Die deckenhohe Skulptur steckt in einem Stahlkäfig. Um sie herum nur pechschwarzer Ausstellungsraum, sodass die Besucherin aufpassen muss, wohin sie ihren Fuß setzt. Den Korpus des Objekts bilden hell angeleuchtete Stacheln, die in alle Richtungen zeigen. Sie haben unzählige hauchdünne Perlmuttplatten aufgespießt – mineralisches Mikanit, das in Kombination mit den Spitzen einem korallenartigen Gebilde ähnelt. Das Haupt der Figur ist ein Glasei, das zu einer Seite geöffnet ist. Mit einem leisen Klick beginnt violettes Stroboskoplicht in dem transparenten Kopf zu pulsieren. Und nicht nur das: Von den Stacheln führen rot glühende Stromdrähte durch den Käfig. Im Hintergrund flüstert leise die japanische Sängerin Shirai Takako. Stand man zuvor schon fast ehrfürchtig vor diesem göttlich anmutenden Wesen, ist man nun gänzlich elektrisiert.
"Electric Bride" heißt dann auch passend die Installation, die 1989 von Liliane Lijn geschaffen wurde. Das Werk kann aktuell in ihrer Einzelausstellung "Arise Alive" im Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (Mumok) besucht werden. Die von Manuela Ammer kuratierte Schau ist in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kunst in München sowie der Tate St Ives entstanden und bildet das Oeuvre der US-amerikanischen Künstlerin von den späten 1950er-Jahren bis heute ab. Es ist ein langer Zeitraum, in dem Lijn ihre Kunst immer wieder neu definiert und dabei verschiedene Grenzbereiche ausgelotet hat. Und so gibt es in dieser Einzelpräsentation auch kaum ein Medium, das nicht bespielt wird.
Im ersten von zwei Stockwerken lassen sich auf dem Fußboden viele kleine Regenbögen entdecken, die sich als Reflexionen unterschiedlicher Glasprismen entpuppen. Das Spiel mit Licht ist für Liliane Lijns Werk zentral und findet sich besonders in ihren frühen Arbeiten. Das Unsichtbare will sie ins Sichtbare verwandeln, das Immaterielle mit dem Gegenständlichen verbinden, das Abstrakt-Kosmische einfangen und erfahrbar machen. Auch ihr Interesse an der Wissenschaft und technologischen Innovationen zieht sich wie ein roter Faden durch Lijns Oeuvre. Sie gilt als eine der ersten Künstlerinnen, die sich mit Kinetik befassten – umso wichtiger sind und waren für die heute 84-Jährige Experimente mit Bewegungsabläufen und Energieübertragungen.
Skulpturen mit hypnotischer Wirkung
Besonders deutlich kann man das in ihren "Liquid Reflections" von 1968 sehen: Eine Plexiglasscheibe rotiert waagerecht um ihre eigene Achse. Die Oberfläche ist von einer dünnen Schicht Wasser benetzt, kondensierte Tröpfchen haben sich an den Rändern festgesetzt. Auf der Oberfläche befinden sich zwei Murmeln, die mitkreisen. Sie sind rollende Lupen, die beim Gegeneinanderprallen schnell ihre Dynamik und Richtung ändern. Es mag zwar ein inhaltlich reduziertes Spektakel sein, hat aber eine große, beinahe hypnotische Wirkung. Kein Wunder, dass die Sitzplätze davor oft minutenlang belegt sind.
Ein Stockwerk höher befinden sich neben Collagen, elektronischen Zeichnungen und Gemälden einige kegelförmige Skulpturen in den Museumsräumen. "Koans" nennt Lijn diese Werke – ein aus dem japanischen Zen-Buddhismus stammender Begriff, der ein Rätsel bezeichnet, das junge buddhistische Mönche bei der Meditation unterstützt. Auch die Künstlerin arbeitet bei ihren Versionen mit Sprache. So finden sich auf den Kegeln Gedichtfragmente, aber auch lose Wörter. Die auf motorisierten Drehscheiben befestigten Körper rotieren, und mit ihnen die Buchstaben. So würden die geschriebenen wie auch die gesprochenen Worte zu Zeichen der Schwingungen, erklärt Liliane Lijn.
In einem Interview mit der Londoner Tate erzählte sie einmal, dass die Kegelform für sie ein wichtiges weibliches Symbol sei. Und auch, wenn man es Lijns Oeuvre vielleicht auf den ersten Blick nicht ansieht, hat es eine dezidiert feministische Note, die sich vor allem in ihrem späteren Werk bemerkbar macht. Hier lassen sich aus ihren sonst so abstrakten Skulpturen mal ganz subtil, mal weniger versteckt feminin-menschliche Züge ablesen. Ihre "Female Figures" gestaltet die Künstlerin dabei als starke, teilweise auch furchteinflößende Wesen, die mit klassischen Geschlechterbildern brechen.
Monumente weiblicher Stärke
Eines der wohl beeindruckendsten Kunstwerke dieser Reihe ist die Installation "Conjunction of Opposites: Lady of the Wild Things and Woman of War", die erstmals 1986 auf der Venedig-Biennale gezeigt wurde. Die beiden sich gegenüberstehenden Figuren erinnern an eine Kreuzung aus einem Vogel Strauß und mächtiger Kriegerin. In dem abgedunkelten Ausstellungsraum entspinnt sich zwischen den beiden ein eindrücklicher, multimedialer Dialog: Während die eine in Lijns Stimme mit ausdrucksstarkem Timbre einen Sprechgesang anstimmt, reagiert die andere darauf mit Lichtsignalen.
Der rote Laser bohrt sich wie ein Messer durch den aufkommenden Nebel und geht dem Publikum direkt unter die Haut. Lijns Installationen sind Monumente weiblicher Stärke, kraftvoll und eindringlich. Sie sind es, die besonders in Erinnerung bleiben.