Besucher bauen Kunstwerk um

"Ich dachte, die Leute würden aus Respekt die Finger davon lassen"

Im Museum Burg Beeskow haben Besucher Skulpturen des Künstlers Sven Gatter einfach umgebaut. Hier spricht er über den Vorfall, seine Idee hinter den Arbeiten - und warum sie kein Spielplatz sein sollen
 

Sven Gatter, Ende November ging durch die Medien, dass Museumsbesucher in Beeskow Ihre Installation aus bunten Bauklötzen auseinandergebaut und neu zusammengesetzt haben. Wie war Ihre Reaktion?

Die Kuratorin rief mich an und sagte gleich: "Ich muss Ihnen was sehr Unangenehmes mitteilen!" Und dann berichtete sie eben, dass die zu meiner Ausstellung "Echo Tektur. Ruinen und Modelle" gehörigen Materialskulpturen komplett umgebaut worden waren. Sie wurden also nicht nur versehentlich umgestoßen, sondern ganz bewusst auseinandergenommen und an einer anderen Stelle des Ausstellungsraums neu aufeinandergestapelt. Das hat mich natürlich erstmal überrascht, weil in der Ausstellung dazu nicht explizit eingeladen wird.

Also ist das vorher noch nie passiert?

Nein, in der Form ist das noch nie passiert. In früheren Ausstellungen, etwa 2021 im Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus oder im zurückliegenden Sommer in der Stadtgalerie Bernau, haben Besucherinnen und Besucher zwar hin und wieder etwas an meinen Installationen bewegt oder versucht, die Materialität zu erspüren. Dort gab es dann aber Aufsichtspersonal oder eine Videoüberwachung, sodass relativ schnell jemand einschreiten und der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt werden konnte. Aber dass die ganze Arbeit unbemerkt umgebaut wird, ist ein Novum.

Wie hat das Museum reagiert?

Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Burg Beeskow war das einerseits unangenehm, aber andererseits war im Vorfeld auch klar kommuniziert gewesen, dass es keine permanente Ausstellungsaufsicht geben würde. Ich bin trotzdem erstmal davon ausgegangen, dass die Leute aus einer Art Respekt vor dem Kunstwerk die Finger davon lassen würden.

Und was ist mit den Besuchern passiert? Haben die eine Strafe bekommen?

Nein, der Vorfall ist erst im Nachgang aufgefallen, als keine Besucher und Besucherinnen mehr da waren. Und ehrlich gesagt, ich hätte auch keine solchen Sanktionen gewollt. Es ging im Gespräch mit der Kuratorin dann auch sehr schnell darum, wie man mit der Situation pragmatisch und klug umgehen kann.

Die Installation hat etwas Spielerisches – vielleicht ist so ein Umbau gar nichts Schlechtes?

Es ist kein materieller Schaden entstanden. Insofern konnte ich mit der Zerstörung relativ gelassen umgehen. Dennoch ist es schade, dass die künstlerische Idee, die ich mit diesen Materialskulpturen verbinde, durch den Umbau nicht mehr nachvollzogen werden kann. Ich hatte schließlich kein soziokulturelles Beteiligungsprojekt oder einen Spielplatz geplant, das war bei dieser Arbeit nie mein Anliegen. Insofern musste  zunächst einmal kenntlich gemacht werden, dass das nicht die originalen Skulpturen sind. Zugleich war aber auch klar, dass ich den ursprünglichen Zustand kurzfristig nicht wiederherstellen kann. Daher haben die Kuratorin und ich uns entschieden, die Materialien der Skulpturen für die Besucherinnen und Besucher ab jetzt zum Umbau freizugeben. 

Welche Idee hatten Sie bei der ursprünglichen Form?

Die Installation "Echo Tektur" ist eine Arbeit, die ich in verschiedenen Ausstellungskontexten variiere. Sie besteht einerseits aus relativ klassisch gerahmten Schwarz-Weiß-Fotografien von ruinösen Architekturen, die ich im ländlichen Raum Ostdeutschlands dokumentiert habe. In Beeskow habe ich diesen Fotografien dann die Videoarbeit "Bruch" gegenübergestellt, in der rund 20 von mir fotografierte Bilder einer zerstörten Ziegelsteinmauer des ehemaligen Heeresbekleidungshauptamtes in Bernau zu sehen sind. Diese Bilder wurden digital animiert, sind so also zu Bewegtbildern geworden, die dadurch plötzlich eine dystopische Atmosphäre entfalten. Und es gab eben in der Ausstellung in Beeskow diese Materialskulpturen, mit denen ich die in den Fotografien und in der Videoarbeit gezeigten Ruinen  zurück in die Dreidimensionalität transferiert habe. Die Skulpturen verstehe ich als eine Art Echo auf die in Ostdeutschland gefundenen Ruinen, das sich im Ausstellungsraum aber als Modelle aus Styrodurelementen materialisiert - und daher auf den ersten Blick einen recht spielerischen Eindruck vermitteln. 

Wie kam es zu dem besonderen Material Styrodur?

Ich habe nach einem Material gesucht, das kostengünstig ist, sich leicht auf Ziegelsteinformat zuschneiden lässt und darüber hinaus gut transportabel ist. Ich bin dann auf Styrodur gestoßen, das man sowohl aus dem Modellbau wie auch als Dämmmaterial aus dem Hausbau kennt. Es ist gut geeignet, die Qualitäten, die man gemeinhin von skulpturalen Arbeiten gewohnt ist, zu unterwandern. Die einzelnen farbigen Styrodurklötze sind federleicht und nicht fest miteinander verbunden. Sie sind lediglich aufeinandergelegt, werden auch nicht auf einem Sockel präsentiert, sondern einfach im Ausstellungsraum verteilt und bleiben dadurch potentiell wandlungsfähig. Um diese Flexibilität geht es mir eigentlich. Die verstehe ich als eine Metapher für den Strukturwandel, aber nicht als Aufforderung an die Ausstellungsbesucherinnen und -besucher, sie zu zerstören oder selbst umzubauen.

Also würden Sie sagen, dass diese Transformation nicht besser aussieht als vorher?

Das Aussehen der umgebauten Skulpturen ist nicht so sehr der Punkt. Entscheidend ist, dass ihr Aufbau nun nicht mehr der von mir gewählten Systematik folgt, in der ich regionaltypische Mauerwerksverbände zitiere. Das wurde beim Umbau offensichtlich völlig unbedacht gelassen und insofern sehen die Umbauten nun ein bisschen naiv aus, was natürlich auch etwas sehr Amüsantes hat. 

Wie lange dauert es, so eine Installation zusammenzusetzen?

Das Zusammensetzen der einzelnen Materialskulpturen geht relativ schnell und kann innerhalb von zehn bis 30 Minuten geschehen, wenn man das Prinzip kennt. Länger dauert es, alle zugehörigen Elemente der Installation im Ausstellungsraum so zu positionieren, dass sie sinnig und harmonisch in Beziehung zueinander treten. Die fragilen Skulpturen lassen sich nach dem Aufbau nicht mehr einfach verschieben. Das heißt, sie müssen an dem Ort aufgebaut werden, an dem sie dann im Raum und im Gesamtgefüge der Installation gut zur Geltung kommen. Und das erfordert eben manchmal einen mehrfachen Auf- und Abbau. Bei der Einrichtung der gesamten Ausstellung in Beeskow hat das circa zwei Tage gedauert. 

Wird sich dieses Ereignis auf kommende Ausstellungen auswirken? Können die Besucher vielleicht zukünftig gezielt auf Ihre Kunstwerke einwirken?

Ich habe zumindest bei der "Echo Tektur"-Installation schon das Bedürfnis, ganz bestimmte Materialskulpturen zu zeigen und nicht irgendeinen sich ständig verändernden Umbauprozess. Dennoch überlege ich schon, wie ich diesem Spieldrang, den meine Arbeit offensichtlich auslöst, Raum geben kann. Vielleicht sollte zukünftig ein Teil der Materialien den Besucherinnen und Besuchern zur freien Verfügung gestellt werden. Aber das wäre eigentlich nicht meine Aufgabe als Künstler, sondern die Vermittlungsarbeit im jeweiligen Ausstellungsbetrieb.

Wie ist der Medienrummel um das Ereignis bei Ihnen angekommen? Die Leute scheinen es zu lieben, wenn Kunstwerke "kaputt gemacht werden" … 

Über das Spektakel ist ja relativ schnell beim Onlineportal der Tagesschau berichtet worden, beim RBB und beim "Spiegel" oder in der "Süddeutschen Zeitung". Ich war ein bisschen überrascht über diesen Aufruhr. Aber eigentlich ist die Berichterstattung nie über die Zerstörung dieser Materialskulpturen hinausgekommen. Die Meldung, dass etwas kaputt gemacht wurde, war offenbar wichtiger, als beispielsweise das Nachdenken darüber, wie diese Transformation, die mein Kunstwerk erfahren hat, in einen größeren Zusammenhang und in das Thema der Ausstellung eingeordnet werden kann. Man hätte das Ereignis auch wunderbar zum Anlass nehmen können, um über den Strukturwandel im ländlichen Raum Ostdeutschlands zu berichten oder über die Transformation fotografischer Bilder oder über den kommunikativen Akt zwischen Künstlern und Ausstellungsbesuchern, der sich hier gezeigt hat. Das hätte ich wesentlich "berichtenswerter" gefunden.