Alec Leach, Sie haben sich privat und als Redakteur des Modemagazins "Highsnobiety" intensiv mit Mode beschäftigt. Wahrscheinlich interessieren Sie sich heute immer noch dafür, jedoch nicht mehr als Konsument. Gab es einen bestimmten Moment, in dem Sie sich als Käufer von der Modeindustrie verabschiedet haben?
Es war eher eine schrittweise Veränderung. Meine fünfjährige Arbeit in einem schnelllebigen und trendorientierten Umfeld forderte ihren Tribut. Ich bin jede Saison zur Pariser Modewoche gefahren, nach Mailand, nach London und zur Pitti Uomo in Florenz, vielleicht nach Seoul oder Kopenhagen oder Kiew oder Moskau. Die Unerbittlichkeit des Ganzen hat mich zermürbt. Es ist schwierig, wieder wegzusehen, sobald man erkannt hat, wie schlecht das alles für die Umwelt ist. Aber ich würde nicht sagen, dass ich mich jetzt weniger für Mode als Konsument interessiere. Die Prioritäten sind jetzt einfach anders. Ich betrachte den Kauf eines neuen Paars Schuhe heute auf die gleiche Weise, wie jemand über den Kauf einer Matratze oder eines Sofas nachdenken würde. Es ist jetzt eine wohlüberlegte Anschaffung. Ich kaufe nichts mehr, nur weil es mir gerade auffällt. Ich habe eine innigere Beziehung zu den Dingen, die ich kaufe. Es ist viel langsamer und weniger geworden.
Die Textilindustrie verursacht fünf Prozent der globalen CO2-Emissionen, mit 1,2 Milliarden Tonnen jährlich mehr als der internationale Flugverkehr und Kreuzfahrten zusammen. Wurde Ihr Bewusstsein für die Umweltschädlichkeit der Mode aus dem Betrieb selbst gefüttert?
Als ich 2016 zum ersten Mal auf dem Kopenhagener Global Fashion Summit war, erkannte ich, wie kaputt die Modeindustrie ist, aber auch, dass es so viele Menschen gibt, die versuchen, das zu ändern. Es ist der größte Nachhaltigkeitsgipfel für die Modeindustrie, so etwas wie ein Davos für die Modeindustrie. Und wie in Davos versammeln sich dort die mächtigsten Leute der Branche und klopfen sich gegenseitig auf die Schulter. Aber eben nicht nur, und deshalb war diese Veranstaltung ein Augenöffner für mich.
Wie haben Sie ursprünglich einmal zur Mode gefunden?
Ich habe immer darauf geachtet, was ich anziehe. Ich entdeckte Streetwear auf die gleiche Art und Weise, wie ich neue Musik entdeckte. Ich ging damals oft auf Konzerte und verbrachte viel Zeit in der britischen Hardcore-Szene. Und zu dieser Zeit begannen die Leute, jede Menge Streetwear zu tragen. So erfuhr ich von Marken wie Supreme oder Stüssy. Von da an hat es sich einfach so entwickelt. Aber Laufsteg-Mode war für mich persönlich immer ziemlich weit weg, selbst als ich bei "Highsnobiety" dafür zuständig war.
High Fashion hat mittlerweile viele Strategien von Streetwear aufgegriffen, etwas die Idee, mit anderen Marken zu kollaborieren oder ein Produkt nur für eine gewisse Zeit und limitiert verfügbar zu machen und das als "Drop" zu inszenieren.
Genau, Streetwear hat einen riesigen Einfluss auf die Modeindustrie. Jeder macht heute Sneaker und Trainingsanzüge und Hoodies. Natürlich hat die Luxusindustrie schon immer künstlich Produkte verknappt, aber vor allem die Drop- und Kollaboration-Idee hat noch einmal einen anderen Hype und eine neue Kurzlebigkeit geschaffen.
Auch in der Kunst können wir diese Strategien beobachten, etwa mit Drops von NFTs, die einen Mangel erzeugen, wo es eigentlich keinen gibt.
Es passt dazu, wie Leute heutzutage Kultur konsumieren. Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist kürzer als je zuvor, weil unsere Kultur so schnelllebig ist, und das hat wiederum beunruhigende Auswirkungen auf unsere Aufmerksamkeitsspanne. Ein Teufelskreis, der problematische Folgen hat für die Art und Weise, wie wir konsumieren. Als Mode-Konsument sollte man sich aus diesem Kreislauf befreien und sich zu fragen, was man wirklich von seiner Kleidung erwartet und was man den Leuten zeigen will, wenn sie einen sehen. Meiner Erfahrung nach führen diese Fragen immer zu der Antwort, dass man nicht so viele Dinge kaufen muss.
Bei einem Drop oder der Inszenierung eines modischen Selbsts in sozialen Medien geht es eher um den Moment als um das Produkt. In Ihrem konsumkritischen Buch "The World Is On Fire But We’re Still Buying Shoes" plädieren Sie erstaunlicherweise für mehr Besitztum, in dem Sinne, dass wir wieder eine Beziehung zur Ware brauchen. Können Sie das bitte kurz erläutern?
Ich spreche so oft über Eigentum, weil ich nicht glaube, dass es irgendjemanden glücklich macht, ständig neue Dinge zu kaufen. Ich weiß aber aus meinem eigenen Leben, dass es wirklich großartigen Anschaffungen gab wie meine erste Lederjacke oder mein erstes Paar Stiefel oder meine Lieblingsband-T-Shirts von vor vielen Jahren. Ich liebe sie immer noch und sie bringen immer noch so viel in mein Leben. Ich begreife den Kauf von weniger Dingen als Chance. Das Konzept des Besitzes ist so wichtig, weil es eine Gelegenheit ist, zu entschleunigen, aber auch mehr aus den Dingen herauszuholen, die man kauft.
Mode wird als ephemer angesehen, weil sie sich von Saison zu Saison ändert. Aber Sie schreiben in Ihrem Buch, dass jedes Produkt für immer Auswirkungen auf den Planeten hat. Kein Schuh, keine Shirt verschwindet einfach. In den letzten Monaten zeigten die Nachrichten Textilmüllberge in der chilenischen Atacama-Wüste. Brauchen wir erst solche Bilder, um zu erkennen, welchen Einfluss die Mode hat?
Ein großes Problem des Konsumverhaltens im Allgemeinen besteht darin, dass wir so weit von den physischen Auswirkungen der Waren entfernt sind. Ich glaube dennoch nicht, dass man mit verstörenden Bildern die Leute dazu bringen kann, weniger zu kaufen. Wir sollten den Kauf von weniger Produkten als Chance begreifen. Ich glaube, die Botschaft kann auf diese Weise viel weiter verbreitet werden als durch schockierende Bilder. Ich finde bei vielen konventionellen Nachhaltigkeitsberichten ziemlich frustrierend, dass den Leuten Schuldgefühle eingeredet werden. Für mich sind solche Bilder eher ein Symbol für das Versagen unserer Politiker, ein System zu schaffen, das der Umwelt und den Menschen nützt. Kein großes Land hat bislang angefangen, darüber nachzudenken, was es wirklich tun muss, um den Klimanotstand zu bekämpfen. Diese Bilder sind das perfekte Symbol für diese Feigheit.
Aber wenn auf die Politik kein Verlass ist, dann muss doch der Verbraucher aktiv werden – oder besser: inaktiv. Sie legen in Ihrem Buch überzeugend dar, dass auch die Modehäuser trotz hoher Gewinne nicht zu Änderungen bereit sind, weil ihr Geschäftsbericht auf einen jährlichen Zyklus ausgelegt ist und weil sie von Zulieferern und Lieferketten abhängig sind, die sie selbst nicht mehr kontrollieren können.
Ich meine nicht, dass Nachhaltigkeit jedem einzelnen Unternehmen egal ist. Alle Bereiche der Branche müssten sich ändern, und der Verbraucher kann da Druck ausüben. Aber ich blicke zutiefst zynisch auf die Bereitschaft der gesamten Modeindustrie, ihre Geschäftspraktiken zu ändern, weil sie mit dem Status Quo so viel Geld verdient. Doch Personen, die in der Branche arbeiten, haben einen großen Einfluss darauf, was passiert. Dieser Einfluss ist nicht gut erforscht, die Leute neigen zu der Annahme, dass sie, wenn sie innerhalb der Maschine arbeiten, keinen Einfluss darauf haben. Es braucht eine viel stärkere Zusammenarbeit zwischen Modefachleuten, Aktivisten, Verbrauchern, Regulierungsbehörden – all diese Menschen haben Einfluss.
Am Anfang der Pandemie haben wir uns versprochen, dass wir alle Branchen besser und nachhaltiger machen würden. Sehen Sie irgendwelche Veränderungen im Modebereich?
Ich bin viel optimistischer geworden. Die Menschen sind sich der Probleme, mit denen wir jetzt konfrontiert sind, stärker bewusst. Die Pandemie war ein Weckruf, sie hat uns gelehrt, dass alles miteinander verbunden ist. Ich finde es vielversprechend, dass die Menschen jetzt viel eher bereit sind, schwierige Gespräche zu führen und zusammenzuarbeiten. Die #PayUp-Kampagne war ein erstaunliches Beispiel dafür, wie Menschen gemeinsam etwas erreichen. Sie brachte mit Graswurzel-Strategien Marken dazu, bislang 22 Milliarden Dollar mehr an ihre Lieferanten zu bezahlen. Sie unterstützte ein Gesetz, das in Kalifornien verabschiedet wurde, um eine Menge der Schlupflöcher zu stopfen, die zu Ausbeutungsbetrieben führen. Diese Bewegung setzt sich nun für ein landesweites Gesetz namens Fabric Act ein, das die gesamten Vereinigten Staaten betreffen würde. Und wissen Sie, diese Art von Schwung ist einfach großartig.
Sehen Sie auch Veränderungen im Modejournalismus, aus dem Sie ja kommen?
Mit dem Modejournalismus ist es das gleiche Problem wie mit allen Medien: Das Finanzierungsmodell ist instabil, und das untergräbt unabhängige Stimmen. Modejournalismus war schon immer in besondere Weise davon betroffen, weil die Magazine von den gleichen Leuten finanziert wird, über die sie berichten. Man hat also immer diese sehr intime Beziehung zwischen den Marken und den Magazinen, die über sie schreiben. Mein Buch ist auch eine Möglichkeit, mich außerhalb der Modepresse zu finanzieren.
Mode verschafft ihren Konsumenten Zeitgenossenschaft und Zugehörigkeit. Was hätte einen ähnlichen Effekt und könnte Mode ersetzen?
Ich weiß es nicht, ich finde es ziemlich schwierig, Utopien zu entwerfen. Für mich sind Probleme und Antworten im Hier und Jetzt dringender. Wir wissen, dass shoppen schlecht für den Planeten ist. Wir wissen, dass shoppen nicht wirklich gut für uns selbst ist. Was können wir also dagegen tun? Weniger Dinge kaufen und bessere Dinge kaufen, sich um sie kümmern und sie wirklich lieben. Es macht Ihnen nichts aus, wenn ein Kleidungsstück irgendwo einreißt oder Sie lassen es einfach reparieren und tragen es weiter.
Die Modeindustrie will einen allerdings mit angeblichen nachhaltigen Produkten davon überzeugen, dass die Lösung darin besteht, Veränderung durch weitere Einkäufe herbeizuführen.
Das funktioniert nicht. Weniger Sachen zu kaufen rettet die Welt zwar nicht von alleine, aber es ist ein politischer Akt, eine wirklich sinnvolle Handlung. Es eröffnen sich mehr Möglichkeiten für die Art und Weise, wie wir unser Leben leben. Wir alle wissen, dass es nicht glücklich macht, viele Dinge zu kaufen. Wenn Sie sich selbst aus dem Konsumdenken ausklinken, erkennen Sie, dass Ihr Leben größer ist als die Dinge, die Sie besitzen.