Am 14. September postet der Modedesigner Jimmy Howe ein Bild des amerikanischen Comedians Pete Davidson in seiner Instagram-Story. Davidson trägt einen violetten Strick-Cardigan, ein T-Shirt mit Katzenprint und eine geblümte lila Hose, dazu einige Perlenketten, gebleichtes Haar und Sneaker, als er in der "Tonight Show Starring Jimmy Fallon" auftritt.
Der Look hat seinen eigenen "Vogue"-Artikel bekommen, "Pete Davidson hat sich in einen Fashion Bro auf einem LSD-Trip verwandelt", heißt es darin. Aber vielleicht hat der Comedian auch einfach nur keine Lust mehr, sich den veralteten, stereotypen Mustern und auferlegten Dresscodes zu ergeben. Vielleicht hatte er einen schlechten Tag und brauchte eher eine Strickjacke, die sich weich um seine Schultern legt, als ein kastig-kühles Jackett und er hatte kein Problem, das nach außen zu kommunizieren. So wie Jimmy Howes "Men Who Care".
Was der Name einer woken Boygroup sein könnte, ist der Titel von Jimmy Howes Masterkollektion, die er dieses Frühjahr an der Kunsthochschule Central Saint Martins in London als sein Abschlussprojekt präsentiert hat und die den Zeitgeist ungemein genau trifft. "Healthy Menswear" nennt der 24-Jährige die Mode, die er entwirft. Kleidung für einen Mann, der sich einfühlsam und verantwortungsvoll der Natur gegenüber verhält, sich um sie kümmert, für sie und seine Umgebung sorgt. Dabei geht es nicht um die typische Idee des Geldverdieners, des selbsternannten Alpha-Mannes, der sich und seine Familie ernährt, mit einem großen Auto durch die City düst und im Anzug profitable Geschäfte aushandelt, um finanziellen Rückhalt bereitzustellen - sondern um den Mann, der Empathie zeigt.
Toxische Männlichkeit und Klimakrise
Howe sieht einen klaren Zusammenhang zwischen dem unbeholfenen Umgang mit der Klimakrise und den Eigenschaften einer Männlichkeit, die oft als toxisch bezeichnet wird. "Im aktuellen Rollenmodell wird die Frau ganz klar als die Person wahrgenommen, die sich kümmert, Emotionen zulässt und mitfühlend ist, nicht der Mann. Deswegen kriegen es mächtige, männliche Politiker auch nicht hin, sich endlich ausreichend um die Klimakrise zu kümmern, ihnen fehlt die Empathie, sie spüren keinerlei Verbindung zur Natur," erklärt Jimmy Howe im Interview. Das Problem nennt sich "Eco Gender Gap": "Unabhängig davon, ob Frauen mit der Sorge um den Planeten geboren werden oder es lernen, gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Weiblichkeit und Umweltfreundlichkeit kognitiv miteinander verknüpft sind (bei Männern und Frauen) - und dass dies, so absurd es auch klingen mag, zum Teil die Männer davon abhält, ihren Beitrag zu leisten."
Howe beschreibt das Phänomen weiter: "Die Politiker reden über den Klimawandel auf eine Art und Weise, die kalt und unnahbar ist, sie spielen sich viel mehr auf, als dass sie versuchen, das Problem auf eine umsorgende Art und Weise anzugehen. Das war während der Pandemie genauso, es geht ums Kämpfen, ums besser sein," so der Designer, "doch das löst ja offensichtlich nichts." Es scheint, als wäre ein effektives Kümmern um die Umwelt ein Absprechen von Männlichkeit. In einem 2014 im "International Journal for Masculinity Studies" veröffentlichten Artikel heißt es: "Für Klimaskeptiker war nicht die Umwelt bedroht, sondern eine bestimmte Art der modernen Industriegesellschaft, die von ihrer Form der Männlichkeit aufgebaut und dominiert wurde."
Mit seiner Arbeit könnte Howe diesen toxischen Kreislauf zumindest ein wenig erschüttern. Der 24-Jährige wuchs in Kent, Südostengland, auf - ein Umstand, der auch seine Kollektion inspirierte. "Als ich begann, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, dachte ich auch daran, wie ich aufgewachsen bin und habe gemerkt, dass mich heute wie damals viele Männer umgaben, die nicht die emotionale Fähigkeit hatten, sich zu kümmern." Auch bemerkte er, welch großen Einfluss sein eigener Mangel an emotionaler Reaktionsfähigkeit auf seine Designs hatte, wie er immer wieder stagnierte. Somit war der Arbeitsprozess nicht bloß eine Observation seiner Umwelt und der Männer darin, sondern auch seiner selbst. Howe konfrontierte sich mit seinen anerzogenen und erlernten Verhaltensweisen. "Es war unvermeidlich, auch an mir selbst Kritik zu üben. Und dann ging es mir darum, Lösungen für diese offensichtlichen Probleme zu finden. In einer Art und Weise, die mir Spaß macht."
Gesündere männliche Vorbilder
Dies gelang ihm mit seiner Kollektion "Men Who Care". Sie zelebriert die fürsorglichen Aspekte der Männlichkeit, wie sie etwa das Volk der Sami, die Ureinwohner Nordeuropas, verkörpern. "Die Männer in dieser Gemeinschaft sorgen dafür, dass es dem Boden gut geht, die Bäume in Ordnung gehalten werden, dass die Tiere in versorgt sind, und dazu schauen die Kinder auf, das ist ihr männliches Vorbild. Das führt zu einem gesünderen Bild in der Gesellschaft, zu einer gesünderen Vorstellung von Männern." Wie ein Schneeballsystem beschreibt es Howe: Kinder nehmen diese Idee von Mannsein auf und verbreiten sie weiter und weiter, bis es das Bild ist, das einen "echten" Mann repräsentiert. In unserer Gesellschaft sei das Gleiche passiert, nur mit den "falschen Vorbildern und Attributen", die eher zerstörten als kümmerten.
Jimmy Howe orientierte sich außerdem an Gemeinschaften von Männern, die sich zusammen in der Natur aufhalten und sich an sie anpassen und es nicht andersherum erzwingen. Etwa auf Bäume klettern, Berge erklimmen oder Tiere retten. So könne auch ein anderer Umgang mit dem sozialen Umfeld entstehen, sagt er. Eines der größten Probleme der aktuell mit Männlichkeit verbundenen Verhaltensweisen sei das Ignorieren von emotionalen Schwierigkeiten, sie nicht anzusprechen, sondern auszuhalten, bis sie sich einen anderen, oft destruktiven Weg nach außen bahnen. "Diese Idee, einfach weiterzumachen und über etwas nicht zu reden, führt letztlich dazu, dass Menschen auseinanderdriften." Mode nennt er als eine Methode, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen, letztlich seine eigene Meinung nach außen zu transportieren, sogar tragbar zu machen. Gleiches gilt für ihn für Musik und Essen: kreative Wege, den eigenen Standpunkt, den eigenen Geschmack für die Sinne der anderen erlebbar und verständlich zu machen.
Dabei will und kann er keine perfekte Orientierung bieten, er möchte kein unerreichbares Ideal von einem Mann anpreisen. Wichtig ist für Howe, mit einem Umdenken anzufangen. "Ich würde gern sagen, dass ich eine gesunde Männlichkeit zum Ausdruck bringe, aber gleichzeitig gibt es Momente, in denen ich einfach nicht über etwas reden kann und lieber gegen eine Wand schlagen würde.“ Letztlich war seine Recherche auch eine Art therapeutischer Prozess für ihn.
Mehr Empathie in der Herrenmode
"Ich habe mich und meine Umgebung analysiert. Das Ergebnis zeigt die Aspekte, dich ich um mich herum haben möchte, die ich liebe und feiern will." Generell wünscht er sich, dass Empathie in der Herrenmode eine größere Rolle spielen würde. Dass die Kleidung sich um den Menschen kümmert, weniger als Rüstung fungiert, sondern Wärme und Geborgenheit vermittelt.
Die Materialien die Howe für "Men Who Care" verwendete, stammen aus nachhaltiger Produktion und spiegeln seine Liebe zur Natur wider. Viele seiner gezeigten 14 Looks sind funktional, erinnern an Camping-Kleidung, lassen es zu, sich der Natur und rauem Klima auszusetzen. Neben den Outdoor-Charakteristika kommen auch dekorative Elemente vor: eine kleine Weste mit Blumenprint, verzierte Mützen, "Colorblocking" und Tanktops und absolut keine Angst vor weiblichen Assoziationen. Der Eröffnungslook besteht aus einer gelben Jacke mit einer abnehmbarer Kapuze. Die wadenlange Wollhose ist lila, genau wie die bestickte Vliesmütze und die Socken. Für Howe ein Look, der seinen einfühlsamen Mann bestens repräsentiert.
Dann ist da das Outfit aus einem übergroßen, selbst gestrickten Cardigan und einer Anzughose mit Cargo-Taschen. "Diese großen Taschen sind verdammt toll, um darin seine Sache zu verstauen. Den Cardigan könnte dir deine Oma oder Mutter gestrickt haben. Ich wollte, dass es etwas sehr Bequemes ist, dass den Mann tröstet. Ich stelle mir einen Typen vor, der bei seiner Mutter wohnt, und sie gibt ihm diese Strickjacke, weil es draußen kalt ist." Die Jacke hat etwas sehr Kindliches, würde vielleicht von einem Jungen im Kindergartenalter noch akzeptiert werden, wäre aber spätestens in der Grundschule nicht mehr cool genug.
Das jedenfalls könnten Bestandteile der "mutigen neuen Ära der britischen Herrenmode" sein, wie das Magazin "The Face" die Arbeit von Howe und einiger seiner Mitstudenten betitelt. Diese integrieren neue Schnitte und Silhouetten, die von dem festgefahrenen, oft gesehenen Angebot abweichen. Es war an der Zeit für eine Mode für Männer, die sich kümmern - und Pete Davidson trägt sie schon.