Am Sonntag, 8. März, ist Weltfrauentag. Gleichzeitig endet die Ausstellung "Kampf um Sichtbarkeit: Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919" auf der Berliner Museumsinsel. Zu diesem Doppelanlass findet ab 14 Uhr vor der Alten Nationalgalerie eine Demonstration für mehr Sichtbarkeit von Künstlerinnen statt. Wir haben mit drei der Initiatorinnen über die Ungleichheit im Kunstbetrieb gesprochen: den Künstlerinnen Rachel Kohn und Ines Doleschal, sowie der Autorin Kathrin Schrader.
Die Demonstration "Fair Share – Sichtbarkeit für Künstlerinnen" ist eine Reaktion auf die Finissage der Ausstellung "Kampf um Sichtbarkeit" in der Alten Nationalgalerie. Denken Sie, die Alte Nationalgalerie kann mit dem Fokus auf Künstlerinnen etwas verändern? Sie hat ja "nur" Werke ausgewählt, die bereits im Bestand der Galerie waren.
Ines Doleschal: Wir haben es gerade mit einer neuen Welle der Sichtbarmachung von Künstlerinnen zu tun. Es gibt eine Bewegung hin zur Öffnung des Depotbestands, zur Sichtung sowie zur Neubewertung und Umhängung. Kleinere Museen weltweit haben angefangen, dezidiert nur Frauen anzukaufen, das Baltimore Museum of Art zum Beispiel. Wir hoffen, dass das nachhaltige Entwicklungen sind. Die erste große Welle dieser Bewegung gab es in den 1980er-Jahren mit den Guerrilla Girls, in den Nullerjahren gab es kleine Ausschläge mit entsprechenden Ausstellungen. Aber das ist alles wieder abgeebbt. Wir haben im Grunde wieder die gleichen Zahlen wie damals, die Frauen sind stark unterrepräsentiert – in der Museums- wie der Ausstellungslandschaft.
Kathrin Schrader: Ines Doleschal hat ja im Schloss Biesdorf selbst die Ausstellung "Klasse Damen!" kuratiert. Das war im Grunde die erste Ausstellung, die daran erinnerte, dass vor 100 Jahren die Berliner Kunstakademie für Frauen geöffnet wurde. Als dann die Alte Nationalgalerie mit ihrer Ankündigung kam, wirkte das auf mich, als sei sie auf den Zug aufgesprungen. Ich weiß nicht, wie lange vorher sie das vorbereitet haben. Aber auf mich wirkte es, als wären sie hinterhergehechelt.
Rachel Kohn: Aber gut, man will ja auch nichts schlecht reden, was eigentlich gut geworden ist.
2019 war ja auch ein Jahr der Jubiläen für Frauenrechte in Deutschland...
Kohn: Nach wie vor sind über 50 Prozent der Studierenden an den Akademien Frauen. Und später verschwinden sie, oder werden eben nicht so protegiert, dass sie an die Spitze kommen.
Doleschal: Ich habe den Eindruck, dass viele Frauen gar kein Problembewusstsein haben und nichts anfangen können mit Begriffen wie Gender Show Gap. Das ist natürlich fatal. Wir müssen viel mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen. Aber woher soll das auch kommen, wenn Museen seit Jahrhunderten kaum Künstlerinnen ausstellen. Wenn nur fünf Künstlerinnen im Schaubestand der Nationalgalerie sind, dann suggeriert das, dass es keine Künstlerinnen gab. Oder dass sie nicht gut genug gewesen seien und man sie darum nicht sieht. Die Ausstellung "Kampf um Sichtbarkeit" zeigt ja, dass diese Künstlerinnen eine große handwerkliche Befähigung hatten. Einige der Bilder in der Ausstellung, wie Dora Hitz‘ "Kirschernte", sind radikal modern. Da ist ein großer Mut da, voranzupreschen und auch die Männer zu überholen. Da sind Avantgardistinnen zu finden, die definitiv in die Schausammlung gehören.
Meinen Sie denn, dass durch die Ausstellung auch mehr dieser Frauen in den Schaubestand der Alten Nationalgalerie aufgenommen werden?
Kohn: Die haben ja gar nicht so viele Arbeiten von Frauen. Sie müssten jetzt auch ihre Ankaufspolitik ändern und zu den wenigen Werken, die sie von den Künstlerinnen haben, einige dazukaufen, damit man auch mal einen ganzen Raum einer Künstlerin widmen kann. Was bei den Männern ja ganz normal ist – dass man zum Beispiel einen Raum mit Böcklin hat. Das geht bei den Künstlerinnen nicht, wenn man nur zwei, drei Werke im Bestand hat.
Doleschal: Bis auf wenige Ausnahmen wie Paula Modersohn-Becker. Unsere Hoffnung ist, dass das nachhaltig aufgearbeitet wird und möglichst viele der Werke aus der Ausstellung in den Schaubestand aufgenommen werden – zu Lasten von männlichen Künstlern, die dafür ins Depot wandern würden – und dass es monografische Ausstellungen gibt. Ich denke, die bekämen einen riesigen Zulauf. Wie Anita Rée in Hamburg, die Ausstellung "Fantastische Frauen" und Lee Krasner in Frankfurt am Main.
Kohn: Oder Hilma af Klint im Guggenheim in New York. Das war so ein Publikumsrenner! Aber wie bei Lotte Laserstein hat man gesagt: "Wir haben die Künstlerin entdeckt! Die war ganz versteckt!" Dabei waren sie ja nicht versteckt. Sie haben genauso neben den Männern gearbeitet, aber man hat sie eben nicht beachtet.
Gerade Lotte Laserstein war doch auch in ihrer eigenen Zeit sehr bekannt. Zum Teil geht dieser Wiedersichtbarmachung, diesem "Wiederentdecken", doch eine Unsichtbarmachung voraus.
Doleschal: Das Problem ist eben auch der Kanon, der Jahrhunderte lang festgezogen wurde von Männern. Ich habe bei Ernst Gombrich nicht eine Besprechung einer Frau gefunden. Keine einzige. Ein weiteres Problem ist, dass sich auch viele Kunsthistorikerinnen, die jetzt in Entscheidungspositionen sitzen, diesem Kanon unterordnen. Wenn die x-te Baselitz-Ausstellung von einer Frau gemacht wird, dann denke ich mir: Das geht auch anders! Ingrid Pfeiffer in Frankfurt ist da Pionierin – sie macht tolle Ausstellungen in der Schirn, schon seit Jahren.
Gerade die künstlerische Handschrift einer Paula Modersohn-Becker erkennt man direkt, aber viele der Künstlerinnen in der Ausstellung "Kampf um Sichtbarkeit" kennt man nicht unbedingt. Ein Freund reagierte auf die Schau mit den Worten: "Man erkennt ja gar nicht, dass das von Frauen ist." Das hat mich vor den Kopf gestoßen.
Kohn: Das ist doch das Tolle, dass man die Werke eben nicht zuordnen kann.
Doleschal: Es ist meist absolut nicht möglich zu sagen, ob ein Werk von einer Frau oder einem Mann ist. Weder, was das Handwerkliche angeht, noch den Inhalt. Es gibt eben keinen Unterschied zwischen "Frauenkunst" und der Kunst von Männern. Und zu Paula Modersohn-Becker: Die ist ein Sonderfall, weil sie einen ganz anderen Lebensweg hatte und einen sehr eigenen Stil entwickeln konnte. Sie hatte das Glück, zehn Jahre lang ganz konzentriert arbeiten zu können. Viele Künstlerinnen haben eine Dreifachbelastung: Den Beruf, das ist die Kunst, einen Job, mit dem wir die Kunst finanzieren, und in vielen Fällen noch Kinder. Paula Modersohn-Becker war bis kurz vor ihrem frühen Tod mit 31 kinderlos und konnte sich ganz auf ihre Kunst konzentrieren. Und sie musste nichts verkaufen oder Auftragskunst machen. Sie war finanziell unabhängig. Das ist ein paradiesischer Zustand, von dem wir alle träumen.
Schrader: Obwohl wir auf unsere Kinder nicht verzichten wollen.
Doleschal: Ja, das ist das Problem, und auch eines, das einige der Künstlerinnen in der Ausstellung haben, die wie Sabine Lepsius oder Elisabeth Jerichau-Baumann vier Kinder hatten, sieben, oder sogar acht. Diese Künstlerinnen mussten teilweise Auftragsarbeiten malen. Sabine Lepsius hat am Ende ihres Lebens gesagt: "Ich war nur zum Geldverdienen auf der Welt. Schade um meine Gaben." Da kann man ja keinen eigenen Stil entwickeln.
Was wären konkrete Ansätze, speziell Künstlerinnen, die Mütter sind, zu entlasten?
Kohn: Da wären zum Beispiel Vor-Ort-Stipendien. Stipendien, für die man nicht verreisen muss. Man kann ja die Kinder nicht aus der Schule raus- und den Mann mitnehmen. Darum wäre es gut, wenn man ein Stipendium annehmen und weiter im eigenen Atelier arbeiten könnte.
Doleschal: Die Akzeptanz spielt eine große Rolle. Man hat eben Lücken in der Vita nach der Geburt eines Kindes – da kann man nicht einfach direkt weiterarbeiten wie vorher. Und die Lücken bedeuten im Umkehrschluss für die Juroren: Die nimmt es nicht ernst, da ist wieder ein Bruch und da sind keine Stipendien aufzuweisen. Dabei sind das durch Sorgepflicht bedingte Lücken, aber davon will niemand etwas wissen. Wir haben Jahre, Jahrzehnte lang verschwiegen, dass wir Kinder haben. Ich spreche inzwischen von diskriminierenden Strukturen, weil wir Künstlerinnen mit Kindern nicht abgebildet sind im Förderkarussell. Darum brauchen wir dringend eine zusätzliche Förderung für diese Gruppe, zum Beispiel in Form von Zuschlägen für Kinderbetreuung bei Aufenthaltsstipendien.
Schrader: Für viele Künstlerinnen läuft es gut, bis das erste Kind kommt. Und dann kann es passieren, dass sich der Galerist verabschiedet, weil ein Jahr lang kein neues Werk kommt.
Monopol hat im Februar 2019 eine Ausgabe dem Thema "Kunst und Kind" gewidmet. Darin kommt auch die deutsche Fotografin Katharina Bosse zu Wort, die ihr Muttersein bewusst in den Vordergrund stellt und in ihren Fotografien thematisiert, indem sie ihre Kinder fotografiert.
Kohn: Das Problem ist, dass man als Künstlerin dann oft die Sorge hat, dass die eigene Arbeit als "Frauenkunst" abgestempelt wird.
Doleschal: Das ist sogar innerhalb der Künsterinnenschaft ein heikles Thema. Meine Theorie ist: Man kann in der Kunst relativ weit kommen, wenn man entweder kein oder ein Kind hat. Sobald es mehr sind, wird es extrem schwierig. Und man wird unsichtbar.
Kohn: Man wird unsichtbar, weil man auch das Netzwerken aufgeben muss. Man kann ja nicht drei Mal die Woche abends weggehen. Aber auch das ist Teil der Arbeit.
Doleschal: Und alle erwarten Kontinuität, das steht sogar beim der Berliner Kulturverwaltung in den Ausschreibungen für jedes Stipendium: Wir erwarten Kontinuität und Sichtbarkeit der Arbeit. Das ist unverschämt. Wie sollen wir das leisten?
Sie haben am Anfang die Guerrilla Girls angesprochen. Deren Arbeit bewegte sich zwischen aktionistischer Kunst und künstlerischem Aktionismus – was momentan ja auch ein großes Thema ist, bei Wolfgang Tillmans oder "Extinction Rebellion". In den 80er- und 90er-Jahren haben beispielsweise auch Initiativen wie "Act Up" auf künstlerische Strategien zurückgegriffen. Tun Sie das auch?
Kohn: Jede der Organisationen, die an der Demonstration teilnimmt, hat sich eine Aktion überlegt. Das Frauenmuseum hat in einem Workshop Masken von Künstlerinnen gebastelt, die wir bei der Demonstration tragen werden, zusammen mit einem Shirt mit dem Namen der Künstlerin, die wir verkörpern. Ich habe mir Edith Kramer ausgesucht.
Wie viele dieser Künstlerinnen kannten Sie?
Kohn: Von denen der anderen? Ganz wenige. Bei der Recherche bin ich auf viele Namen gestoßen, die mir neu waren.
Die Decknamen, die die Guerrilla Girls als Pseudonyme angenommen haben, sind hingegen eher bekannt.
Kohn: Dabei ist immer die Frage ist, wie sehr man sich mit dem Thema beschäftigt. In der Ausstellung in der Nationalgalerie kannte ich ehrlich gesagt auch nur wenige Namen. Aber nur das, was man immer wieder sieht, kann man sich merken. Selbst komplizierte Männernamen kann man sich merken, weil man sie immer wieder gehört und gelesen hat. Und wenn jemand im Kanon der Kunstgeschichte ist, dann ist die Person im Kopf.
László Moholy-Nagy merkt man sich ja auch.
Kohn: Eben. Eigentlich müssten alle Geschichtsbücher neu geschrieben werden. Und Kinder müssten mit den Namen der Künstlerinnen aufwachsen.