Daniel Josefsohn im Interview

"Man macht keine Fotos, um gesellschaftsfähig zu sein"

Werbung, Mode, Kunst. An Daniel Josefsohn bleibt kein Label lange haften. Monopol hat den Berliner Fotografen 2014 zum Gespräch getroffen

Daniel Josefsohn ist immer noch wie einer dieser schwer Erziehbaren, die dauernd Aufmerksamkeit brauchen, Reaktion, Auseinandersetzung. Die Problemkinder kennen das: Lieber Stress haben, als dass gar nichts los ist. In seinem Atelier klingeln ständig mehrere Telefone. Der Fotograf schreit in den Lautsprecher, ruft Liebesschwüre und flucht zugleich, schafft es binnen einer Sekunde spielend, erst laut und dann sehr liebenswürdig zu sein. Was Daniel Josefsohn nicht leiden kann: Wenn es langweilig ist. Standardsituationen sind nichts für ihn, das merkt man dem Menschen genau so an wie seinen Fotografien.

Daniel Josefsohn wurde in den 90er-Jahren mit der Einführungskampagne von MTV Germany blitzartig berühmt. Vor zwei Jahren erlitt er einen Schlaganfall. Seitdem ist seine linke Körperseite beeinträchtigt. Sein Leben als einer der einflussreichsten deutschen Fotografen geht trotzdem weiter. Kürzlich hat sich Josefsohn zum Beispiel den Erker seiner Berliner Wohnung zu einem Fotostudio umgebaut, mit einem lichtschluckenden schwarzen Hintergrund und schön diffusem Tageslicht. Theatergrößen wie Frank Castorf, Martin Wuttke, René Pollesch und der Schriftsteller Daniel Kehlmann waren schon hier, um sich porträtieren zu lassen.

Jetzt kommt Josefsohns erstes großes Buch "OK DJ" heraus, und beim Blättern kann man feststellen, wie sehr seine Bildsprache die visuelle Kultur der vergangenen 20 Jahre geprägt hat. Eine Fotografie, in der das Unmittelbare, Unperfekte, auch Schmutzige und Spaßige immer wichtiger war als die stimmige Ästhetik. Auf Josefsohns Fotos ist klar, dass der Typ, der diese Bilder macht, auch Akteur ist. Der Provokateur, den es braucht, damit die Bilder entstehen, die er haben will. Ein Porträt des Basketballers Dirk Nowitzki? Nur im Bananenkostüm. Die Kampagne für einen Herrenausstatter? Kurz vor einem öffentlichen Ärgernis, nein, eigentlich schon drüber. Das Buch ist keine chronologische Monografie, der Künstler hat die Bilder selbst zusammengestellt, jedes Porträt einer Berühmtheit wird visuell auf typische Josefsohn-Art gekontert, ob es sich um Franz Beckenbauer handelt oder um Monica Lewinsky. Die gut gelaunte Widerspenstigkeit macht Daniel Josefsohn ungeeignet für jede Schublade. Mode, Kunst, Werbung – gute Bilder kommen überallhin.


Daniel Josefsohn, es gibt ein sehr schönes Selbstporträt von Ihnen, das kürzlich entstanden ist: Sie tragen den Nerzschal Ihrer Großmutter und merken an: "Widerstand kleidet immer."
Meine Großmutter war die Einzige aus der Familie meiner Mutter, die Auschwitz überlebt hat. Sie ist nach Kriegsende nach Israel ausgewandert. Sie war eine sehr lebenskluge Frau. Ihren Schal liebe ich über alles. Frank Castorf war der Erste, den ich mit diesem Schal fotografiert habe. Er hatte mich gebeten, im Zuge seiner "Ring"-Inszenierung das offizielle Foto für die Bayreuther Festspiele von ihm zu machen. Mit dem Schal wollte ich ursprünglich alle Wagner-Familien aus Bayreuth fotografieren. Also nicht die vom Grünen Hügel, sondern die Reifen- Wagner und alle anderen Normalsterblichen, die Wagner heißen und zufällig in Bayreuth wohnen.

Mit einem Accessoire lenken Sie Bilder in eine bestimmte Richtung. Manchmal sogar ganze Bilderserien. Wie etwa die mit den "Star Wars"-Stormtrooper-Helmen, von denen das wichtigste wohl "Lieber Helmut lieber George ich wollte auch mal mit der Eisenbahn spielen" heißt.
Die Fotos waren eher gesellschaftskritisch motiviert. George Lucas und Helmut Newton waren nur die oberflächlichen Bildreize, mit denen ich spielen wollte. Aber im Grunde ging es mir um diese ganze Alice-Schwarzer-Polemik, die in dem Newton-Bild immer noch drinsteckt. Ist das Kunst? Ist das Pornografie? Ist das Erotik? Übrigens hat die Hälfte der Frauen, die man auf meinem Bild sieht, inzwischen einen Doktortitel. Keine davon ist ein professionelles Model gewesen.

Das Bild ist perfekt inszeniert, Ihr fotografischer Stil ist aber sonst eigentlich sehr unmittelbar.
Ich will überhaupt nicht, dass man mich auf einen bestimmten Stil festlegen kann. Für mich ist ein Foto gut, wenn die Idee gut ist. Ich würde eher sagen: Der Stil wird wesentlich über die Bildidee bestimmt und nicht umgekehrt.

Wie vor dem Haus des sogenannten Kannibalen von Rotenburg ein paar Skateboards hinzustellen?
Mach mal etwas über die dunkle Seite des Menschen! So ungefähr lautete der Auftrag. Mit Kannibalismus ist einfach eine solche Schmerzgrenze überschritten. Das will man sich eben nicht wirklich vorstellen. Deshalb sind wir das Ganze ein bisschen wie in einem schlechten "Tatort" angegangen. Wir sind als Spurensicherung verkleidet da hingefahren, mit diesen weißen Overalls, auf die wir mit Edding "Polizei" geschrieben hatten, und mit meinem Hund Jesus. Dann haben wir die Straße gesperrt und in Ziploc-Beuteln Fleisch ausgelegt. Es war eine Art Trockenübung, aber in einem sehr, sehr realen Setting. Das Foto heißt übrigens "Evidence".

Sie gehen provokativ in Grenzbereiche. Warum dekorieren Sie eine Burka mit einem "Disco sucks"-Aufnäher?
Das Foto entstand ohne bestimmten Auftrag. Eine Freundin fuhr nach Afghanistan, und ich wollte unbedingt, dass sie mir eine Burka mit bringt. Sie war nicht schwer zu besorgen, ich bekam also die Burka – und war ziemlich enttäuscht. Ich hatte sie mir irgendwie komplizierter oder interessanter vorgestellt. Dann fand ich in meiner Skateboardkiste den perfekten Aufnäher, habe ihn mit Sicherheitsnadel am Stoff befestigt, und plötzlich ging es für mich nicht besser. Ich habe das Bild wegen der jüngsten Ereignisse "Blitzkrieg" genannt.

Wie stehen Sie eigentlich zu Terry Richardson?
Wie soll ich zu ihm stehen? Er ist ein wahnsinnig gut bezahlter Fotograf, der es lange Zeit geschafft hat, in der Werbung seine persönliche Spielwiese zu etablieren. Und alle haben ihn dafür geliebt.

Dafür ist er gesellschaftlich jetzt ziemlich erledigt, nachdem ihm mehrfach Missbrauch seiner Models vorgeworfen wurde.
Man wird meistens aus genau denselben Gründen gehasst, aus denen man vorher geliebt wurde. Ich schätze, Terry Richardson wird es überleben. Er hat viel Geld damit verdient. Abgesehen davon macht man ja keine Fotos, um gesellschaftsfähig zu sein.

Was haben Sie eigentlich dagegen, mit Modefotografie in Verbindung gebracht zu werden?
Jedes Foto, das ich in meinem Leben gemacht habe, kann man irgendwie auch mit Mode in Verbindung bringen. Im besten Fall halten die Bilder ein Lebensgefühl fest, in dem sich viele wiedererkennen können, das aber trotzdem nichts anderes macht, als Individualität zufeiern. Ich liebe Mode, und ich liebe auch gute Modefotografie. Aber für mich gibt es kaum einen besseren Modefotografen als Wolfgang Tillmans. Der war der absolute Superstar, wenn es darum ging, Mode festzuhalten, wie sie einfach getragen wurde. Nicht die unerreichte Modewelt von ein paar Tausend Leuten, die sich Haute Couture leisten können.

Die Straße ist wichtiger als der Laufsteg.
Ja, auch meine Galerie war lange der Bauzaun. Als 1994 die MTV-Kampagne rauskam, war ganz Deutschland bepflastert mit der Kampagne, die ich gemeinsam mit Chris Rehberger gemacht habe. Sie war extrem ehrlich: "Miststück – willkommen zuhause", "Egoist – willkommen zuhause", "Schlecht
angezogen, du stinkst, willkommen zuhause". Diese Ehrlichkeit hat diese Generation auch sehr ernst genommen und geschätzt. Dadurch wurde diese Kampagne so erfolgreich – und ich Rockstar. Das habe ich für mich als Standard gesetzt: möglichst solche Sachen zu machen, die ehrlich sind. Ich mag auch gute Werbung gerne, wenn sie ehrlich und cool ist. Davon gibt es aber leider zu wenig, weil die Kunden ängstlich sind. Und der Etat schnell weg ist. Die Ehrlichkeit muss man auch aushalten.

Das unterminiert natürlich oft die eigentlichen Interessen von Konzernen. Ihr Foto "Anus" zeigt die Models einer großen Modenschau unter einer Autobahnbrücke.
Es ist so nebenbei entstanden. Das sind Models von Hugo Boss, die kiffen gegangen sind nach der Show. Ich bin hinterhergelaufen und fand sie, wie sie an der Brücke einen durchzogen. Aber es ist ja völlig egal, ob das Models sind. Sondern es geht um diesen Moment der Freiheit: bekifft auf einer leeren Autobahn zu stehen ...

Sind Sie genervt von der Modewelt?
Gar nicht, aber sie muss eben klug sein. Am schlimmsten finde ich diese schlechten Parfüms. Wer kein Geld für Gucci-Taschen hat, der kriegt dafür die Möglichkeit, sich für 60 Euro einen Duft zu kaufen, auf dem dann auch Gucci steht. Vielleicht sollten sie die Parfümverpackungen mit Henkeln versehen, damit man sie auch als Taschen zwischennutzen kann.

Sie haben mal etwas Ähnliches für das Berliner Label Bless fotografiert: einen Stein mit Bless-Label und Henkeln.
Ja, das war auf einer Islandreise, auf einem Geröllfeld. Wir haben den Bless-Stein dann überallhin mitgenommen. Bless ist für mich das beste Modelabel überhaupt. Das ist Kunst zum Tragen, aber da muss man mit seinem Verständnis von Mode erst mal hinkommen, das muss man sich erarbeiten.

Sie sind auch mit Bless-Objekten nach Äthiopien gefahren und haben sie den Einheimischen aufgesetzt.
Dieser Typ mit dem Zweiteiler von Bless, aus Perücke und Sonnenbrille, hat in seinem Leben noch nie etwas von Mode gehört. Oder die junge Frau mit der Rot-Grün-Brille. Die wurde wahrscheinlich mit zwölf Jahren verheiratet, aber
die ist für mich ein Topmodel, weil sie in dem Moment die Brille mit der größten Freiheit und Selbstverständlichkeit getragen hat. Das strahlt sie eben auch aus. So was kann man nicht inszenieren.

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Monopol 10/2014.

Lee Mingwei "The Letter Writing Project", 1998/2017, Installationsansicht "Peace", Schirn Kunsthalle Frankfurt