Wahl-Ausstellung in Chemnitz

"Es geht nicht darum, Angela Merkel ein Denkmal zu setzen"

Kasper König und Annabell Burger haben hinterm Chemnitzer Karl-Marx-Kopf eine Pop-Up-Ausstellung zum Ende von Angela Merkels Amtszeit kuratiert. Ein Gespräch über "Wir schaffen das", Selfies mit der Kanzlerin und die Bundestagswahl
 

Herr König, in Chemnitz  ist gerade die von Ihnen und Annabell Burger kuratierte Pop-Up-Ausstellung "Hinterm Nischel", eine unmittelbare Reaktion auf die Bundestagswahl. Geht die Ausstellung auf Ihre Initiative zurück oder sind Sie von den Kunstsammlungen Chemnitz eingeladen worden?

Kasper König: Ich habe eine persönliche Beziehung zu Frédéric Bußmann, dem Direktor der Kunstsammlungen Chemnitz. Sein Vater Klaus Bußmann war mein bester Freund und für meine Karriere ganz wichtig. Deshalb kenne ich Frédéric Bußmann von Kindheit an. In der Galerie Zwinger sah ich vor einiger Zeit die Ausstellung "Selfies" von Susi Pop. Die haben fotojournalistische Reportagen von der Kanzlerin und Geflüchteten mit Selfie-Bildern kombiniert. Die Körpersprache von Frau Merkel ist erstaunlich entspannt. Als wären das Familienfotos von Omas 80. Geburtstag. Man lächelt und ist freundlich zu der buckeligen Verwandtschaft. Es wirkt konventionell, unaggressiv und sehr liebenswürdig, auch durch die Farben. Alles war in rosa, pink, magenta. Aber das Thema ist alles andere als liebenswürdig. Das hat mich interessiert. Es sind Werke ohne Auftraggeber, die für die sozialen Medien entstanden sind. Das war der Ausgangspunkt. Und ich war fasziniert vom dem großen Schaufenster hinter dem Karl-Marx-Monument, dem Nischel, den die Kunstsammlungen seit einigen Jahren bespielen. Die machen in diesem "Chemnitz Open Space" tolle Ausstellungen, aber es gibt relativ wenige Besucher. Da muss man einen langen Atmen haben.

Annabell Burger: Der Platz vor dem Nischel ist bekannt für politische Propaganda unterschiedlicher politischer Gesinnung. Hinter dem Nischel findet jetzt unsere eine Pop-Up-Ausstellung statt, die politisch ist, aber keine Propaganda.

Zwei der sieben Arbeiten widmen sich explizit Angela Merkel:  Susi Pop zeigt "Selfies" (2021), einen magentafarbenen Siebdruckfries, der Chemnitzer Künstler Osmar Osten Zeichnungen unter dem Titel "Gute Macht Merkel". Welches Merkel-Bild vermittelt die Ausstellung?

KK: Es geht nicht so sehr um Merkel, sondern um ihre Funktion und um Repräsentation. Merkel hat in dieser Krise damals eine Haltung entwickelt, die nicht propagandistisch war. Vergleichbar mit Willy Brandt, der im Ghetto in Warschau einen Kniefall macht, ohne dass ihm das irgendwelche Berater ins Regiebuch geschrieben haben. Ich glaube, so war das auch bei Merkel. Das hat eine enorme Resonanz in der ganzen Welt gehabt. Ich bin Ende des Krieges geboren, 1943. Das Trauma der Nazivergangenheit sitzt natürlich wahnsinnig tief. Aber es geht nicht um Selbstmitleid, sondern darum, etwas daraus zu lernen. Insofern ist Kunst - wenn sie interessant ist, und das ist die Ausnahme - ein guter Transmissionsriemen, um Veränderungen zu bewirken oder darüber zu reflektieren.

AB: Es geht uns nicht darum, ein Denkmal für Angela Merkel zu setzen. Susi Pop schafft eher ein Epochenbild, aus verschiedenen Reportagebildern im Zuge der Willkommenskultur von Angela Merkel. Es geht um den Einfluss der sozialen Medien, die Kanzlerinnenschaft und die Migrationsereignisse seit 2015. Hier schließt sich die Arbeit von Laura Horellis an: "Current Female Presidents (5/2000)" setzt sich aus online verfügbaren Medienbildern der im Mai 2000 amtierenden Präsidentinnen aus Finnland, Irland, Lettland, Panama und Sri Lanka zusammen. Es geht um weibliche Struktur in der Politik, die jetzt so in Deutschland nicht weitergeführt wird. Osmar Osten wiederum ist bekannt für seine ikonischen Figuren mit Schriftzügen. Er verbindet die Volkskunst des Räuchermännchens mit einem Schriftzug und sagt: "Gute Macht Merkel". Sozusagen als einen letzten Gruß zur Verabschiedung der langjährigen Kanzlerin.

Sie zeigen insgesamt sieben Positionen, auch Werke von Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová, Anna Steinherz, Hito Steyerl und Joerg Waehner sind vertreten. Laut Pressemitteilung ist es Anliegen der Ausstellung, einen Dialog über sozialen Zusammenhalt und Solidarität in unserer Gesellschaft zu initiieren. Wie soll dieser Dialog befördert werden? Wird es begleitende Formate geben, um über diese Themen und die ausgestellte Kunst ins Gespräch zu kommen?

AB: Ein Gesprächsformat gibt es indirekt über die Skulptur von Joerg Waehner "Mies meets Marx. Revolutionsdenkmal in Plattenbauweise" (2021). Er hat für die Eröffnung neben dem Karl-Marx-Kopf eine Bar geschaffen, einen sozialen Ort.

Wird auch das Karl-Marx-Monument selbst bespielt?

KK: Nein, aber wir zeigen das Modell der Skulptur "Darm" der beiden Künstlerinnen Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová. Das Original, eine Art Darm von Karl Marx in vergleichbarer Dimension zum Kopf, entstand im Rahmen des Public Art-Projekts "Gegenwarten" im Sommer 2020 und ist aktuell noch im Schillerpark zu sehen. Da spielen immer Kinder, das muss unbedingt erhalten bleiben.

AB: Bei Joerg Waehner geht es um den Diskurs von Zerstörung und Wiederaufbau politisch belasteter Denkmäler. Auch beim Karl-Marx-Kopf stand zur Debatte, ihn abzureißen. Insofern bezieht er ihn indirekt in seine Arbeit ein.

KK: Ich bin ein echter Fan von dieser Skulptur, besonders von der Rückseite. Die Vorderseite erledigt sich von alleine, den erkennt man mit dem großen Bart und dem Riesenkopf. Karl Marx, das ist wie ein Logo. In London habe ich von meiner Wohnung aus mal direkt auf seine Grabstätte auf dem Friedhof Highgate Cemetery geguckt. Da hatte ich auch immer seinen Kopf vor der Nase. Aber der in Chemnitz ist viel monumentaler.

Deimantas Narkevičius hatte für die Skulptur Projekte Münster 2007 vorgeschlagen, das Monument nach Münster zu transloszieren und das ganze filmisch zu begleiten.

KK: Die Bürgermeisterin, die Denkmalpflege und auch die Stadtplaner in Chemnitz haben das damals abgelehnt, obwohl wir nachweisen konnten, dass wir es transportieren und den Wiederaufbau garantieren könnten. Wir hatten ein großes Transportunternehmen, das das zum Teil mit dem Hubschrauber gemacht hätte, weil die Skulptur nicht unter der Autobahnbrücke durchgepasst hätte. Zehn Jahre später war die Stadt bereit, es zu machen. Da haben wir gesagt: Jetzt macht es keinen Sinn mehr. Nach der Wende war das natürlich faszinierend: Münster war wie Chemnitz nach dem Krieg total zerstört. Münster ist dann historisch rekonstruiert worden, eher so ein bisschen Disneyland. Chemnitz ist heute Stadt der Moderne. Ich bin kein Kunsthistoriker, mich interessieren Zusammenhänge. Chemnitz ist früher eine irre Stadt gewesen. Es gibt ein tolles Bild von Ernst Ludwig Kirchner, worauf man 20 Schornsteine und Riesenfabriken sieht. Chemnitz war einer der großen Industriestandorte, ist immer eine Arbeiterstadt gewesen. Zum Ende der Weimarer Zeit haben sich die Kommunisten und die Nazis hier die Köpfe eingeschlagen. Ich wünschte, wir hätten noch mehr Zeit gehabt, uns hier umzusehen. Die Musik-Szene hat wohl mehr Ausstrahlung, als die bildnerisch-künstlerische. Wichtig wäre ein Intercity-Anschluss, damit es nicht dreieinhalb Stunden dauert, nach Berlin zu fahren, obwohl die Strecken mit dem Bummelzug von Leipzig und Dresden sehr interessant sind. Aber wenn man da lebt, ist es, glaube ich, ein bisschen beschwerlich.

Wann waren Sie das erste Mal in Chemnitz?

KK: Das ist bestimmt 40 Jahre her. Da war ich mit einer Delegation von westdeutschen Kriegsdienstverweigerern unterwegs. Wir waren eingeladen, von der SED aus Weimar oder so. Das waren alles Typen. Keiner von denen hatte besondere Sympathie für das Regime. Wir hatten alle Ersatzdienst gemacht, den ich nicht zu Ende gebracht habe. Ich bin pazifistischer Fahnenflüchtling. Das war eine lustige Reise. Wir sind nachmittags in Karl-Marx-Stadt angenommen und dann früh mit dem Bus weiter nach Dresden. Wir haben die ganze Zeit Marihuana geraucht. Insofern sind meine Erinnerungen an Karl-Marx-Stadt ziemlich vernebelt.

Ist diese Pop-Up Ausstellung der Beginn eines größeren Projektes von Ihnen in Chemnitz, etwa in Hinblick auf die Kulturhauptstadt Europas?

KK: Das muss nicht sein, es sei denn, es bietet sich irgendwas an. Aber eigentlich nicht. Ich habe jede Menge zu tun.

Bei der Bundestagswahl gingen in Chemnitz 23,4 Prozent der Zweitstimmen an die SPD. Dahinter folgen die AfD (21,6 Prozent). Was sagen Sie zum Ergebnis der Wahl?

KK: Naja, ich hätte es natürlich gut gefunden, wenn Die Linke über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen wäre. Die habe ich lokal gewählt, weil die das gut machen, mit Kindergarten und Altersheim und so. Das ist für mich bedauerlich. Aber ich freue mich, dass die Kulturstaatsministerin jetzt ihren Hut nehmen muss. Dieses "Mit-Geld-um-sich-werfen" und Krokodilstränen weinen in der Covid-Zeit, dieses vermeintliche "Sich-für-die-Kultur-stark-machen" und dann den Palast der Republik abreißen und dieses blöde Schloss wieder aufbauen, das finde ich so dermaßen verlogen. Insofern bin ich nicht schadenfroh, sondern einfach froh, dass sie nicht mehr da ist.

Haben Sie einen Wunsch an die Kulturpolitik der neuen Bundesregierung?

KK: Es ist deprimierend, weil engagierte Kulturpolitikerinnen oder Kulturpolitiker eine aussterbende Spezies von Leuten sind. Ich wüsste gar nicht, wer das bei den Grünen oder der SPD machen würde. In der Regel findet man das, wenn überhaupt, dann noch bei den Konservativen. Da kann dann einer Bratsche spielen, der andere hat Altgriechisch gelernt. Die spielen immer die Macker von wegen Kulturnation, aber an der Basis ist das ziemlich mau.