Das Debüt der Autorin Akwaeke Emezi erzählt die Geschichte des Mädchens Ada aus Nigeria. Ein schwieriges Kind, das später zu einer unglücklichen Studentin in den USA wird, die sich heimlich die Haut aufschneidet, zu viel trinkt, unguten Sex hat, hungert, sich die Haare abschneidet.
Doch als Leser lernt man Ada nicht aus menschlicher Sicht kennen, sondern aus der Perspektive verschiedener gottgleicher Geister, die in ihr hausen wie hochmütige Parasiten. Sie ergreifen Besitz von ihr, wann immer ihnen danach ist. Ada ist eine "Ogbanje": die Verkörperung jener Kräfte, die in der Igbo-Kultur in Nigeria in Zeiten vor der Kolonialisierung eine große Rolle gespielt haben. Es sind böse Geister, die als Babys zur Welt kommen und noch vor der Pubertät sterben. Dann kehren sie in einem anderen Kind derselben Mutter wieder. Ada überlebt, doch es ist ein Leben unter schweren Bedingungen. Heute sagt man "dissoziative Identitätsstörung" dazu.
Die "New York Times", der "New Yorker" und andere wichtige Plattformen für Literatur nahmen "Süßwasser" begeistert auf. Akwaeke Emezi hat ihren Radius inzwischen erweitert und macht außerdem Videokunst. Die dreiteilige Arbeit "The Unblinding" zeigte sie bei der Galerie Gavin Brown. Sie zeichnet den Prozess nach, der zu diesem bemerkenswerten Buch führte: Erkenntnis des eigenen Selbst und gleichzeitig einer kulturellen DNA, die durch die Kolonialisierung verloren ging. Auf kurzer Lesereise durch Deutschland ist sie zum ersten Mal in Berlin. Akwaeke Emezi wartet in einer Hotellobby in Charlottenburg und lächelt herzlich zur Begrüßung. Es ist die erste Begegnung mit einer zeitgenössischen Ogbanje.
Frau Emezi, wann haben Sie selbst zum ersten Mal etwas über Ogbanje erfahren?
In Nigeria wird in Familien oder in der Schule nicht darüber gesprochen, seit der Kolonialisierung wurde dieses Wissen nicht mehr weitergegeben. Nachdem wir kolonisiert wurden, waren diese Dinge plötzlich nicht mehr wahr. Aber damals war es wahr, Leute kamen und sagten, das seien alles Erfindungen, Aberglauben und Hirngespinste. Die meisten Nigerianer denken über diesen Teil ihrer Kultur als "schwarze Magie" oder "das Böse", denn das ist, was die Kirche daraus gemacht hat. Ich selbst bin erst durch ein Buch darauf gestoßen.
Sie holen das Thema in die Gegenwart und öffnen diese zweite Realität.
Ich glaube, dass Dinge gleichzeitig wahr sein können. Mein Punkt, den ich mit meinem Buch machen möchte, ist: Wenn es damals wahr war, dann ist es das auch heute. Ich wollte die Ogbanje-Kosmologie gegenwärtig werden lassen. Wie sieht es aus, 2018 eine Ogbanje zu sein, ein Instagram-Profil zu haben, ein Buch zu schreiben, Videokunst zu machen? Wie sieht es aus, all das als wahr anzuerkennen und das abzulehnen, was die Kolonialisierung gebracht hat?
Wie reagierten nigerianische Leser auf Ihren Vorstoß?
Die Leute sind zurückhaltend bis ängstlich gegenüber dem, was da war, bevor wir kolonisiert wurden. Aber die junge Generation ist neugieriger, sie fragt, warum es dieses Tabu gibt. Viele nigerianische Leser meines Buches wendeten sich mit Fragen an ihre Eltern, doch die reagierten entsetzt und baten, nicht darüber zu sprechen. Eine Frau rief nach meiner Lesung ihre Mutter in Nigeria an, wo es drei Uhr nachts gewesen sein musste. Die Mutter setzte sie sofort auf Dreier-Konferenzschaltung mit dem Priester, zum Beten.
Wann trat die Ogbanje-Welt mit Ihrer eigenen Persönlichkeit in Verbindung?
Einige Zeit bevor ich anfing, das Buch zu schreiben, war ich in einer sehr schlechten Verfassung, depressiv und selbstmordgefährdet. Zu der Zeit malte ich, ziemlich schlechte Porträts in Öl, doch sie zeigten eigentlich nichts anderes als Ogbanje. Mir war nicht klar, warum ich das machte.
Es ging in den Bildern darum, nach Hause zu kommen und wo das ist. Das schrieb ich schon als Kind immer in mein Tagebuch: Ich möchte nach Hause. Dabei war ich zu Hause, aber das meinte ich nicht. Über die Ogbanje-Realität kam ich darauf, dass dieses "Zuhause" wahrscheinlich nicht in dieser Welt, in dieser Realität liegt.
Sie haben selbst angefangen, Videokunst zu machen. Fanden Sie, dass Künstler mit anderen Wahrheiten anders umgehen?
Als das Buch herauskam, zeigte ich zum ersten Mal meine Videoarbeit "The Unblinding" – bei Gavin Brown's Enterprise in Harlem. Leute aus der Kunstwelt hatten kein Problem damit, meine Prämisse als Ogbanje zu akzeptieren. Sie sagten: Okay, cool, eine zeitgenössische Ogbanje. Sie sind gewöhnt an das, was die Welt noch sein könnte. Sie haben sich ganz anders mit mir unterhalten als die Literaturleute, die sich immer rückversichern wollten, dass es sich um eine Metapher für psychische Krankheit handelt. Ich sage dann: Nein, es ist keine Metapher, ich meine alles, was ich sage! Künstler waren offener und fragten Dinge wie: Welchen Einfluss hat es auf deine Beziehungen, dass du nicht menschlich bist? Das waren die interessanteren Fragen.
In "The Unblinding" geht es auch um Selbstverletzung als emanzipatorischen Akt, können Sie das erklären?
Die Ogbanje-Kinder wurden markiert, man ritzte sie, damit sie nicht wiederkommen konnten. Als Ogbanje darf man sich in der Menschenwelt nicht zu erkennen geben, sonst wird die Rückkehr unmöglich. Ich wollte herausfinden, ob diese Dinge sich ändern könnten, wenn man sich über diese Geheimhaltung hinwegsetzt. Also fügte ich mir selbst die Markierung in meinem Gesicht zu. Ich mache es öffentlich, ich gebe Interviews darüber. Alles kann sich weiterentwickeln, auch Geister.