Maison Gainsbourg in Paris

Einmal Nostalgie, bitte!

Dunkle Wände, volle Aschenbecher, ein Steinway-Flügel: Das Haus des 1991 gestorbenen Musikers Serge Gainsbourg war jahrzehntelang unberührt. Jetzt hat seine Tochter Charlotte daraus ein Museum gemacht. Was bleibt dort von der Legende übrig?

Rue de Verneuil Nummer 5: Diese Adresse im Pariser Viertel Saint-Germain-des-Prés ist längst zum Mythos geworden. Jahrzehntelang war die Fassade des Hauses eine Art inoffizielles Denkmal: überzogen mit Liebesbotschaften, Songtexten, Kritzeleien – ein Ort, den Fans zu ihrem eigenen gemacht hatten. Sie hinterließen Zigarettenstummel, manche legten Wintergemüse vor die Tür, eine Anspielung auf Serge Gainsbourgs Spitznamen "L’homme à tête de chou" – Kohlkopf. Jetzt ist das Maison Gainsbourg nicht mehr nur Pilgerstätte, sondern offiziell ein Museum. Doch das Gefühl, dass dieses Haus mehr ist als eine bloße Ausstellung, bleibt.

Serge Gainsbourg (1928–1991) war vieles: Chansonnier, Provokateur, Dandy, Poet. Geboren als Lucien Ginsburg, wuchs er als Sohn russisch-jüdischer Immigranten in Paris auf. Sein Vater war Pianist, seine Mutter Sängerin, die Musik lag ihm im Blut. Doch erst mit über 30 Jahren, nach einer gescheiterten Karriere als Maler, fand er seinen Weg ins Musikgeschäft. 

Seine Songs waren oft Grenzgänge – zwischen Genie und Skandal, zwischen Hochkultur und Pop. "Je t’aime… moi non plus", das berüchtigte Duett mit Brigitte Bardot (später neu aufgenommen mit Jane Birkin), wurde in mehreren Ländern verboten und machte ihn (wahrscheinlich gerade deshalb) weltberühmt. Er schrieb Chansons für France Gall, entwarf Konzeptalben wie "Histoire de Melody Nelson", experimentierte mit Reggae und Elektropop. Doch Gainsbourg war auch eine Kunstfigur, ein Mann der Masken, der seinen eigenen Mythos mit Zigarettenrauch und Wortspielen umhüllte.

Frankreichs wildestes Liebespaar

Neben ihm lange Jahre Jane Birkin (1946–2023), die britische Sängerin und Schauspielerin, mit ihrer Zahnlücke, dem androgynen Stil und dem unverwechselbaren Akzent eine Ikone der 1970er-Jahre. 1968 lernten sie sich am Set des Films "Slogan" kennen. Birkin, frisch geschieden von John Barry, hielt Gainsbourg anfangs für unerträglich arrogant. Er sie für eine naive Britin. 

Doch nach einer durchzechten Nacht – die mit ihm schlafend auf einem Hotelbett endete und ihr, die ihm als Abschiedsgruß eine Single zwischen die Zehen steckte – änderte sich alles. Bald darauf waren sie Frankreichs wildestes Liebespaar – exzessiv, stilprägend, öffentlich. 1969 wurde "Je t’aime… moi non plus" veröffentlicht, im selben Jahr zogen die beiden in das Haus in der Rue de Verneuil. Nach elf Jahren endete die Beziehung, doch die Verbindung blieb, nicht zuletzt durch ihre gemeinsame Tochter.


Charlotte Gainsbourg, 1971 geboren, ist selbst längst eine Ikone. Schauspielerin, Musikerin, Muse des Modehauses Saint Laurent, eine der faszinierendsten Künstlerinnen ihrer Generation. Ihre Filmkarriere begann früh – mit zwölf Jahren stand sie mit Catherine Deneuve vor der Kamera, später arbeitete sie mit Lars von Trier an radikalen Rollen in "Antichrist", "Melancholia" und "Nymphomaniac". Ihre Musik, eine Mischung aus flüsterndem Chanson und melancholischem Pop, ist ebenso geprägt von ihrer Familiengeschichte wie ihre öffentliche Person. Ein Leben lang wurde sie mit ihrem berühmten Vater verglichen, immer wieder in Interviews nach ihm gefragt. Im September 2023 hat sie seinen größten Schatz – das Haus – für die Öffentlichkeit geöffnet.

Betritt man nun endlich das Maison Gainsbourg, fühlt es sich an, als hätte man die Schwelle zu einer anderen Epoche überschritten. Schwarz dominiert – an Wänden, Decken, Möbeln. "La rigueur absolue", nannte er es: absolute Strenge. Der Rundgang beginnt mit Charlotte Gainsbourgs Stimme. Ihr "Soundwalk" ist keine nüchterne Museumsführung, sondern eine intime Erzählung, in der Kindheitserinnerungen und Beobachtungen verschmelzen. Sie erzählt von ihrem Vater, von seinen Gewohnheiten, seinen Obsessionen, seiner Einsamkeit. Nach der Trennung von Jane Birkin sei die Rue de Verneuil "zum Haus eines einsamen Mannes" geworden, sagt sie – und fügt hinzu: "Aber er mochte die Einsamkeit eigentlich nicht."

Das Wohnzimmer ist noch immer so, als hätte Gainsbourg es gerade erst verlassen: ein Aschenbecher, randvoll mit alten Zigarettenstummeln, eine zerlesene Zeitung aus den 1980er-Jahren. Ein fast lebensgroßes Porträt von Brigitte Bardot steht auf dem Boden, daneben Familienbilder. Es gibt einen Tisch mit Polizei-Abzeichen – Andenken an Wetten, die Gainsbourg immer gewann und die er sammelte wie andere Briefmarken. Dazu Handschellen, mehrere Keyboards. Und natürlich den Steinway-Flügel, auf dem der Musiker ständig spielte und den man von etlichen Fotos kennt.


Die Küche, klein und dunkel, ist kaum ein Raum für große Kochkünste. Auf den Regalen über dem Herd stehen Weinflaschen – vor allem Jahrgänge aus Gainsbourgs Geburtsjahr 1928. Der kleine Esstisch ist gedeckt. Der Meister aß immer mit derselben Gabel, die er einst im Pariser Restaurant Maxim’s gestohlen hatte. Neben der Tür hängt ein Plakat mit einem Zitat des Musikers: "Paradis, c’est l’enfer" ("Das Paradies ist die Hölle") steht darauf. 

Hinten führen ein paar Holzstufen ist einen Raum, dessen Tür verschlossen bleibt. Es handelt sich um Charlottes Kinderzimmer. "Ich erinnere mich daran, wie ich in meinem Kinderbett lag und den Gesprächen meiner Eltern in der Küche lauschte", erzählt sie mit sanfter Stimme in der Audiotour.

Jedes Detail hier erzählt eine Geschichte, aber vielleicht keine, die sich endgültig entschlüsseln lässt. Im Obergeschoss stehen abgetragene weißen Schuhe in der Garderobe, helle Jeans und abgewetze Hemden hängen auf den Bügeln. Im Büro sieht man gebrauchte Bücher von Rimbaud, Verlaine und Fra Angelico. Ein Plattenspieler steht auf dem Boden, halb verdeckt von einem braunen Ledersessel. 

Der Kronleuchter im Badezimmer

Weiter hinten, fast am Ende des langen, dunklen Flurs, befindet sich ein Badezimmer. An der Decke hängt ein opulenter Kronleuchter, die Badewanne nimmt den Raum fast komplett ein. Charlotte erzählt, wie sie dort ausgiebige Bäder nahm, gemeinsam mit ihrer Mutter und Kate Barry, der ältesten der drei Birkin-Töchter, die schon 2013 nach einem Sturz aus einem Fenster ihrer Pariser Wohnung verstarb.

Das Schlafzimmer bleibt der tiefste Einschnitt des Rundgangs. Hier, in schwarzem Samt, auf niedrigen Matratzen, verbrachte Serge Gainsbourg die Nächte mit Jane Birkin. "Das war ihr Tempel, ihre Domäne", sagt Charlotte Gainsbourg. Es ist der stillste, intensivste Raum: viel Schwarz, die Bettpfosten zeigen skulpturale Tierfiguren, ein großer Kerzenständer steht in der Ecke. 

Fast ein wenig düster, wäre da nicht die Packung Smarties auf dem Nachttisch. Hier starb Gainsbourg am 2. März 1991. Als Charlotte ihn fand, im Bett liegend und eiskalt, sei die Zeit stehen geblieben. Draußen auf der Rue de Verneuil versammelten sich an diesem Tag die Menschen und sangen "Je suis venu te dire que je m’en vais" – ein Lied über Abschiede, geschrieben lange vor seinem eigenen.


Heute führt Charlotte Gainsbourg das Erbe ihres Vaters weiter. Fast 30 Jahre hat sie gebraucht, um das Haus zu öffnen. Ihr Verhältnis zu diesem Ort sei komplex: eine Mischung aus Heimsuchung und Heilung. "Ich kam nach seinem Tod hier her, um ihm nahe zu sein", erzählt sie. Sie ging nicht zum Friedhof, sie kam nach Hause. Neben dem Maison Gainsbourg wurde eine Museumserweiterung eröffnet – mit Ausstellungen, einer Buchhandlung und einer Piano-Bar namens "Le Gainsbarre".

Der Name spielt auf den Spitznamen an, den sich Gainsbourg Ende der 70er-Jahre selbst gab: "Gainsbarre" – eine Mischung aus seinem Nachnamen und dem französischen Wort für Stange oder Balken. Es war sein Alter Ego, eine Karikatur seiner selbst, die er in seinen letzten Jahren immer stärker verkörperte, eine gleichzeitig schillernde und tragische Figur. Während Gainsbourg der raffinierte Poet war, der mit Sprache jonglierte, wurde "Gainsbarre" zur Verkörperung des Exzesses – zynisch, trinkend, provozierend. In seinem Song "Ecce Homo" beschrieb er diesen Wandel, der in den 80er-Jahren immer deutlicher wurde.

Es scheint, als läge der wahre Kern von Gainsbourgs Innerem noch immer in den dunklen Räumen der Rue de Verneuil: in den Spuren von Zigarettenrauch, dem Aftershave im Badezimmer, den teils bizarren Memorabilien. Tatsächlich meint man, der Hausherr könnte einen jederzeit bei der Tour unterbrechen – einfach durch die Tür treten, einen Gitanes-Stummel in den Aschenbecher schnippen und sich ans Klavier setzen.