Künstlerinnen gab es zu allen Zeiten, doch erst 1919 wurden die ersten Frauen in Deutschland offiziell als Kunststudentinnen angenommen. Gut ein Jahrhundert später geben die beiden Berliner Künstlerinnen Janine Mackenroth und Bianca Kennedy das Buch "I Love Women in Art" heraus, in dem 100 Frauen aus dem Kulturbetrieb jeweils eine Künstlerin vorstellen. Gerade läuft zur Publikation eine "Startnext"-Kampagne, die zur Finanzierung beitragen soll. Wir haben mit den beiden über die Rolle von Künstlerinnen heute und ihr eigenes Kunststudium gesprochen.
Frauen dürfen seit 100 Jahren an Kunstakademien studieren. Was ist über diesen großen Schritt bekannt?
Janine Mackenroth: Bis auf wenige Ausnahmen, wie die Akademie in Kassel, öffneten sich die Kunstakademien in Deutschland mit der Einführung des Frauenwahlrechts ab 1919. Eine gute Quelle bietet hier die Dissertation von Anne Kathrin Herber. Interessant ist, dass sich die Düsseldorfer und Münchener Kunstakademien 1920/21 als letzte Institutionen dazugesellten - mit der Unterzeichnung der Weimarer Verfassung im August 1919 haben sie sich erst im darauffolgenden Jahr zur Bewerbungsmöglichkeit für Frauen gesetzlich verpflichten müssen, und das bis zuletzt ausgereizt.
Man kennt die Querelen am Bauhaus, wo Frauen in die Weberei oder zum Töpfern verbannt wurden.
Bianca Kennedy: Das Bauhaus war zwar mit der Zulassung von Frauen etwas früher dran als die meisten anderen Kunsthochschulen, allerdings doch nur halbherzig und für die Fächer, die sie für Frauen als sinnvoll erachteten, wie eben die Weberei. Dörte Helm war eine der Studentinnen, die sich gegen diese Regelungen auflehnte und im Bereich Wandmalerei ausgebildet wurde. Sie und ihr Werk "Kakteen im Winter" werden in unserem Buch von Katrin Arrieta vorgestellt.
Wie würden Sie die aktuelle Situation beschreiben?
BK: Die Kunstakademien in Deutschland sind natürlich weiblicher geworden, Professorinnen sind aber immer noch in der Unterzahl. Als wir in München 2010/11 zu studieren begannen, gab es nur zwei Professorinnen und viele ältere Männer, die mit ihrer lebenslangen Professur - wir sind nicht so traurig, dass es das nicht mehr gibt - die alten Denkweisen aufrechterhalten haben. Trotzdem steht dem Abschluss von 60 Prozent weiblichen Studierenden eine sehr kleine Zahl an freischaffenden Künstlerinnen gegenüber, deren Arbeiten gezeigt und in der Presse besprochen werden.
JM: Dieser Diskurs ist mittlerweile in der Öffentlichkeit angekommen. Verbessern lässt sich allerdings der Umgang mit den Werken weiblicher Kunstschaffender erheblich. Besonders Rankings, Inventarlisten öffentlicher Sammlungen und die Verteilung innerhalb institutioneller Einzel- und Gruppenausstellungen machen das unausgewogene Geschlechterverhältnis sehr deutlich. Eine Quote zu verlangen, mag widerstreben, doch so lange die Kunst von Frauen weniger gezeigt und medial besprochen wird, kann nicht von einer Gleichberechtigung die Rede sein. Die Kunstgeschichtsbücher der Vergangenheit zeigen, dass vor allem Männer unseren ästhetischen Blick bis heute prägen. Über künstlerische Qualität können wir uns allerdings erst dann unterhalten, wenn alle Geschlechter gleichermaßen beachtet werden.
Sie geben jetzt ein Buch über 100 Künstlerinnen heraus, die von 100 Frauen vorgestellt werden. Wie sind Sie vorgegangen?
JM: Vor zwei Jahren im Sommer 2018 war uns bewusst, dass wir für das 100. Jubiläum von Frauen an den deutschen Kunstakademien im Studienjahr 2020/21 unbedingt etwas umsetzen wollen, das unsere Vorreiterinnen ehrt. Kunst studieren zu dürfen, ist keine Selbstverständlichkeit. Für unsere Generation ist das unvorstellbar, deswegen finde ich es auch so wichtig, die Erinnerungskultur zu pflegen und aufrechtzuerhalten. Die ursprüngliche Idee einer Ausstellung, die versucht der Geschichte von Frauen in der Kunst in Deutschland gerecht zu werden, haben wir schnell wieder verworfen - weder verstehen wir uns als Kuratorinnen, noch könnten wir mit einer Ausstellung der Vielfalt der Talente in unserem Land gerecht werden. Also haben wir 100 "Kuratorinnen" aus allen Bundesländern Deutschlands für eine Ausstellung in Buchform angefragt: 100 Frauen aus dem deutschen Kulturbetrieb, von denen wir selbst gerne lesen möchten, haben sich so jeweils für eine Künstlerin mit Deutschlandbezug entschieden und ein Werk besprochen. Von Erinnerungen an die erste Begegnung bis hin zu Anekdoten findet sich alles in unserem Buch.
BK: Wir wollten uns auf keinen Fall anmaßen, die Künstlerinnen selbst auszusuchen, also haben wir überlegt, wie wir den Auswahlprozess demokratisieren können. Uns war es wichtig, alle 16 Bundesländer Deutschlands im Buch abzubilden und so viele Branchen wie möglich zu vereinen. Wir haben den Galeristinnen, Kuratorinnen, Museumsdirektorinnen, Sammlerinnen, Auktionatorinnen und Kunstkritikerinnen weder inhaltliche Einschränkungen gemacht, noch in Bezug auf die Epoche beschränkt, in der die Künstlerinnen tätig waren. Wichtig war uns aber der Deutschlandbezug, da es ja um das 100-jährige Jubiläum von Frauen an den deutschen Kunstakademien geht und wir einen Ein- und Überblick in die deutsche Kunstgeschichte geben wollen. In einem Gespräch kam die Frage auf, warum wir nicht nur Positionen aus den letzten 100 Jahren sammeln, das sei doch konsequenter. Das sehen wir allerdings anders: Dass Frauen nicht studieren durften, lag vor allem daran, dass sie bis 1919 kein Wahlrecht hatten. Es war nicht ihre Entscheidung, auf diese Rechte zu verzichten, vielmehr hat es das Patriarchat nicht erlaubt. Unsere Publikation beinhaltet so auch künstlerische Positionen, die bis zum Mittelalter zurückreichen und zeigt so ganz deutlich, dass es zu jeder Zeit Künstlerinnen sozusagen against all odds gegeben hat, auch wenn diese nicht von Männern akzeptiert oder zum Studium zugelassen wurden.
Sie sind selbst Künstlerinnen. Gab es für Ihre Kampagne einen Initiations-Moment in Ihren eigenen Karrieren für Sie?
JM: Ich habe vor und während meines Studiums der Malerei in einer Galerie gearbeitet, die sich auf deutschen Expressionismus und zeitgenössische Kunst konzentrierte, und doch war Gabriele Münter die einzige Künstlerin neben über 30 männlichen Kollegen. Meine Diplomarbeit im Jahr 2016 widmete ich dann ganz diesem Thema des Missverhältnisses. Georg Baselitz hatte kurz zuvor seine Aussage wiederholt: "Frauen malen nicht so gut". Das Ergebnis war dann der Bau meiner Malmaschine, die wegen meiner vermeintlichen Unfähigkeit das Malen für mich bis heute übernimmt, mit Farben die sich der Tradition der Malerei entziehen: Nagellack.
BK: Als Medienkünstlerin bin ich seit ein paar Jahren weltweit unterwegs, um meine Arbeiten zu zeigen. Ich habe festgestellt, dass uns andere Länder in manchen Bereichen voraus sind. So wurde ich zum Beispiel auf das diesjährige Sundance Film Festival eingeladen. Dort haben sie größten Wert auf ein ausgewogenes Verhältnis von Männern, Frauen, People of Color, sowie non-binären Personen gelegt. Das hat in Park City für eine diverse, aufgeschlossene und bereichernde Atmosphäre gesorgt. Viele Menschen trugen Buttons mit der Aufschrift "They/Them", um zu signalisieren, dass man bitte geschlechtsneutrale Pronomen verwenden möchte. Dass so etwas in Deutschland noch vielerorts als übertrieben abgestempelt werden würde, spricht eben auch Bände.
Haben die Ergebnisse Ihres Buchprojekts Sie überrascht? Was war für Sie besonders erstaunlich, inspirierend oder unerwartet?
BK und JM: Wir sind sehr dankbar und finden es bewundernswert, wie viele Kulturschaffende sich unentgeltlich an dem Projekt beteiligt haben. Die Frage nach unbezahlten Texten fiel uns schwer, weil wir zwar einerseits die Gender Pay Gap nicht noch perpetuieren wollten, es andererseits dieses Buch aber sonst nicht geben würde. Außerdem hat uns die enorme Bandbreite an ganz persönlichen Positionen und Lieblingswerken gefreut, die von den Autorinnen vorgestellt wurden. So ist es eben keine nüchterne kunstgeschichtliche Abhandlung geworden, sondern ein Buch voller individuell geprägter Erzählungen, die uns nicht nur die Künstlerinnen näherbringen, sondern eben auch einen wunderbaren Eindruck über die Schreibenden selbst vermittelt. Als wir selbst alle Texte zum ersten Mal hintereinander lasen und merkten, wie viel Spaß und Lust sie auf mehr machen, war das der bisher schönste Moment an der Buchfertigstellung.
Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung, die es in der Gleichstellung von Künstlerinnen noch zu bewältigen gibt?
BK: Ganz wichtig war uns, dass wir nicht anprangern wollen. Wir suchen keine Schuldigen und schon gar nicht nur "bei den Männern". Vielmehr möchten wir einen konkreten Fokuswechsel ermöglichen, der dabei nicht postuliert "weibliche Kunst ist die bessere Kunst", sondern zeigt, dass sie ganz einfach eine Gleichrangigkeit verdient hat. Wir erwarten uns von "I Love Women in Art" ganz viele frisch geöffnete Augen unter den Lesenden.
JM: Ich gehen davon aus, dass es noch ein paar Jahrzehnte dauern wird, bis wir gleichauf mit Positionen unserer männlichen Kollegen gezeigt werden und sich das ebenfalls in den Marktpreisen und Auktionsergebnissen abzeichnen wird. Bis dahin werden wir härter und mehr arbeiten müssen, damit es "nur" bei ein paar Jahrzehnten bleibt, bis wir dieses Ziel erreicht haben - diese Mehrbelastung ist eine der größten Herausforderungen. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir das exponentiell befeuern können, besonders wenn Frauen vermehrt einander unterstützen. Kinder Bekommen und eine Familie Gründen müssen wir genauso selbstverständlich behandeln lernen wie in den Biografien der Männer in der Kunst.
Wie hat die Corona-Pandemie Ihr Projekt beeinträchtigt, und wie geht es weiter?
BK und JM: Wir hatten ursprünglich geplant, die Publikation Anfang Mai zum Gallery Weekend zu veröffentlichen. Bis nun eine reale Buchvorstellung mit den Künstlerinnen und Autorinnen möglich ist, müssen wir uns noch etwas gedulden, aber der Vorverkauf ist sehr gut auf "Startnext" angelaufen. Bis zum Erreichen unseres Kampagnen-Ziels bieten wir dort "I Love Women in Art" zum reduzierten Preis von 25 Euro an. Wir freuen uns sehr über den Zuspruch, auch interessant ist, dass fast 50 Prozent der Käuferinnen und Käufer Männer sind. Dank der vielen Bestellungen können wir die letzte Finanzierungslücke schließen und planen eine Lesereise Ende 2020. Die vielen Rückmeldungen zeigen uns auch, dass diese Sammlung überfällig war und Frauen in der Kunst auch ein breites Spektrum der Gesellschaft interessiert - nur muss man sie eben auch zu Wort kommen lassen und zeigen.
Monopol-Redakteurin Silke Hohmann schreibt im Buch "I Love Women in Art" über die Künstlerin Anne Imhof.