Jack Whitten experimentierte in viele Richtungen – ein langes Malerleben lang. "Es gibt kein eigentliches Ziel", sagte der Kunsthändler Allan Stone am Anfang seiner Karriere zu ihm, das war bei seiner ersten Ausstellung. Es gab kein Ziel, und deshalb viele Überraschungen.
Whitten war mit abstrakter Malerei in Mosaiktechnik bekannt geworden, die heute wirkt wie ein lang vermisstes Bindeglied zwischen Abstraktem Expressionismus und der jüngeren afroamerikanischen Malerei eines Mark Bradfords. Erst kurz vor Whittens Tod 2018 änderte sich das wirklich, als die Galerie Hauser & Wirth große Einzelausstellungen mit Werken des Afroamerikaners zeigte und er in der Ausstellung "Soul of a Nation" in der Londoner Tate Modern vertreten war.
So ein großes Publikum hatte Whitten selten; eine Einzelausstellung 1974 im Whitney Museum markierte lange den Höhepunkt seiner Karriere. Bis 2007 wurde der Maler noch nicht einmal von einer nennenswerten Galerie vertreten. Es war ausgerechnet der Deutsche Udo Kittelmann, der das einfädelte: Ein Besuch im Atelier des Malers in Queens enthusiasmierte den späteren Direktor der Nationalgalerie Berlin dermaßen, dass er noch am selben Tag durch New Yorker Galerien lief und das Hohelied Whittens sang. Alexander Gray Associates habe, so sagt jedenfalls Kittelmann, erst auf seine Empfehlung hin den Maler ins Programm genommen. Danach folgten mehrere Retrospektiven in großen US-Museen und ein erster Katalog überhaupt.
Bildnerische Energie aus allen Richtungen
Jetzt erkundet das Museum of Modern Art in New York mit "Jack Whitten: The Messenger" die gesamte Bandbreite von Whittens innovativer Kunst und zeigt mehr als 175 Werke von den 1960er- bis zu den 2010er-Jahren, darunter Gemälde, Skulpturen, selten gezeigte Arbeiten auf Papier und Archivmaterial. Es ist die Liebe zum Material, zu Experiment und Innovation, die in Whittens Werk sichtbar wird. Im Interview mit Monopol im Jahr 2017 sagte der Maler: "Ich benutze für meine Arbeit nicht mal das Wort 'malen', sondern 'machen'. Diese Bilder sind gemacht, sie sind konstruiert. Und dennoch ist es Malerei, weil die Werke mit Farbe entstehen. Es ist Farbe auf Leinwand. Es ist das, was passiert, wenn Gestus auf Prozess trifft."
Der Maler beklebte Leinwände häufig mit glasartigen, farbigen Acrylsteinen und dämpfte und brach so die Geste, die doch beim Abstraktem Expressionismus im Mittelpunkt stand, durch einen Prozess des handwerklichen, besonnenen Machens. Die intellektuelle und bildnerische Energie scheint in den Arbeiten aus allen Richtungen zu kommen: aus den Darstellungswelten antiker Mosaike, aus den Instinkten des Abstrakten Expressionismus, aus dem Jazz, aus der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und nicht zuletzt aus wissenschaftlichen Weltanschauungsmodellen wie der Quantentheorie. Jack Whitten schien das alles mühelos zu umfassen – was auch mit seinem Lebenslauf zu tun hat.
Vom Schildermaler zum De-Kooning-Jünger
Jack Whitten wurde 1939 Bessemer, Alabama, geboren, das Leben in den Südstaaten war noch von Rassentrennung und unvorstellbarer Diskriminierung geprägt – prägende Erfahrungen für den jungen Jack Whitten. Das Kunstmuseum im nahen Birmingham etwa durfte er als Schwarzer nicht betreten. Als junger Mann besuchte er Vorbereitungskurse für ein Medizinstudium und ging auf die Kadettenschule, um Militärpilot zu werden. In einem Interview mit dem Kurator Robert Storr erzählte Jack Whitten, wie er eines Tages mitten im Unterricht – man war gerade dabei den Ablauf eines Bombenabwurfs zu erläutern – aufstand und rief: "Was zur Hölle mache ich bloß hier?"
Whitten hatte künstlerische Ambitionen. Früh arbeitete er mit seinem Stiefvater, einem Schildermaler, zusammen, und auch in seiner Schule erledigte er alles, was an Gestaltung und visueller Kommunikation in der Einrichtung anfiel. Also besuchte er die Kunsthochschule in Baton Rouge, Louisiana. Im Frühjahr 1960 kulminierte die Bürgerrechtsbewegung in heftigen Protesten. Whitten, der bereits vorher unter anderem durch Begegnungen mit Martin Luther King Jr. politisiert worden war, nahm an einen Protestmarsch teil, der von Rassisten und Polizeikräften brutal angegriffen wurde. "Ich wusste, dass ich so etwas nicht noch einmal durchstehen würde." Und er wusste, dass er die Südstaaten verlassen musste.
Whitten ging ins liberale New York, um Kunst an der Cooper Union zu studieren. Er war dort der einzige Schwarze Student, und zum ersten Mal in seinem Leben saß er überhaupt mit weißen Menschen in einem Klassenzimmer, hatte weiße Lehrer. In Downtown Manhattan ging er in Jazzclubs – Whitten spielte selbst Saxophon und hatte musikalische Ambitionen – und traf auf eine lebendige und doch recht kleine Künstlerszene. Der Abstrakte Expressionismus verlor zwar gerade an Schubkraft, aber viele Heroen der Bewegung waren noch präsent: "Willem de Kooning war einer der ersten Künstler, die ich in New York traf. Ich folgte ihm wie ein Hündchen." Und zwar nicht nur durch die Bars, sondern auch in der Malerei: "Eines Tages kam jemand zu mir ins Atelier und sagte: 'Ein paar schöne De-Koonings hast du hier'. Und da wusste ich, dass ich was ändern muss."
"Malerei ist ein einziges Rutschen und Schlittern"
Mitte der 1960er-Jahre trug der noch junge Maler die Farbe mit Tüchern auf, verwischte sie, fügte Pigment hinzu, deckte die Komposition erneut mit einem Tuch zu, imprägnierte so geisterhafte, nebelige Figuren auf das Bild. Acryl war damals noch neu auf dem Markt und versprach ungekannte Möglichkeiten. Whitten baute sich große Holzkonstruktionen, die dosenweise Farbe aufnehmen konnte, und Instrumente, um in den Acrylpools dann rühren oder noch feuchte Farboberflächen harken zu können. So schuf er Kompositionen, die in Abbildungen an die später entwickelten Rakelbilder von Gerhard Richter erinnern: ein schlierenhaftes Farbspektakel aus Schichten und immer weiteren Schichten.
Seit Ende der 60er-Jahre reiste Whitten durch die Mittelmeerregion und studiert antike Mosaike, arbeitete schließlich selbst mit Mosaiken. Jeden Sommer verbrachte er auf Kreta. Das Schimmern der dunklen Tesserae (wie Mosaiksteine fachmännisch heißen) und die durch die Fugen gebrochene Flächigkeit erzeugen bei Whitten ein kaleidoskophaftes Flimmern, ja, ein beinah "flüssiges" Bild, das sich je nach Blickwinkel entscheidend ändert.
Überhaupt verweist sein ganzes Werk bei aller Verwandtschaft zu antiker Kunst ganz unmittelbar auf die Gegenwart: die Tesserae etwa auf Pixel digitaler Bilddateien, die Geometrie jüngerer Bilder auf QR-Codes und Benutzeroberflächen technischer Geräte. "Selbst in unserer durchtechnologisierten Zeit glaube ich daran, dass die Kunst wirklich bedeutende Unterscheide machen kann", sagte Whitten im Monopol-Interview. "Ich glaube an die Kraft der Malerei. Es geht hier um eine Haut aus Farbe auf einer Oberfläche. Das ist alles, und es ist doch so viel. Malerei ist ein einziges Rutschen und Schlittern, aber wenn es passiert, dann passiert es."