"Manto Tupinambá"

Die Rückkehr des roten Federumhangs

"Jetzt existieren wir": In Brasilien haben die indigenen Tupinambá die Rückkehr eines heiligen Federumhangs aus dem dänischen Nationalmuseum gefeiert. Dieser Freude ging ein jahrelanger Kampf voraus, der längst nicht zu Ende ist

Im Halbkreis stehen "Cacica" Valdelice, die Anführerin, und einige andere Indigene in einer klimatisierten Glaskammer um einen roten Federumhang, bedanken sich bei ihm und huldigen ihm. Die Szene erinnert ein wenig an eine Beerdigung, auch weil das wertvolle Stück in einer Art Holzkiste liegt und bei den Tupinambá Tränen fließen. Aber: "Wir haben geweint vor Freude, ihm jetzt zum ersten Mal zu begegnen", sagt Maria Valdelice Amaral de Jesus, so ihr voller Name, im Gespräch auf dem Gang der Bibliothek in Rio de Janeiro. Der den Indigenen heilige Federumhang ist kürzlich nach mehr als 300 Jahren in Dänemark aus dem Nationalmuseum in Kopenhagen nach Brasilien, in seine Heimat, zurückgekehrt. 

Valdelice und die anderen Vertreter des Volkes der Tupinambá aus Olivença im Bundesstaat Bahia trafen das prächtige Stück, in dem sie nicht nur ein Artefakt sehen, sondern den sie als ancião, als Ältesten betrachten, bereits einige Tage vor der Zeremonie zur Feier von dessen Rückkehr in Rio wieder. Diese wird offiziell in Anwesenheit von Sônia Guajajara, Ministerin für indigene Völker, und Präsident Luiz Inácio "Lula" da Silva gefeiert, so groß ist die Bedeutung des "Manto Tupinambá" für Brasilien und seine Ureinwohner, für die brasilianische Kultur und Wissenschaft, das Nationalmuseum in Rio. 

"Die Rückkehr des Federmantels ist ein Meilenstein", sagt Präsident Lula. "Sie bedeutet die Wiederaufnahme einer Geschichte, die ausgelöscht wurde, die erzählt und bewahrt werden muss wie dieser Mantel." Dutzende Indigene aus Olivença mit Federschmuck und typischer Bemalung, unter ihnen "Cacica" Valdelice, klatschen und schütteln die Maracas, es riecht nach Weihrauch. Erst 2001 wurden die Tupinambá als indigenes Volk anerkannt, galten sogar als ausgestorben. "Jetzt existieren wir", sagt Valdelice. "Der Federumhang bringt das Lebensrecht, nicht nur für die Tupinambá, sondern für alle Ureinwohner." Mit gestärkter Identität hoffen die Anwesenden auf die Abgrenzung und Ausweisung ihres Territoriums als indigenes Schutzgebiet - und die Rückgabe weiterer kultureller Güter.

Ein Umhang war auch in Berlin

"Es gibt einige Objekte auf der Welt - inklusive der anderen 'Mantos Tupinambá' -, über die diskutiert wird", sagt Fernanda Kaygang, Direktorin des Museu do Índio in Rio de Janeiro gegenüber Monopol. 85 Prozent der kulturellen Güter der indigenen Völker Brasiliens sind außerhalb des Landes." Auch in Berlin gab es einen Tupinambá-Umhang, der jedoch im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, wie Amy Buono, Assistenz-Professorin für Kunstgeschichte an der Chapman University, sagt: "Er war 1892 als Leihgabe aus Florenz an das neu gegründete Berliner Museum für Völkerkunde gegangen. In Florenz war er Teil der Medici-Sammlungen von Americana."

Zehn indigene Federumhänge befinden sich nach derzeitigen Kenntnissen noch in europäischen Museen; vier weitere davon in Kopenhagen, die anderen in Brüssel, Paris, Mailand, Florenz und Basel. Im dortigen Museum der Kulturen, das seinen prächtigen Mantel laut Aufzeichnung aus der ehemaligen Sammlung der Geographisch-Comerciellen Gesellschaft in Aarau gekauft hat, ist man durchaus aufgeschlossen für das Anliegen der ursprünglichen Besitzer. 

Beim Besuch der Wissenschaftlerin und Künstlerin Glicéria Tupinambá aus der Serra do Padeiro im Jahr 2022, die zu mehreren ethnologische Museen in Europa reiste, sei klar gewesen, die Indigenen "wollen den Umhang erst einmal nicht zurück, sie wollen kooperieren", sagt Museumsdirektorin Anna Schmid. "Unsere Haltung ist ganz klar: Offenheit, Transparenz, Dialog." Tupinambá bespielt in diesem Jahr den brasilianischen Pavillon bei der Kunstbiennale in Venedig.

"Was ist die Relevanz für Menschen, die mit diesen Dingen auf ihre Art verbunden sind?"

Schmid stellt jedoch auch klar, dass nicht sie die Person sei, die entscheiden kann, ob etwas zurückgeführt wird. Bis zur Bewilligung ist - wie bei der Rückkehr des Federumhangs aus dem dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen -ein Weg durch Kommissionen und Instanzen notwendig. "Es geht für uns nicht nur um rechtliche Fragen", sagt Schmid, die mit historisch belasteten Objekten "aufräumen" möchte. "Sondern auch um die Verletzung von ethischen Prinzipien, aber vor allem um die Frage: Was ist die aktuelle Relevanz für Menschen, die mit diesen Dingen auf ihre Art verbunden sind, die für sie wichtig sind, in ihrem Alltag, ihrem Leben?"

Tupi-Artefakte wurden seit der ersten portugiesischen Reise nach Brasilien nach Europa gebracht, als Beweis für die "Entdeckung“ des neuen Territoriums, als wertvolle Gegenstände für europäische Sammlungen - und als Zierde für europäische Adlige. Mit Sicherheit lässt sich nach Angaben des Nationalmuseum in Kopenhagen nur sagen, dass der rote Federumhang im Inventar des dänischen Königs von 1689 aufgeführt ist. 

Ein Kupferstich aus dem Jahr 1599 im Bestand der Klassik Stiftung Weimar etwa zeigt den Aufzug der "Königin von Amerika" in einem ähnlichen Federmantel am Stuttgarter Hof. Auf einem Ölporträt von 1644 ist Prinzessin Sophie von Hannover ebenfalls mit einem Tupinambá-Cape zu sehen. 

Damit sie selbst zu Vögeln werden

Von den Tupinambá in Bahia im 16. und 17. Jahrhundert aus tausenden Federn des Guará (Scharlachsichler) gefertigt, trugen die Indigenen die roten Federumhänge als Gewänder bei wichtigen Ritualen. Die Indigenen gingen Glicéria Tupinambá zufolge davon aus, dass die Eigenschaften der Federn auf sie übergehen, sie damit selbst zu Vögeln werden. Daher auch der Titel ihres Projekts "Ka'a Pûera: nós somos pássaros que andam" (Ka'a Pûera: Wir sind wandelnde Vögel), mit dem die Künstlerin Brasilien bei der Biennale Venedig vertritt. Das aus Dänemark zurückgekehrte Federcape der Tupinambá gilt als das bedeutendste aus Brasilien stammende Artefakt, das außerhalb des Landes gewesen war. 

Rund 200 Indigene vor allem aus Olivença sind an diesem Vormittag einige Tage vor der Zeremonie zur Parkseite der Bibliothek gekommen. Rund 1300 Kilometer angereist von ihrem Territorium im Bundesstaat Bahia, campen sie seit einigen Tagen in der Quinta da Boa Vista, dem Sitz des Nationalmuseums, das den Federumhang in der Bibliothek aufbewahrt. 

Die Menschen im Park begrüßen den Federmantel mit dem Ritual da Jurema, einer Zeremonie aus der Zeit vor der Ankunft der Kolonisatoren, bei der sie unter anderem singend und tanzend den Kontakt zu ihren Vorfahren herstellen. Die indigene Kultur umfasst mehrere Dimensionen und eine reichhaltige Weltsicht. "Cacica" Valdelice und die Tupinambá beziehen sich auf den Federumhang wie auf eine Person, sprechen mit ihm - und der Umhang antwortet. 

Langer Kampf um die Rückkehr

So war es Erzählungen zufolge, als Valdelices inzwischen verstorbene Mutter Nivalda Amaral de Jesus, bekannt als "Amotara", 2000 den Federumhang sah. Er war damals aus Dänemark ausgeliehen und in der Ausstellung "Brasil + 500: Mostra do Redescobrimento" zum 500. Jahrestag der "Entdeckung" des Landes im Ibirapuera-Park in São Paulo ausgestellt. Und der Umhang"erkannte" Nivalda Amaral de Jesus. Der Anstoß zu einem langen Kampf um die Rückkehr des Objekts, der sich in den vergangenen Jahren intensivierte. Außer den Tupinambá aus Olivença schrieben auch jene aus der Serra do Padeiro und das Nationalmuseum in Rio über die brasilianische Botschaft an das Nationalmuseum in Kopenhagen. Ein dänischer Fachausschuss analysierte die Argumente und empfahl dem Kulturministerium, dem Antrag stattzugeben. 

So war es auch, als der Umhang 2022 für Glicéria Tupinambá aus der Vitrine des dänischen Nationalmuseums geholt und ins Labor gebracht wurde. Und er sie fragte, wo sie so lange gewesen sei. Und so ist das, als Valdelice dem Federumhang in der Bibliothek des Nationalmuseum in Rio an diesem Sonntag im September 2024 wieder begegnet und der Umhang der "Cacica" sagt, er sei zurückgekehrt, um die zahlreichen Landkonflikte zu lösen, die indigene Gemeinschaften in ganz Brasilien bedrohen. 

Seit dem ersten Schritt in Richtung Demarkierung ihres Territoriums 2009, das sich über eine Fläche von 47.000 Hektar und drei Gemeinden erstreckt, hat sich nichts mehr getan, was zu Landraub, etwa durch Kakaobauern, führt. Auf die Frage, was der rote Federumhang dazu beitragen könne, antwortet "Cacia" Valdelice: "Allein, dass er nach Brasilien gekommen ist, trägt schon dazu bei." 

Klima als Herausforderung

Die Rückgabe an das Nationalmuseum in Rio ist dabei nicht ganz unumstritten gewesen, die Tupinambá aus Valença forderten, der Federumhang sollte zu ihnen nach Bahia kommen. Glicéria Tupinambá weist dies am Telefon jedoch als nicht praktikabel zurück: "Mit der Sonne und dem Regen würde der Umhang im indigenen Gebiet nicht lange überleben." Schon in Rio de Janeiro ist die Klimasituation offensichtlich ganz anders als in Kopenhagen.

Vor allem das schwüle Wetter im tropischen Rio stellt Ana Luiza Castro do Amaral zufolge eine Herausforderung dar. Immer wieder prüft die Chefin des Labors für Konservierung und Restaurierung Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Licht in der Glaskammer der Bibliothek. Mit einem Spezialtransport wurde das Exponat aus dem Depot hierher gebracht. Castro do Amaral befürchtet etwa, dass wegen des für den Umhang ungewöhnlichen Klimas Federn brechen oder von Pilzen befallen werden könnten. 

Entsprechend überraschend kommt die Aussage von Präsident Lula, der aus dem Bundesstaat im Nordosten Brasiliens stammt, bei der Begrüßungszeremonie in Rio: "Ich hoffe, dass alle verstehen: Der Platz des Federumhangs ist nicht hier. Der Gouverneur von Bahia [ein Parteikollege des Linkspolitikers] hat die historische Verpflichtung, einen Ort  Platz zu errichten, um den Umhang empfangen zu können." 

"Es reicht nicht, die kulturellen Güter der Indigenen zurückzuholen"

Unter anderem die Älteste Yakui Tupinambá hatte sich beklagt, dass das Volk den Federumhang nicht mit ihren Ritualen hätten begrüßen dürfen, als er im Juli unter Stillschweigen in Brasilien ankam. Der Staat wurde beschuldigt, dieser behandle "einen 400 Jahre alten Waisen wie ein Eigentum". Lula, ein Instinkt-Politiker, reagiert schnell und legt nach, die Indigenen applaudieren. Auch bei weiteren Rückgaben würde sich allerdings die Frage nach Aufbewahrung und Ausstellung stellen. "Es reicht nicht, die kulturellen Güter der Indigenen zurückzuholen", sagt Fernanda Kaygang, Direktorin des Museu do Índio in Rio. Zuvor müssten Territorien gestärkt und die Museen auf Vordermann gebracht werden. 

Das von dem Ethnologen Darcy Ribeiro gegründete Museu do Índio in Rio etwa ist seit Jahren wegen Renovierung geschlossen, inzwischen sind immerhin die Gärten für Publikum geöffnet. "Es fehlt an Investitionen", sagt Direktorin Kaygang. Das Museu Nacional in Rio befindet sich nach einem verheerenden Großbrand 2018 im Wiederaufbau.

Während der heilige "Manto Tupinambá" bis zur geplanten Wiedereröffnung 2026 also nur für Indigene, Wissenschaftler und andere besonders Interessierte zu besuchen sein wird, hat er bereits anderweitig Wege in das Leben der Brasilianerinnen und Brasilianer gefunden. So war der Federumhang etwa Thema einer Aufnahmeprüfung für eine Universität und soll Thema beim weltberühmten Karneval in Rio im kommenden Jahr sein - sehr zur Freude von "Cacica" Valdelice und ihrer Mitstreiter.