränken.
Man kann endlos in dem Bildband zu seinem Arbeitsjubiläum hin- und herblättern. Dabei kann man auch einige für heutige Geschmäcker etwas zu runde Formen sehen, froh sein, dass man die 2016 entworfene Kofferserie für Louis Vuitton gar nicht haben möchte. So wie die limitierte Version des Buches, das es auch in Leder eingefasst für 4500 Euro auf dem Markt gibt.
Ein Sextoy als Briefbeschwerer
Man kann sich vor allem aber freuen. Über den Humor, den es in Newsons Werk auch immer wieder gibt. Beim Düsenflieger "Kelvin 40" zum Beispiel, der nach Zukunft aussieht, aber auch ein bisschen blöde und gutgläubig. 2014 gestaltete Newson für Beretta ein Gewehr, in das er japanische Tattos eingravieren ließ. 2002 wurde er von den Londoner Firma Myla beauftragt, ein Sexspielzeug zu entwerfen. Er wollte keinen riesigen Phallus gestalten, so wurde es eine Art bunte, vibrierende Silikon-Brust, von der Marc Newson sagt, dass sie vermutlich weniger für sexuelle Interaktionen, sondern als Briefbeschwerer genutzt wurde.
Ob eine Toilette in Tokio, eine Trophäe für den Prada-Cup, Surfboards, die Azzedine-Alaïa-Boutique in Paris, "Air Vapormax" für Nike, riesige Schreibtische aus Glas, wabenartige Regale aus Marmor, Champagner-Kühler für Dom Pérignon, ein Kochfeld für Smeg, einen Fön für Vidal Sasson, Besteck für Alessi, Töpfe für Tefal, eine First Class Lounge, ja, sogar ein Auto hat Newson in den letzten 20 Jahren gestaltet. Es wäre also vermutlich möglich, durchs Leben zu schreiten und nur von Marc Newson designte Objekte und Räume zu nutzen. Das Werk des Designer, der ja auch erst 60 Jahre alt ist, ist so erstaunlich umfangreich, da kann es – auf Papier gedruckt – auch schon mal fünf Kilo wiegen.