Istanbul-Biennale

Keine unangenehmen Fragen

Wie kuratiert man in diesen aufgewühlten Zeiten eine Biennale? Ausgerechnet Elmgreen & Dragset, die als Künstlerduo keine spektakuläre Inszenierung scheuen, treten als Kuratoren der Istanbul-Biennale eher leise auf. Zur Abrechnung mit der Erdogan-Politik taugt diese Ausstellung jedenfalls nicht

Ist ein guter Nachbar jemand, der sich niemals beschwert? Die zehnte der 40 Fragen, mit denen die 15. Istanbul-Biennale ihr Motto "A good neighbour" zu umschreiben versuchte, hätte man gegen sie selbst verwenden können. Denn zur großen Abrechnung mit dem Erdogan-Regime ist die jüngste Ausgabe der 1987 gegründeten Kunstschau nicht geworden, die am Wochenende am Bosporus eröffnete.

Spätestens nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei vor einem Jahr schien die Aufgabe des dänisch-norwegischen Kuratorenpaares Elmgreen & Dragset zur mission impossible zu werden. Einerseits sollten die Künstler die Flagge der Kunstfreiheit hochhalten und die Tradition einer Biennale mit hohem Konfliktpotential fortführen. Andererseits sollten sie deren Existenz nicht gefährden.

Man kann schon den Tarnanzug des unverdächtigen Wunsches nach dem "guten Nachbarn" und den Verzicht auf ein knalliges Polit- oder Philosophie-Motto für einen Akt vorauseilender Selbstzensur halten.

Der einzig direkte Hinweis auf die konkrete Politik im Land kommt von der marokkanisch-französischen Künstlerin Latifa Echakhch. Mit ihren zerbröselnden Wandzeichnungen des Gezi-Aufstands im Istanbul Modern deutet sie das Verschwinden einer Hoffnung an.

 

Wie gut die subtile Dialektik, das Metaphorische, mit der die Kuratoren arbeiten, dennoch aufgeht, zeigt eine Arbeit wie die der Istanbuler Altmeisterin Candeğer Furtun. Die neun Männerbein-Paare aus Keramik, die die 1936 geborene Künstlerin in einem gekachelten Baderaum auf einer Bank platziert hat, symbolisieren individuelle Körperpraktiken. So breitbeinig tritt die Türkei aber auch gern ihren acht Nachbarstaaten gegenüber auf.

 

Genauso bei Monica Bonvicini: Die schwarzen Ledergürtel, mit denen die Berliner Künstlerin einen schweren Steinquader in einem antiken Hamam im konservativen Fatih umschnürt hat, rufen den Körper zwischen Lust und Unterwerfung auf. So wie sie an die Kaaba in Mekka erinnert, denkt man aber auch unwillkürlich an die Zwangsjacke der Religion.

 

 

Künstler-Kuratoren sind ein heikles Kapitel der Biennale-Geschichte. Doch ausgerechnet Elmgreen & Dragset haben der Versuchung zur spektakulären Inszenierung widerstanden, die zum Markenzeichen ihrer Karriere geworden ist. So zurückgenommen sah man die beiden nie. Und sie setzen auf eine heilsame Ökologie des hypertrophen Formats Biennale.

Carolyn Christov-Bakargiev hatte vor zwei Jahren die knapp 90 Künstler der 14. Istanbul Biennale noch auf 36 Ausstellungsorte verteilt. Die beiden begnügten sich mit sechs fußläufig erreichbaren Venus: dem Kunstmuseum Istanbul Modern, dem Pera Museum, der Griechischen Schule in Karaköy, dem Kulturzentrum Ark Kültür in Cihangir, dem Yoğunluk-Atelier in Beyoglu und dem Hamam. Und 56 Künstler.

So abgezirkelt sie deren Arbeiten dort platziert haben, will der Funke allerdings nicht recht überspringen. Adel Abdessemeds Elfenbein-Skulptur, mit der er den Kopf des berühmten Napalm-Mädchens nachgebildet hat, das aus einem brennenden Dorf in Nordvietnam flieht, steht im Istanbul Modern wie eine entrückte Monade.

 

Bei aller wohltuenden Poesie und Subtilität ist die erste Biennale des Künstlerpaares, das "nie einen normalen Job machen" wollte, eine stille, fast klassische Veranstaltung geworden. Aber zumindest für eine Woche hat die Biennale die zunehmende Isolation der bis vor kurzem noch so angesagten türkischen Kunstszene durchbrochen. Auch wenn der ubiquitäre Hans Ulrich Obrist den Weg an den Bosporus nicht gefunden zu haben scheint.

Doch wenn Michael Elmgreens Satz von der Pressekonferenz zur Eröffnung stimmt, dass es "nichts gab, was wir nicht machen konnten", hätte die beiden die Grenzen des Sag- und Machbaren wenigstens probeweise ein Stück weiter ausdehnen können.

Auf der Pressekonferenz am vergangenen Dienstag waren den Organisatoren die Schicksale der inhaftierten "Cumhuriyet"-Journalisten oder des inhaftierten deutschen "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel keine Erwähnung wert. Wie überhaupt ein Mantra über dem Istanbuler Kunstherbst schwebte: "Politische Schwierigkeiten", "turbulente Zeiten" oder "unglückliche Umstände" lauteten die Formeln, mit der die Lage auf der Biennale wie auf der zeitgleich stattfindenden, 12. Kunstmesse "Contemporary Istanbul" (CI) immer nur umschrieben, nie beim Namen genannt wurden.

Auch die "Armenische Frage" kam in der Biennale nicht vor. Hatte Christov-Bakargiev noch das Haus der armenischen Zeitschrift "Agos", vor dem 2007 der Journalist Hrant Dink ermordet worden war, zum Ausstellungsort gemacht, suchte man dieses Tabuthema vergeblich. Ist der gute Nachbar also doch einer, der keine unangenehmen Fragen stellt?