Care-Arbeit in der Kultur

Zwischen Kind und Kunst gehört kein oder

Die zehn international erfolgreichsten Künstler haben zusammen 32 Kinder - die Künstlerinnen fünf. Es gibt also noch viel zu tun in puncto Care-Arbeit und Geschlechtergerechtigkeit. Aber durch Initiativen und Netzwerke bewegt sich auch etwas

Ist Mutterschaft weiterhin ein Hindernis für ein erfolgreiches Künstlerinnen-Dasein? Eine Frage, die man vermeintlich im Jahr 2024 ad acta legen können sollte. Am Internationalen Weltfrauentag – auch feministischer Kampftag genannt –lohnt es sich jedoch, diese Frage noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, da sie Aufschluss über den Status der Geschlechter(un)gerechtigkeit im Kunstbetrieb verspricht. 

Ich habe mir also den "Kunstkompass 2023" des Medienhauses "Capital" vorgeknöpft und den Eltern-Status der jeweiligen Künstlerinnen und Künstler recherchiert. Wenn wir uns die Top 10 des internationalen Rankings der erfolgreichtsen Individuen anschauen, entdecken wir acht männliche Künstler, die allesamt Väter sind, und zwei Künstlerinnen (Rosemarie Trockel und Cindy Sherman), die beide keine Kinder haben. 

Das Bild verstärkt sich, wenn wir uns nun die zehn erfolgreichsten männlichen Künstler der Liste anschauen: Dabei sind neun kinderreiche Väter; zusammen kommen diese auf 32 Kids. Jeff Koons leistet mit seinen acht Kindern keinen unerheblichen Beitrag (und obwohl es einige Interviews gibt, bei denen Bezug auf seinen Nachwuchs genommen wird, habe ich keins gefunden, in dem er gefragt wurde, wie er es denn als Vater wohl schaffen würde, Verkaufsrekorde zu knacken oder 125 Mini-Skulpturen auf den Mond zu schicken und sich um seine acht Kinder zu kümmern – während sich erfolgreiche Frauen, egal aus welcher Sparte, immer noch diesen Fragen stellen müssen). Im Kontrast dazu haben die zehn erfolgreichsten Künstlerinnen der Liste insgesamt nur fünf Kinder; die, die Mütter sind, haben maximal ein Kind. Der Liste nach ist somit die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist, die erfolgreichste zeitgenössische Künstlerin, die auch Mutter ist (alle Grafiken hier). 

Keine Geschlechter-Gerechtigkeit, ohne Care mitzudenken 

Der kurze Blick auf die Zahlen zeigt deutlich: Elternschaft wird bei Müttern und Vätern nicht gleich bewertet, denn Vaterschaft scheint unter erfolgreichen Künstlern kaum ein Hindernis darzustellen, während Mutterschaft unter erfolgreichen Künstlerinnen weniger verbreitet ist und mit strukturellen Hürden und tradierten Rollenklischees behaftet ist.

Zudem verstärken sich in den Künsten weiterhin die Geschlechterungleichheiten, die wir gesamtgesellschaftlich beobachten: Während der Gender Pay Gap deutschlandweit bei 18 Prozent liegt, so beträgt er im Kultursektor rund 31 Prozent. Um Geschlechtergerechtigkeit in der Kunst anzugehen, reicht es daher nicht aus, nur "Geschlecht" als isoliertes Diskriminierungsmerkmal zu betrachten, sondern wir müssen bei dieser Analyse die Care-Verantwortung der jeweiligen Künstlerin oder des Künstlers berücksichtigen.

Dass die Gleichzeitigkeit von Kunst und Fürsorgepflichten weiterhin keine Selbstverständlichkeit ist, treibt deutschlandweit verschiedene aktivistisch-künstlerische Netzwerke um. Seit Jahren setzen sich spartenübergreifend Initiativen wie "Mehr Mütter für die Kunst", "Mothers*, Warriors, and Poets", "Kunst + Kind Berlin", "K&K – Bündnis Kunst & Kind München", "Other writers need to concentrate", "Bühnenmütter“ und "Fair share! Sichtbarkeit für Künstlerinnen" dafür ein, dass sich Künstlerinnen nicht (mehr) zwischen Kind und Kunst entscheiden müssen – wie es das festsitzende patriarchale Narrativ weiterhin suggeriert.

Das Thema ist auf der Agenda

Diese starren Rollenzuschreibungen zu Mutterschaft wurden im vergangenen Jahr in einer Vielzahl an Ausstellungen, Performances und Publikationen auf die Agenda gesetzt und aufgebrochen, zum Beispiel durch "We Care. Do you? Ausstellung zu Fürsorge und Kunstproduktion“ (Alte Feuerwache, Berlin), der von mir mitkuratierten Schau "Mothers*, Warriors and Poets: Care as Resistance" (StadtPalais, Stuttgart), "Mythen von Mütter und anderen Monstern" von Maternal Artistic Research Studio (L6 Freiburg), "Motherhood I - Concepts of Motherhood" und "Motherhood II - Shifting Realities" (HilbertRaum & Retramp Gallery, Berlin) und dem neuen eröffneten K&K Museum in München. 

Die Performances "Mothering Moves" (Kampnagel) und "ABC_Ein Spiel ohne Scherz" (Uferstudios) von den Maternal Fantasies brachten feministische Care-Fragestellungen auf die Bühne. Das Literaturnetzwerk "Other writers ..." veröffentlichte eine Anthologie, die das Spannungsfeld zwischen Schreiben und Sorgearbeit aufzeigt. 

Jedoch haben nicht nur diese Zusammenschlüsse von Kulturschaffenden selbstbestimmte Formen der Sichtbarkeit für diese Themen geschaffen, sondern auch Kunstinstitutionen haben Care im vergangenen Jahr vermehrt ins Zentrum ihrer Ausstellungspraxis gerückt, so zum Beispiel das Josef Albers Museum in Bottrop mit "Kochen, Putzen, Sorgen. Care-Arbeit in der Kunst seit 1960", das Haus am Lützowplatz in Berlin stellte Werke zum Thema "Bad Mother" aus, in der Kulturkirche Bremerhaven lud man zu "MutterEin Spurensuche" ein, im Syker Vorwerk zu "Motherhood. Nicht / Noch nicht / Nicht mehr / Vielleicht / Muttersein". Die Reihe Kunst+Care vom Lab K, dem Frauenkulturbüro NRW und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf setzte sich nicht nur inhaltlich mit den Rahmenbedingungen von künstlerischem Schaffen und Sorgearbeit auseinander, sondern lebte diese auch vor. 

"Mothers*, Warriors, and Poets: Care as Resistance,", Installationsansicht, kuratiert von Sascia Bailer und Didem Yazici, StadtPalais, Stuttgart, 2023
Foto: Julia Ochs

"Mothers*, Warriors, and Poets: Care as Resistance,", Installationsansicht, kuratiert von Sascia Bailer und Didem Yazici, StadtPalais, Stuttgart, 2023

 

Während die Repräsentation von Care enorm wichtig ist, so ist die Arbeit an den Strukturen – wenn auch oft unsichtbar und mühsamer – mindestens ebenso nötig. Die Netzwerke haben auch hier nicht lockergelassen: Die Berliner Initiative "Fair Share" steht im Austausch mit Institutionen wie dem Hamburger Bahnhof und der Nationalgalerie der Gegenwart, um gemeinsam darauf hinzuarbeiten, dass die Sammlungspräsentationen einen Anteil von rund 50 Prozent Künstlerinnen aufweisen. "Other Writers" erhält immer mehr Zuschriften von Stipendienorten, dass diese ihre Modelle überarbeitet hätten und nicht mehr unter "Familien unerwünscht" gelistet werden wollen. 

Durch die Initiative von Marcia Breuer von "Mehr Mütter für die Kunst" und der Autorinnen Julia Ditschke und Friederike Gräff gibt es nun in Hamburg das "Parents in Arts"-Stipendium. Der Kunstraum Elsa in Bielefeld, unter der Leitung von Katharina Bosse und Christina Végh, bietet auch 2024 wieder ein Stipendium für alleinerziehende Künstlerinnen an, das sich flexibel an die Bedürfnisse der Stipendiatin anpasst. 

Um bundesweit und spartenübergreife strukturelle Veränderungen zu erlangen, braucht es eine gute Vernetzung der verschiedenen Initiativen. Auch hier hat sich viel getan: Das neue Caring Culture Lab vereint Akteurinnen der einzelnen Gruppen und verfolgt das Ziel, das bereits vorhandene Wissen in Kunstinstitutionen zu tragen und in nachhaltige Strukturen der Fürsorge zu übersetzen. 

Schnittstellen von Geschlecht und Care 

Häuser, die erfolgreich Care-sensible Strukturen geschaffen haben, werden mit dem "Caring Culture Cerfiticate" ausgezeichnet und tragen zu einem strukturellen Wandel im Kultursektor bei. Die von Lucia Schmuck initiierte Plattform "Kuk! Kind und Kunst" stellt relevante Netzwerke gebündelt auf einer Website vor. Die Bühnenmütter e.V. Berlin veranstalten mit dem Performing Arts Programm Berlin das erste bundesweite Netzwerktreffen der Art & Care Initiativen. Von Artist Labs und "Beyond:Reproduction" wurde ein Toolkit für die Freie Szene der darstellenden Künste entwickelt, das das erarbeitete Wissen öffentlich zugänglich macht. Eine neue AG zu Kunst und Care steht im Austausch mit politischen Gremien. Das "@Motherhood_Art_Network" stellt auf Social Media relevante Akteurinnen zu Kunst und Mutterschaft vor. Informeller Austausch findet außerdem in der Caring Culture Community statt. 

Mit neuen Fördermöglichkeiten, Gruppen-Ausstellungen, aktivistischen Aktionen und Strategien zu Vernetzung und Wissenstransfer wurden neue, wegweisende Pilotprojekte ins Leben gerufen. Und es wurde deutlich gezeigt, dass künstlerisches Arbeiten und Care-Verantwortung zusammengehen können – wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen. 

Jedoch leisten die Initiativen ihre aktivistische Arbeit überwiegend unbezahlt, neben meist prekärer künstlerischer Arbeit und unvergüteter Sorgearbeit. Es müssen daher zwingend Kulturpolitik, Kunstinstitutionen und Fördereinrichtungen in die Pflicht genommen werden, um Geschlechtergerechtigkeit in den Künsten Realität werden zu lassen. Sie müssen sich für die Schnittstellen von Geschlecht und Care sensibilisieren und gezielt unterstützende Strukturen aufbauen, die insbesondere Künstlerinnen mit Kindern eine Laufbahn in ihrem gewählten Feld ermöglichen.