Sächsisches Kulturprojekt

"Alles, was wir machen, ist immer politisch"

Julianne Csapo engagiert sich mit ihrem Kulturverein in Sachsen für Kunst auf dem Land. Vor der Landtagswahl erzählt sie, wie die Projekte ankommen, wie sie die Stimmung empfindet und warum sie trotz des Erstarkens der AfD optimistisch bleibt

Die freie Künstlerin und Kuratorin Julianne Csapo lebt im Umland von Leipzig und leitet seit fünf Jahren die Pilotenküche, ein internationales Residency-Programm für aufstrebende Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt. Als Reaktion auf sogenannte "Spaziergänge" gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung, bei denen von Teilnehmern verfassungswidrige Parolen und Symbole verwendet wurden, initiierte Csapo mit einer Gruppe einen Gegenprotest. Sie besetzten an einem Montagnachmittag den Marktplatz in Colditz für zwei Stunden.

Dieser Protest führte zur Gründung des Kulturmarkt e.V., der seit 2022 regelmäßig mit vielfältigem Programm auf dem Colditzer Marktplatz zu Gast ist. Dieses Jahr ging es noch einen Schritt weiter und die Mitglieder pachten nun den Heimatturm in Colditz, um einen einfachen Zugang zu Kunst und Austausch zu schaffen. Wir haben vor der Landtagswahl in Sachsen, bei der die AfD in Umfragen bei rund 30 Prozent liegt, mit Julianne Csapo gesprochen.


Frau Csapo, Sie leben und arbeiten in Colditz, einer kleineren Stadt in Sachsen. Was reizt Sie an diesem Ort?

Als Künstlerin hat mich schon immer interessiert, welche Situationen dazu führen, dass Menschen gut zusammen sind und miteinander auskommen. Und seit knapp zehn Jahren setze ich mich mit dem auseinander, was die Umgebung mir bietet. Warum ist die Stimmung an bestimmten Orten so schlecht, und was kann ich mit meiner Expertise einbringen oder auch ausprobieren? Wie kann künstlerische und kuratorische Arbeit auf das Miteinander einwirken?

Wer steckt hinter dem Verein Kulturmarkt? 

Wir sind circa 15 Menschen, wobei die wenigsten tatsächlich in der Kultur tätig sind. Einige schon, aber andere kommen beispielsweise aus der sozialen Arbeit, wie Thomas Tänzer, der für das Bildungs- und Sozialwerk arbeitet und das Bürgercenter Colditz (BCC) leitet. Oder Silva Dietze, die künstlerisch im Hospiz, bei den Buchkindern und an anderen Orten in Colditz aktiv ist. Seit 2022 veranstalten wir nun regelmäßig Kulturmärkte auf dem Colditzer Marktplatz. Vereine und Akteurinnen und Akteure aus der ganzen Gegend werden eingeladen, um sich zu vernetzen, da zu sein, miteinander eine gute Zeit zu verbringen. Es gibt dazu immer Musik: Konzerte aus der Gegend, aber auch aus Leipzig oder Dresden. Und zeitgenössische künstlerische Positionen.

Wie wird dieses Engagement von der Bevölkerung angenommen? Stoßen Sie auf Widerstand?

Widerstand erlebe ich nicht. Was ich erlebe, ist, wenn nicht genug Leute zusammenkommen. Im ersten Jahr hatten wir, wenn es hochkam, etwa 150 Besucher, was durch die erschwerten Bedingungen wie extreme Hitzeperioden und einer Warnung für die Gesundheit von Rentnern bedingt war. Colditz hat eine hohe Altersstruktur, wie eigentlich überall im Osten, und das spiegelt sich dann auch in der Besucherzahl wider.

Hat sich das inzwischen geändert?

Ja, jetzt kommen bis zu 400 Leute. Wir sind auch gewachsen – von neun Ständen auf mittlerweile 27.

Sie arbeiten sowohl in der Stadt Leipzig als auch in Colditz auf dem Land. Wie unterscheiden sich die Erfahrungen zwischen diesen beiden Umgebungen?

Das Programm, was ich in Leipzig leite, gibt es so oder so ähnlich oft in Berlin. Und da gibt es viel mehr Menschen, für die das überhaupt nichts Besonderes ist, auf Englisch miteinander zu kommunizieren oder mit Perspektiven aus unterschiedlichen Ländern konfrontiert zu sein. Wobei auch das Blasen sind. Es betrifft selten eine breite Masse, und man kann dem dadurch auch gut ausweichen. Insofern ist es auf dem Land anders. Es heißt so oft, auf dem Land sind die Wege kürzer. Und das sind sie tatsächlich. Weil es nicht immer 400 von einer Art Leute gibt, hast du dort die Möglichkeit, Menschen mit ganz unterschiedlichen Biografien und Erfahrungen zu treffen und sich auszutauschen. Für mich fühlt sich das tatsächlich viel intensiver an als in der Stadt, wo man dann doch eher unter sich bleibt. 

Haben Sie mal darüber nachgedacht, aufgrund der politischen Situation woanders hinzugehen? 

Das ist interessant. Jeder hat natürlich seine eigene Geschichte. Ich würde sagen, dass drei Viertel der Akteure in unserem Verein aus Colditz stammen. Die sind zum Teil unterwegs gewesen, sind aber wieder zurück gekommen. Zum Teil waren sie nie woanders, sondern wollten immer hier bleiben und die Stellung halten. Ich habe eine besondere Geschichte, denn ich komme aus Rumänien. Ich bin aber mit Eltern, die aus dem Kommunismus stammen, in Pinneberg bei Hamburg aufgewachsen – im Westen also. Ziemlich bald hat sich gezeigt, dass die allermeisten meiner Freunde aus dem Osten kamen. Eine natürliche Folge war, in den Osten zu ziehen. Und nun bin ich seit 20 Jahren hier und habe ein Kind, das Sächsisch spricht. Ich kann jetzt nicht einfach irgendwo hin.

Im Juni sind Sie als Verein noch einen Schritt weiter gegangen und pachten seither den Heimatturm in Colditz für kulturelle Veranstaltungen und Ausstellungen. Wie kam es dazu? 

Dadurch, dass unsere Märkte im ersten Jahr viermal und seitdem dreimal stattgefunden haben, gab es das Bedürfnis, zu wachsen und unsere Aktivitäten zu verstetigen. Wir bekamen die Anfrage, das Kulturdenkmal der Stadt zu pachten. Also haben wir uns beworben und den Zuschlag bekommen. Und seitdem sind wir tatsächlich schon jedes Wochenende ehrenamtlich dabei, Veranstaltungen zu organisieren. 

Werden Sie dabei finanziell unterstützt? 

Wir haben jetzt gerade eine tolle Unterstützung von der Stadt Colditz. Aber wir werden eine Bürgermeisterwahl nächstes Jahr haben, und dann kann sich das Blatt schnell wenden. Ich bin gerade auch dabei, einen Antrag bei der Kulturstiftung Sachsen zu stellen. Die haben uns auch dieses Jahr schon unterstützt. Und wir haben zwei Preise gewonnen. Einen für kulturelle Bildung 2023 und einen Preis für ehrenamtliches Engagement von der Stiftung für zivilgesellschaftliches Engagement und Ehrenamt. 

Was kann ich mir unter den bisherigen Veranstaltungen im Heimatturm vorstellen?

Bisher gab es Konzerte, ein Theater und ein Kino. Wir arbeiten aktuell noch sehr spontan und probieren verschiedene Formate aus. Dementsprechend haben wir keine langen Vorlaufzeiten, was Bewerbungen und Öffentlichkeitsarbeit angeht. Trotzdem haben wir jeweils bis zu 70 Zuschauerinnen und Zuschauer. Weil der Sonntag für viele ein freier Tag ist, wird der Turm – auch wenn an den anderen Tagen nichts läuft – geöffnet. Dazu gehört meist ein künstlerisches Mitmachprogramm. Ich habe zum Beispiel mal aus Salzteig mit allen Anwesenden Skulpturen gemacht, da das nachhaltig und regional ist. Auch kann man sich darüber unterhalten, woher das Mehl oder das Salz kommt. Es generiert einen spielerischen Zugang zu künstlerischer Arbeit.

Ihr Publikum scheint sehr vielfältig zu sein. Wer besucht Ihre Veranstaltungen?

Es ist divers, also tatsächlich viele Spaziergängerinnen in allen Altersklassen. Zwar häufig in den Siebzigern, meistens sind aber dann doch viele Kinder, Eltern, Freunde und Verwandte da. 

Gibt es kritische Stimmen dem Projekt gegenüber? 

Es gibt Stimmen die uns nicht so recht über den Weg trauen, es ist ja schon merkwürdig, was wir machen. Ohne wirtschaftliche Anforderungen einfach etwas für die Gemeinschaft tun, das hat es hier mit wenigen Ausnahmen länger nicht gegeben. Natürlich gibt es auch Quark von rechts. Aber selbst diese kommen ab und an zum Turm und da wurden schon Stimmen laut, dass es eigentlich ganz schön ist, was wir machen. Aber ja, es gibt Vorbehalte gegen Menschen von außen. Die haben in der Vergangenheit manchmal nichts Gutes gebracht.

Werden rechte Stimmen von den Medien lauter gemacht, als sie sind?

Ja.

Würden Sie sagen, dass Sie häufig in Konflikte geraten?

Auf dem Land erreichst du mehr verschiedene Leute und kommst auch schneller in Konflikte. Ich habe zum Beispiel eine Ausstellung zu Porzellan im Rathaus veranstaltet. Denn zwischen der Zwickauer Mulde und den Gleisen der ehemaligen Bahnstrecke Glauchau-Wurzen stand das größte Porzellanwerk der DDR. Ich wollte aufzeigen, dass wir eine repräsentative Ausstellung brauchen, da zum Beispiel 70 Prozent der Frauen dort gearbeitet haben: Ingenieurinnen, die dann nach der Wende direkt in Rente gegangen sind oder an der Kasse gearbeitet haben. So sind die Biografien oft, denn im Westsystem ist eine weibliche Produktionsleiterin nicht vorgesehen. Also habe ich einen Fotografen gebeten, dass der das Porzellan sucht. Also so richtig in Kellern und Schränken von Privathaushalten, aber auch in Sammlungen. Und um das zu machen, bin ich mit jemandem ins Gespräch gegangen. Es war so weit gut, bis ich gegendert habe. Das war dann für ihn der Grund, das Gespräch zu beenden. 

Muss Kunst aktuell – in Bezug auf den drastischen Anstieg des Zuspruchs für die AfD – auf dem Land politisch sein? 

Alles, was wir machen, ist immer politisch. Ob es sich aber deswegen auf Parteipolitik beziehen muss oder mit Schlagwörtern hantieren muss, die auf Wahlplakate passen? Nein. Aber natürlich ist alles, was wir tun, immer von einer Ethik getrieben. Wir machen alles, was wir für gut und richtig halten, und das steht in größeren Zusammenhängen und dementsprechend ist jede Handlung immer auch politisch. 

Wie schauen Sie auf die Wahl am Sonntag? Wie ist die Stimmung unter den Kunstschaffenden in Colditz?

Es haben sich Dinge verändert. Es werden sich Dinge verändern und es werden sich manche Dinge auch nicht verändern. Was sich nicht verändern wird, ist unser zivilgesellschaftliches Engagement. Was wir nicht absehen können, sind die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Es wird sich zeigen, was für Fördergelder wir noch erhalten, was wir für Möglichkeiten haben, auch ehrenamtlich zu arbeiten oder unterstützt von Privatwirtschaft. Wir bleiben optimistisch, komme was wolle! Ich bin jetzt gerade mitten im Förderantrag Schreiben für das nächste Jahr, um das Thema "Heimat" auch wieder zurückzuholen. Und das wäre super, wenn wir den Heimatbegriff von unterschiedlichen Seiten beleuchten könnten. Auf dem Turm.

Was bedeutet für Sie Heimat? 

Zu Heimat gehört für mich Sprache. Obwohl ich Rumänisch spreche, und auch sehr gut Englisch, ist Deutsch die Sprache, mit der ich mich am besten ausdrücken kann. Der Ort, woher ich stamme, den gibt es nicht mehr. Also es gibt keine sozialistische Republik Rumänien mehr. Jetzt gibt es ein Rumänien im Umbruch. Doch da war ich nicht dabei. Weder ich noch meine Familie sind da wirklich involviert. Wir haben unser Engagement auf Deutschland fokussiert.