Grauer Laminatboden, auf dem die Schuhe quietschen. Endlos verzweigte, fensterlose Flure, abgestandene Luft und harte, an den Wänden festgeschraubte Wartestühle. So kennen die meisten von uns Krankenhäuser. Kein Ort, an dem sich irgendjemand gern aufhält. Gesundheitsbauten sind von Funktionalität, Sparzwängen und Rationalisierung geprägt. Sie müssen Platz für viele Patientinnen und hoch technisierte medizinische Geräte bereitstellen, die Gebäude selbst werden zu Maschinen – und der Mensch in der Planung übersehen. Das Konzept der "Healing Architecture" soll das ändern.
Krankenhäuser können nämlich auch ganz anderes aussehen: verglaste Wände, helle Farben und hohe Decken. Das Lou Ruvo Center for Brain Health in Las Vegas verwandelt sich abends sogar in ein Partygebäude, Konzert- und Restauranträume werden für die neurologische Forschung einfach mitgenutzt.
Diese Verschmelzung unterliegt der Annahme, dass sich die strikte Trennung von Gesunden und Kranken negativ auf die Patienten auswirke. In den USA wird bereits seit 30 Jahren darüber gesprochen, welchen Einfluss die Bauart von Krankenhäusern auf die Genesung hat. In Deutschland beginnt man erst jetzt damit.
Wer Bäume sieht, heilt schneller
Ganz so außergewöhnlich wie in Las Vegas müssen Krankenhäuser natürlich nicht sein. Doch es gibt wissenschaftlich belegbare Erkenntnisse, die ein solches Umdenken beim Bau von Heilanstalten nahelegen. Die Idee, das Wohlbefinden von Menschen in die Planung von Architektur einzubeziehen, nennt sich evidence based design. Dabei geht es etwa darum, dass Gesellschaft kranken Menschen guttut, oder eine intuitive Orientierung hilfreich für Personen mit Alzheimer ist.
Prägend für den Ansatz des evidenzbasierten Design ist der US-amerikanische Architekturprofessor Roger Ulrich, der seit den 1980er-Jahren zahlreiche empirische Studien über den Zusammenhang zwischen Gebäudestrukturen und der Genesung Kranker veröffentlichte. Die bekannteste darunter ist die "View Through a Window"-Studie.
Ulrich beobachtete dabei zwei Patientengruppen nach identischen Operationen bei ihren Heilungsprozessen. Während die erste Gruppe aus ihren Zimmern einen Blick auf die Bäume eines Parks hatte, wurde eine zweite Gruppe in Räumen untergebracht, von wo sie lediglich die Betonmauer des Nachbargebäudes sehen konnten. Das Ergebnis zeigte, dass die Patienten mit Natur-Ausblick deutlich weniger Schmerzmittel brauchten, seltener an Depressionen litten und im Schnitt einen Tag früher aus dem Krankenhaus entlassen wurden als die Kontrollgruppe.
3,5 Kilometer Weg während eines Behandlungstages
Ermutigt durch diese Erkenntnisse bildetet sich in den 1990er-Jahren in den USA die Bewegung der "Healing Architecture". Nach diesem Konzept soll die Bauart von Krankenhäusern das körperliche und seelische Wohlbefinden von Patienten, Personal und Angehörigen unterstützen. Die Ausstellung “Das Kranke(n)haus: Wie Architektur heilen hilft” im Architekturmuseum der Pinakothek der Moderne in München zeigt nun, wie das aussehen kann.
"Es ist mir seit Jahren ein großes Anliegen, über die Missstände in Krankenhäusern zu sprechen und deutlich zu machen, welchen Anteil Architektur daran hat. Gebäudeplanung ist ein gestalterisches Element und kann Versorgungsstrukturen positiv verändern", sagt Tanja Vollmer, die die Ausstellung gemeinsam mit dem Museumsdirektor und Architekturhistoriker Andres Lepik und Lisa Luksch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Architekturgeschichte und kuratorische Praxis, kuratiert hat.
Die Architekturpsychologin Vollmer untersuchte zehn Jahre lang gemeinsam mit ihrer niederländischen Kollegin Gemma Koppen empirisch die Stresswahrnehmung schwer- und chronisch kranker Menschen. "Wir haben festgestellt, dass ambulant versorgte Schwerkranke durchschnittlich sieben Stunden am Tag in der Klinik verbringen und dort 3,5 Kilometer hinter sich bringen müssen", so Vollmer.
Die heilenden Sieben
Gemeinsam mit internationalen Kollegen und Kolleginnen untersuchte sie 260.000 Quadratmeter Behandlungsfläche. Daraus leiteten Vollmer und Gemma sieben Faktoren ab, die Stress durch Architektur lindern sollen. Als “heilende Sieben" definieren sie: Orientierung, das menschliche Maß, Privatheit und Rückzugsraum, Kraftpunkte, Aussicht und Weitsicht, Geruchs- sowie Geräuschkulisse.
In der Münchner Ausstellung werden die sieben Faktoren bebildert, um konkrete Vorstellungen zu liefern, wie diese bereits in der Praxis umgesetzt werden. Beispiele dafür sind unter anderem das Princess Margret Hospital Swindon in Großbritannien, dessen verglaste Front den Patienten einen weiten Blick ermöglicht, oder das Mary Elizabeth Hospital in Kopenhagen, in dem es viele angebaute Wintergärten gibt, in denen man sich in einer nicht-klinischen Atmosphäre erholen kann.
Im Kinderkrankenhaus Freiburg sind Räume, die nicht desinfiziert werden müssen, in Eingangsnähe angelegt. "Der Geruch von Desinfektionsmitteln macht vielen Kindern Angst", so Vollmer. Beispiele für Institutionen, die nach dem Prinzip der "Healing Architecture" gebaut wurden, gibt es auf der ganzen Welt: in Bangladesch, Burkina Faso, Dänemark und den Niederlanden. 13 Projekte analysieren Vollmer und ihre Kolleginnen und Kollegen in der Ausstellung.
Ein Krankenhaus wie ein Dorf
"Architektur muss immer lokal und kulturspezifisch ausgerichtet sein, aber die sieben Variablen gelten laut Koppen und Vollmer universell", sagt Lisa Luksch. So erinnert etwa der Aufbau des Centre Medico Chirigucal in Burkina Faso an ein Dorf. "Die Klinik ist um einen zentralen Platz herum gebaut, an dem Menschen zusammenkommen und dadurch Unterstützung erfahren können", so Luksch.
Vergleichbar ist der Ort mit einem Marktplatz, die Bauart angelegt an alltagsnahe Strukturen."Architektur wirkt als Co-Therapeut", schreibt Vollmer in ihrer Entwurfslehre zum Krankenhausbau. "Untersuchungen haben gezeigt: Kranke Menschen nehmen ihre Umgebung anders wahr. Sie empfinden Räume als dunkler und enger, als es Gesunde tun”, führt Lisa Luksch aus. Das falle bei den meisten unter Kostendruck entstehenden Neubauten von Krankenhäusern aber unter den Tisch.
Ein Problem in der Umsetzung von "Healing Architecture" sieht Vollmer vor allem in der Gestaltung von Wettbewerben für neue Krankenhausbauten. In einigen Ernstentwürfen, die Architekturbüros bei Ausschreibungen einreichten, sehe man durchaus einige der "heilenden Sieben" umgesetzt, sagt sie. "Aber in den Jurys fehlen Mitglieder, die das angemessen beurteilen können."
"Healing Architecture" ist kein Luxus
"Durch Kosteneinsparungen beim Bau werden daraus immer wieder positive Planungsvorschläge wegrationalisiert", ergänzt Lisa Luksch. "Deutschland ist behäbig, sich auf heilende Architektur einzulassen. In den Niederlanden sieht man beispielsweise viel mehr Experimentierfreudigkeit."
Dabei sei es ein Irrglaube, dass die Umsetzung von evidenzbasierter Planung ökonomische Nachteile hätte, so Vollmer. "Healing Architecture ist kein Luxus. Wenn die Architektur etwas dazu beitragen kann, das Stresslevel Kranker zu minimieren, können sie komplikationsloser behandelt werden, sind in der Regel kürzer stationär und brauchen zum Teil weniger Medikamente", sagt die Expertin. Architektur kann nicht heilen. Aber sie kann zum Wohlbefinden schwer- und chronisch kranker Menschen beitragen, die viel Zeit in Kliniken verbringen.
Nicht nur bei Neuentwürfen von Krankenhäusern rückt diese Erkenntnis nun mehr in den Vordergrund. In das dicht und dunkel gebaute Klinikum Aachen, das Vollmer als "Schreckgespenst" bezeichnet, wurden zuletzt Lichthöfe eingebaut. Ein erster Fortschritt. Dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Schirmherrschaft für die Münchner Ausstellung übernommen hat, kann durchaus als politisches Zeichen gedeutet werden. Vielleicht können wir Krankenhäuser irgendwann mit anderen Bildern als gedeckten Wandfarben, Plastikverkleidungen und engen Gängen verbinden.