Farben zerbersten, schweben, sprenkeln sich über die Leinwand. Tiefes Blau windet sich in pastellige Wolken, magentafarbene und violette Schlieren wabern in den Hintergrund. Kreisrunde Abdrücke in zartem Flieder blubbern nach vorn wie platzender Schaum. Und überall nebelt ein helles, modrig-lehmiges Braun umher.
Dynamik und Farbe greifen in den neuen Arbeiten der 1981 geborenen US-amerikanischen Künstlerin Lucy Dodd wild ineinander. "The Return From The North Sea" heißt die Ausstellung, die noch wenige Tage in der Berliner Dependance der Galerie Sprüth Magers zu sehen ist. Sie bezeichnet damit ziemlich genau, was auf den teils riesigen, mal winzigen Leinwänden zu sehen ist: Abstraktion gewinnt Form, wird durch Ebbe freigelegter Meeresgrund, Angespültes, Tiefseemythos.
Der Werkkörper schließt fast nahtlos an Dodds vergangene Ausstellung "The End" an, die im Dezember des letzten Jahres auf einer Ranch im US-Küstenort Montauk zu sehen war und die mehrere Übergänge der Künstlerin markierte: zur neuen Galerie, zu ihrem Umzug von Amerika nach Schottland, zu einem neuen Abschnitt in Leben, Werk und emotionaler Welt. Die Kunst als Metapher und symbolbeladenes Narrativ für die eigene Biografie verbinden sich in Dodds Werkkörper, der gern der lyrischen Abstraktion oder einer Neuinterpretation des Actionpaintings zugeordnet wird.
Ein "zu weiblicher Zugang" zur Leinwand?
Dodd wurde am renommierten Bard College knapp 100 Kilometer nördlich von New York City ausgebildet. Obwohl sie sich früh zur Malerei hingezogen fühlte, studierte sie zunächst Bildhauerei. Zu unkonventionell – zu weiblich – erschien ihr und den Lehrenden ihr Zugang zur Leinwand. Dodd erschuf Skulpturen und Installationen, begann nach dem Studium wieder vermehrt mit dem Malen. Sie erhielt früh Aufmerksamkeit, ihre Ausstellungen, unter anderem bei David Lewis in New York, wurden gefeiert.
Dodd spricht ungern über diese Zeit. Zu schnell sei der Erfolg gewesen, zu hungrig die Nachfrage nach mehr. Plötzlich habe sie Assistentinnen gebraucht, sich selbst immer mehr von den eigenen Arbeiten entfernt. Es folgte eine Krise und der Entschluss, der Kunst für immer den Rücken zu kehren – bis Philomene Magers sie vom Gegenteil überzeugte.
Betritt man nun die weiten Räume der Galerie, steht man direkt zwischen Dodds bewegten Arbeiten. Teils hängen sie nicht auf den Wänden, sondern begrüßen die Betrachtenden im 90-Grad-Winkel, wie ein Tor, eine Lücke in einer Mauer, durch die man die Kunst betritt. Als "Ride of Passage" – als Durchreise – bezeichnet der Begleittext die Ausstellung, "transformativ" nennt sie die Künstlerin selbst: "Als wir mit der Planung begannen, hatte ich keine Idee davon, dass es eigentlich darum geht, ein Schmetterling zu werden", sagt Dodd im Gespräch in der Berliner Sprüth-Magers-Dependance und deutet vage in Richtung der größten, finalen Arbeit im Hauptraum: einem großformatigen Gemälde, auf dem ein Rohrschachtest-artiger Falter thront.
Ist das hier etwa ein Spritzer Möwenkot?
Es ist das einzige Werk der Ausstellung, das für sich selbst steht. Alle weiteren Malereien in der Schau sind theoretisch Fragmente einer einzigen großen Leinwand. Tritt man näher, sieht man, wie die zugeschnittenen Untergründe auf die Rahmen vernäht sind, anstatt um sie herum gespannt zu sein. Dodd malte sie unter freiem Himmel im Garten ihres Hauses in Nordschottland. Sie nutzte dafür die für sie typischen Naturpigmente, die sie größtenteils selbst herstellt. Kupferoxid und Malve, Blaubeeren, Löwenzahn und Seetang sind nur einige ihrer Quellen, die sich nicht nur als Farben, sondern teils auch als direkte Abdrücke – Monotypien – auf den Bildern wiederfinden.
Lange braucht Dodd für die Bearbeitung der Stoffbahn, die Komposition entsteht im Prozess. Anfangsimpulse setzen auch ihre Kinder, die über die "Leinwand" laufen, ihre Spuren hinterlassen, so wie die umgebende Natur: Ist das hier etwa ein Spritzer Möwenkot? Lucy Dodd lacht.
Es sei nicht ausgeschlossen, erwidert sie und strahlt dabei so warm und mysteriös wie ihre Bilder. Mit großen Gesten spricht sie über ihre Kunst wie über ein Lebewesen, ein komplexes Ökosystem voller sich gegenseitig bedingender Organismen. Ihre Hände bewegen sich mit feingliedrigen, schmalen Fingern, die ganz und gar mit Sommersprossen bedeckt sind, ganz so, als spiegele sich ihr Werk in den Sprenkeln auf ihrer Haut.
"Es war ihr Schicksal"
Das Zerschneiden der Leinwand geschähe intuitiv, erklärt Dodd, daraus ergäben sich wiederum die teils nicht-euklidischen fragmentarischen Formen der kleinen Formate. Steht das Teilen des Ganzen nicht in starkem Kontrast zu diesem lebendigen, komplexen Ding, das sie erschafft? Müsste es ihr nicht grausam erscheinen, es zu zerstückeln und dann in diesen kalten Raum zu verfrachten, der kein stärkerer Kontrast zur schottischen Natur sein könnte?
"Es war immer ein Teil des Prozesses, dass sie hier landen würden", antwortet Dodd zögerlich. "Es war ihr Schicksal." Die Künstlerin klingt dabei nüchtern. Ganz ohne Pathos spricht sie von Bestimmung im Leben, von Lektionen und Wachstum. Lucy Dodd ist ein Mensch, für den es selbstverständlich ist, dass es keinen Zufall gibt. Dass das Leben einen tieferen Sinn in sich trägt – und mit ihm die Kunst. Dabei strahlt sie eine ungemeine Ruhe und sanfte Weisheit aus – ein wenig wie ein modernes Orakel in farbenfroher Funktionskleidung.
Blickt man auf die braunen Spritzer und gelben Spiralen, auf bordeauxfarbene Schlenker und Preußischblau, das kosmische Unendlichkeit vermittelt, versteht man: Es ist die Zwischenwelt, in der diese Kunst zur vollen Entfaltung gerät. Eine Kunst, die zwischen Vernunft und Emotion, Abstraktion und Figuration, Symbolismus und radikaler Verweigerung jeglicher Botschaft changiert.
Zwischen aufgerissenem Himmel und Neonröhren
Es sind die Räume zwischen aufgerissenem Himmel und Neonröhren auf Beton, zwischen scharfer Berechnung und nebligem, bodenlosem Gefühl. Mit der Abgeklärtheit der New Yorker Kunstwelt setzt Dodd sich und ihr sensibles Werk in dem aseptischen Mega-White-Cube fest wie ein Löwenzahn. Mit zäher, sandiger Wurzel, brüllend greller Blüte, tropfendem Saft und zerbrechlich flatterigem Samen.
Es mag auf den ersten Blick leicht erscheinen, ihre Arbeiten dekorativ zu nennen, doch sind sie einmal angewachsen, wird man sie so leicht nicht mehr los. In Lucy Dodds Kosmos ist die Kunst das Meer. Sie kommt und geht mit den Gezeiten. Und hinterlässt eine fesselnde, fruchtbare, matschige Schönheit.