Einen Körper zu haben, heißt Leid, Schmerzen und Tod zu erfahren, aber eben auch Liebe, Nähe und Geburt. Die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns hat gezeigt, was es heißt, den persönlichen Kontakt zu opfern, um Leben und Gesundheit der Verletzlichsten zu schützen. Aus Rücksicht auf die Gemeinschaft die Isolation zu ertragen. Was diese Erfahrungen mit dem kollektiven Körper einer Gesellschaft gemacht hat, ist noch erstaunlich unaufgearbeitet. Die zwischenzeitliche Prophezeihung, es werde nichts mehr so sein wie vorher, hat sich als spektakulär unzutreffend erwiesen. Es wirkt, als hätten sich alle so schnell wie möglich wieder im Vorher-Modus eingerichtet. Die Erinnerung an die Pandemie wird vor allem politisch genutzt, über die Opfer des Virus denkt man lieber nicht zu viel nach.
Wer Bilder für diesen widersprüchlichen Umgang mit maladen Körpern sucht, kann bei Kiki Smith fündig werden. Die US-amerikanische Künstlerin, die am heutigen Donnerstag 70 Jahre alt wird, kennt sich mit Krankheiten und deren Symbolkraft aus. In den 1980er- und 1990er-Jahren setzte sie sich in New York gegen die Stigmatisierung von Aids-Infizierten ein. Ihre Installation "Red Spill" von 1996 besteht beispielsweise aus 75 roten Blutkörperchen aus Glas, die wie wunderschöne Juwelen auf dem Boden angeordnet sind und in ihrer satten Scharlachfarbigkeit trotzdem etwas Bedrohliches ausstrahlen.
Während der Corona-Lockdowns arbeitete Smith zurückgezogen in ihrem Studio im Bundesstaat New York und wendete sich der Natur zu: Kätzchenskulpturen aus Holz, Drucke mit einfachen Mitteln, die in der Umgebung zu finden waren. Wenn etwas die Instabilität von menschlichen Systemen verdeutlicht, die unentrinnbare Verstrickheit in natürliche Kreisläufe, dann ein winziges Virus, das beinahe die ganze Welt lahmlegte.
Niedere Stoffe werden zu Schätzen
Kiki Smith, 1954 in eine Künstlerfamilie geboren, die damals gerade in Nürnberg Station machte, zeigt Körper wie kaum eine andere zwischen Anmut und Abstoßung. Sie interessiert sich genauso für märchenhafte Hybride aus Frau und Reh wie für eine anatomisch exakte (und trotzdem seltsam sinnliche) Darstellung des Verdauungstrakts oder der menschlichen Nieren. Smith hat keinerlei Skrupel, in ihrer Kunst siechende Leiber oder ihre Ausscheidungen zu zeigen. Eine ihrer kriechenden Skulpturen aus Bronze, die zur Entstehungszeit in den 90ern entsetzte Reaktionen erntete, zieht eine dunkle Spur hinter sich her, die wie Exkremente oder geronnenes Menstruationsblut aussieht. Aus einer andere Frauenfigur laufen uringelbe Rinnsale heraus. Diese stellen sich jedoch bei genauerem Hinsehen als edle Perlenschnüre heraus. Kiki Smith inszeniert sich gern als Alchimistin, die niedere Stoffe zu Schätzen transformiert und Ekel in Andacht verwandeln kann.
Dass sie dabei von christlicher, besonders katholischer Kunstgeschichte beeinflusst ist, lässt sich unschwer erkennen. Oft geht es um Schuld, Scham, Reinheit und Erlösung. Gerade ihre Zeichnungen sehen aus wie leicht verdrehte Bibel-Illustrationen, bei denen nicht mehr klar ist, wer sündig und wer heilig ist. 2023 hat sie sich einen Traum erfüllt und neben dem Diözesanmuseum in Freising eine Kapelle gestaltet, die sie "Mary's Mantle Chapel" nennt. Vom Giebel des Daches grüßt ein golden glänzender Vogel, der von Darstellungen des Heiligen Geists auf vielen Renaissance-Gemälden inspiriert scheint.
Trotz der Vorliebe für Übersinnliches hat sich Kiki Smith nie aus der Realität geflüchtet. Ihre Werke, nicht nur die zur Aids-Pandemie, während der sie auch eine Schwester an die Krankheit verlor, lassen sich durchaus politisch lesen. Gerade ihre weiblichen Figuren, die bluten, pinkeln und wie gekreuzigt an einer Wand hängen, bürsten die Geschichte der Skulptur gegen den Strich. Diese Körper sind keine makellosen, geschmackvollen Formen, sondern porös und anfällig. Aber sie sind auch nie würdelos.
Deutschland und Bayern weiter verbunden
In letzter Zeit hat sich Kiki Smith vor allem dem Thema Umweltschutz angenommen, was ihre Bilder weicher gemacht hat, vielleicht auch ein kleines bisschen kitschanfällig in allen Mensch-Tier-und-Pflanzen-Symbiosen. Trotzdem bleibt ihr Werk eines der eigenständigsten der jüngeren Kunstgeschichte, das - siehe Corona-Jahre - immer noch aufrütteln kann. Wer zum 70. Geburtstag noch schnell eine kleine Wallfahrt unternehmen möchte, kann es noch bis zum Sonntag, 21. Januar, in die Pinakothek der Moderne in München schaffen. Dort sind unter dem Titel "From My Heart" 150 Werke der Künstlerin zu sehen.
Obwohl sie schon als Zweijährige aus Nürnberg in die USA zog, ist Smith Deutschland, und besonders Bayern, offenbar weiter verbunden. So schenkte sie den Pinakotheken ihr gesamtes in Auflagen erschienenes druckgrafisches Werk, das dort nun in regelmäßigen Abständen zu sehen ist. In der aktuellen Schau steht das Motiv des Herzens im Vordergrund, das für Kiki Smith eine wichtige Rolle spielt. Vielleicht ließe sich ihre ganze Kunst so zusammenfassen: Als Künstlerin muss man ein Herz haben, dann muss man es in die Hand nehmen, und es sich vielleicht auch ab und zu brechen lassen.