Die beliebteste Abwehrhaltung beim Betrachten von Kunst - dann, wenn man nicht erfahren möchte, was der Künstler sich dabei gedacht hat, weil man Sorge hat, man könne es nicht verstehen - lautet: Das kann mein Kind auch. So stehen sie vor Nitsch und Pollock und wollen nichts wissen über Menstruationsblut-Neid und Psycho-Krankheiten und sagen: "Haha, hoho, das ist doch aus dem Kindergarten!"
Diese Abwehrhaltung gegenüber Inhalten ist es, die zumindest zum Teil erklärt, wie es zum größten internationalen Kunst-Hype seit Leon Löwentraut kommen konnte. Diese Entzauberung von Wissen und Können. Der Glaube daran, dass die sogenannte Kreativität in uns allen steckt und der Aufruf "Express yourself!" uns zu einem wahreren Ich führen könnte.
Doch stopp, einen Schritt zurück, was ist denn hier schon wieder los? Folgendes: Es gibt einen neuen Kunststar – wenn man der internationalen Presse Glauben schenken mag. Und der ist kürzlich drei Jahre alt geworden. Laurent heißt er, Schwarz mit Nachnamen. Aus Bayern. Und er hat keine Angst vor Farben. Sowohl was ihren Ton, als auch was die Menge betrifft.
Eine klare künstlerische Vision
Er arbeitet mit Farbrollen, kratzt mit dem Pinsel in die Schichten. Und seine Mutter Lisa sagt, man könne in den abstrakten Bildern sehr deutlich auch sein Interesse an Dinosauriern und Elefanten erkennen. Laurent habe eine klare Vision, was die Farben angeht, die er benutzt. Braun und andere langweilige Farben, interessierten ihn nicht. Die Videos, die es im Internet vom Schaffensprozess des Kunststars zu sehen gibt, schätzen Kunstkenner als "hypnotisch".
Aber wie konnte es dazu kommen? Die Antwort ist: Instagram. Am 12. Dezember 2023 wurde wohl das erste Video hochgeladen, wenn denn beim Account Laurents.Art nachträglich nichts gelöscht wurde. Zur Melodie von "Jingle Bells" wird da beschwingt von einem Kleinkind in roter Strumpfhose und bunter kleiner Malerschürze der Untergrund bearbeitet.
Am 14. Dezember wird dann schon der zweite Post hochgeladen. Alles so angerichtet, wie der Algorithmus es liebt: Bewegtbilder, Menschen, Kinder, Musik drunter, Hashtags, kalenderspruchartige Picasso-Zitate. Genres werden bedient durch "Imagination vs. Reality"-Videos und auch "Failing"-Videos gibt es zu sehen, in denen der junge Künstler Pinsel und Farben wegwirft, was in den Captions als freier Kinderwille gefeiert wird, aber auch auf das Abhandenkommen einer Muse zurückgeführt wird.
Das Social-Media-Monster füttern
Laurents Account, der von seiner Mutter betrieben wird, zeigt also diesen ganzen Instagram-Mist, mit dem man als dünne in die Kamera sprechende Frau heute in Berlin Karrieren aufbaut (und für den man schon Freundschaften beendet hat). Natürlich gibt es auch User-Involvement, in dem Fragen gestellt werden wie: "The Train. What can you see in my second picture?" Alles auf Englisch, denn das scheint Mutter Lisa schnell erkannt zu haben: Laurent wird in der ganzen Welt gesammelt werden. "Describe my new masterpiece in the comments!" steht dann da, und: "Have you ever expressed your creativity in nature? Tell me about your experiences!"
Follower dürfen auch darüber abstimmen, wie gelungen die Titel der Bilder sind - die Mutter Lisa nach Absprache mit Sohn Laurent wählt. Klar, ist auch unwahrscheinlich, dass ein bayerischer Dreijähriger ein Gemälde "Who Let the Dogs Out" nennen würde. Also alles in allem kann man sagen, dass hier neben künstlerischem Talent vor allem auch jemand ganz genau weiß, wie man das Social-Media-Monster füttert.
Und so geschah, was geschehen musste: am 29. Mai berichtet die "Bild"-Zeitung, Deutschlands Fachpublikation für Emotionen und Sensationen – und zwar auf dem Titelblatt. Einen Tag später posten die Eltern den Artikel der englischen "Times" und zwar mit der guten Titelzeile "The pint-size Picasso".
Karrierestart im Mal-Hotel
Dessen Bild aus seiner "schwarzen Phase", das am 26. Dezember 2023 auf Instagram gezeigt wurde, hat heute einen roten Kreis in der Bildbeschreibung "Sold". Auch kündigen Laurents Eltern die erste Ausstellung an. Mit zwei Jahren nimmt er an der Messe Art MUC teil: organisiert durch die Galerie Gaudi, die sonst eher Kunst aus dem Bereich zeigt, der in US-amerikanischen Hotelketten hinterm Frühstücksbüffet hängt.
Passenderweise wurde Laurents Talent auch in einem Hotel entdeckt, das einen Malraum hatte, aus dem das Kind nicht rauszukriegen war, so erzählte die Mutter es der Presse. Das Haus wirbt nun bereits damit, dass der Junge dort seine Karriere begann.
Im Juni berichtete die "New York Post", dass seine Bilder von Käufern nur so aus den Regalen gerissen werden. Im August wurden die ersten Marketingdeals verkündet. Preise kletterten sechsstellig, Laurents Mutter erzählte, dass es eine Warteliste gibt, 20.000 Menschen stehen darauf. Laut "Spiegel" wurde jüngst aus den USA eine Summe von über 300.000 Euro geboten. Da trägt der Künstler noch Windel.
Klar ist das Kinderarbeit
In seinem kleinen bayerischen Heimatdorf tauchen nun immer mal wieder Fans auf und warten, bis das Kind raus kommt zum Spielen. Was creepy klingt, ist creepy. Und klar ist das Kinderarbeit, aber machen Sie sich keine Sorgen: Laurent lebt immer noch in Deutschland, Jugend- und Finanzamt sind bereits involviert. Und die Eltern beteuern, das Geld werde auf einem Konto geparkt, bis Laurent 18 Jahre alt ist. Die Leute seien eben neidisch.
Vielleicht ärgert sich jetzt jeder, der seinem Dreijährigen mal eine Leinwand vor die Nase gestellt hat, um den freien Ausdruck zu fördern. Denn wenn man genügend Material zur Verfügung stellen kann, finanziell und reinigungstechnisch gesehen, dann sind die Ergebnisse doch bei vielen Kindern ähnlich gut.
Was hätten wir verdienen können an den süßen Kleinen. Diese müssten fortan gar nicht mehr an eine Karriere als Fußballprofi glauben, damit Vati und Mutti sich vielleicht in Zukunft auch ihr teuerstes Hobby leisten können, das Wohnen.
Kunst für Menschen, die nichts wissen wollen über Menstruationsblut-Neid
Doch es ist jetzt nicht so, dass Laurent aus einfachen Verhältnissen kommt. Ein Haus, in dessen Dachboden er wirken kann, ein Whirlpool, wo er sich nach getaner Arbeit entspannen kann, nennen die Eltern ihr eigen. Laurent muss also nicht malen. Aber er kann. Sein Erfolg ist, wie bei so vielen, durch das Elternhaus bedingt.
Finden wir Laurents Kunst deswegen schlecht? Überhaupt nicht! Denn er scheint zu wissen, wann er aufhören sollte mit einem Bild – er sagt dann "Mama, fertig" – und es gibt bei ihm Bildabschnitte und nicht die kindertypische Bildüberfrachtung. Kann man sich über das Sofa hängen. Laurent macht Kunst für Menschen, die nichts wissen wollen über Menstruationsblutsneid. Muss man doch auch akzeptieren. Aber Instagram sollte man halt dringend bald abschalten.