Christian Dior (1905-1957) war ein Designer der Träume. Mit der Gründung seines Modehauses im Jahr 1947, das von der Revolution des "New Look" geprägt war, verwandelte er seine Träume in wunderbare Kreationen. Sein visionärer Geist inspiriert seine Nachfolger und Nachfolgerinnen bis heute. "Der Stoff ist das einzige Vehikel unserer Träume (...). Kurz gesagt, die Mode entspringt einem Traum, und der Traum ist eine Flucht vor der Realität", schrieb der an der normannischen Küste Aufgewachsene in seinem 1951 erschienenen Buch "Je suis couturier".
Da hatte er bereits Kleider voller Schönheit und Raffinesse entworfen, die die Frauen nach den entbehrungsreichen Jahren der strengen, fast militanten Mode wieder aufleben ließen. Schon seine erste, ultrafeminine Kollektion, die er 1947 vorstellte, setzte neue Maßstäbe. Die Blütenkelch-Linie – Barjacken mit abfallenden Schultern, schmaler Taille und breitem Revers sowie weit schwingende, volle Röcke – verbrauchte in der von Materialknappheit geprägten Nachkriegszeit Unmengen an Stoff, brachte aber eine bahnbrechende Eleganz in die Modemagazine und auf die Straße. Carmel Snow, die Chefredakteurin der US-Zeitschrift "Harper's Bazaar", urteilte seinerzeit: "Das ist eine ziemliche Revolution, lieber Christian, deine Kleider haben so einen neuen Look!" Der "New Look" war geboren. Und mit ihm ein beispielloses Renommee der Marke Dior.
Bis 1952 machte das Modehaus mehr als 50 Prozent der französischen Modeexporte aus. Noch heute vermittelt das 1946 gegründete Stammhaus in der Pariser Avenue Montaigne mit rund 6100 Filialen weltweit französisches Mode-Know-how. Seit 1991 börsennotiert, erwirtschaftete das Unternehmen mit seinen Luxusgütern zu denen auch Schmuck, Accessoires, Brillen und Kosmetik gehören, im vergangenen Jahr einen Umsatz von mehr als 86 Milliarden Euro. Kein Wunder, dass das Label auch immer wieder Gegenstand von Ausstellungen ist. So widmet aktuell das Kunstmuseum Den Haag dem "New Look" von einst und heute eine eigene Schau.
"Die Ideen des Gründercouturiers sind immer noch sehr lebendig
Von Kostümen aus Wolle und Seide, Cocktailkleidern, dem "kleinen Schwarzen" oder dem "Roten", bis hin zu ausladenden Abendroben reicht die Palette der gezeigten Mode, die unter anderem von Ingrid Bergmann und Grace Kelly getragen wurde und hier in eine glamouröse Ausstellungsarchitektur eingebettet ist: neben mit Blumen oder Wolken bedruckten Tapeten, herbstlichen Bäumen sowie auf einem samtweichen, flauschigen Teppichboden. In einem Seitenkabinett befinden sich Vitrinen, die von oben bis unten mit kostbaren Schmuckstücken bestückt sind. Auch das Parfum "Miss Dior", das Christian Dior 1947 für seine jüngste Schwester Catherine (1917-2008) kreierte, mit der er die Liebe zu Blumen teilte und das heute noch erhältlich ist, hat hier seinen Platz gefunden. Kleider, Zeichnungen, Entwürfe stammen aus den Modemuseen in Paris und Antwerpen, dem Dior Heritage sowie aus privaten Sammlungen in Belgien, Italien, Monaco, den Vereinigten Staaten und Deutschland.
Unter dem Motto "Mode ist Bewegung" lässt ein eigens für das Kunstmuseum gedrehter zwölfminütiger Film des französischen Regisseurs Seraphin Ducellier mit Laufsteg-Einlagen und Szenen aus berühmten Kinofilmen die Mode lebendig werden. Ebenfalls im Auftrag produziert: eine Serie mit Modefotos der niederländischen Künstlerin Viviane Sassen. Außerdem sind in einem Schaukasten die Skizzen von Constance Wibaut zu sehen, die in den 1950er- und 1960er-Jahren für die niederländische Zeitschrift "Elsevier" über die neuesten Modetrends berichtete. Sie besuchte die Pariser Ateliers von Dior, wo Zeichnen und Fotografieren streng verboten waren. Kaum zur Tür heraus, fertigte sie schnelle Bleistiftzeichnungen an, die sie zu Hause zu visuellen Modereportagen ausarbeitete.
"Die Ideen des Gründercouturiers sind immer noch sehr lebendig", erläutert Kuratorin Madelief Hohé bei der Preview der Ausstellung. Deshalb habe man seine ikonischen Entwürfe aus den 50er- und 60er-Jahren denen seiner Nachfolger gegenübergestellt: Neben Yves Saint Laurent – der nach dem plötzlichen Herztod von Dior 1957 als dessen Assistent gerade einmal 21-jährig den Posten des Chefdesigners übernahm –, Marc Bohan und Gianfranco Ferré, sind dies Designer der jüngeren Geschichte des Hauses, etwa John Galliano, Raf Simons und Maria Grazia Chiuri, die seit 2016 als erste weibliche Kreativdirektorin das Haus Dior zu neuen Erfolgen führt.
Slogan-T-Shirts für 750 Euro
Die 60-Jährige versteht sich als Kuratorin von Ideen, lässt bei deren Umsetzung jedoch immer wieder den unverwechselbaren Stil von Christian Dior einfließen. Bei ihren Entwürfen für klassische Abendkleider spielt sie gerne mit den durchscheinenden Effekten von Tüll in Kombination mit Lingerie. Chiuri scheut sich auch nicht, Feminismus und Weiblichkeit zu vermischen. "Wenn es bei Dior um Weiblichkeit geht, dann geht es um Frauen. Und zwar nicht darum, wie es war, vor 50 Jahren eine Frau zu sein, sondern wie es ist, heute eine Frau zu sein", sagt die Designerin.
Inspiriert von der #MeToo-Bewegung kreiert sie einen New Look für die "Frau von heute", der zuweilen auch in politischen Statements zum Tragen kommt. So verwendete die Italienerin gleich bei ihrer Debüt-Kollektion den Titel des provokanten und wortgewaltigen Essays "We Should All Be Feminists" der nigerianischen Publizistin Chimamanda Ngozi Adichie aus dem Jahr 2014 für einen ihrer Entwürfe. Wie einen Slogan ließ sie die Worte in schwarzen Lettern auf die Vorderseite eines weißen Baumwoll-Shirts drucken. "Das T-Shirt ist nicht mehr männlich, militärisch und sportlich", heißt es dazu im Ausstellungskatalog, "sondern verweist auf die modernistische und feministische Ausrichtung der italienischen Designerin, die ein Stück geschaffen hat, das für Dior zu einem Totem geworden ist". Ein Totem allerdings, für das die (junge) "Frau von heute" 750 Euro hinlegen muss, was einer alle sozialen Schichten umfassenden Emanzipation der Frau nicht gerade zuträglich ist.
Vorbild Marlene Dietrich
Aus der Schauspielerei kommt der Einfluss einer ganz anderen. So lässt sich Maria Grazia Chiuri in letzter Zeit immer wieder von Marlene Dietrich inspirieren. Ihre Vorliebe für Kleidung mit maskulinem Touch standen – neben dem Stil einer nicht minder starken Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts: Josephine Baker – Pate für Chiuris Couture-Kollektion Frühjahr/Sommer 2023. Die progressive Einstellung zu den Geschlechtern, die beiden Frauen eigen war, spiegeln sich in der Kollektion wider. In der Prêt-à-Porter-Kollektion für diesen Winter setzte Chiuri in ihren Entwürfen erneut auf den androgynen Stil von Marlene Dietrich.
Die deutsche Schauspielerin war aber nicht nur Vorbild, sondern auch Trägerin der Mode von Christian Dior - zum Leidwesen so mancher Mitarbeiterin, die die stundenlangen und anspruchsvollen Anproben der Diva über sich ergehen lassen musste. In der Ausstellung ist ein blaues Wollkostüm zu sehen, das der Meister eigens für "die Dietrich" angefertigt hatte. Das Ensemble aus stark taillierter Jacke und eng geschnittenem Midi-Rock - eine Leihgabe der Deutschen Kinemathek in Berlin - trug die Schauspielerin in dem Alfred-Hitchcock-Film "Rote Lola" von 1950. Für die Filmgarderobe hatte der selbstbewusste Star dem Regisseur bei den Vertragsverhandlungen zuvor eine klare Ansage gemacht: "No DIOR! No DIETRICH!"