Wenn Männer Kunst mit feministischer Absicht machen, geht das manchmal schief. Das zeigte zuletzt die nackte Medusa in Manhattan von Luciano Garbati, die eigentlich ein #MeToo-Monument sein sollte, aber wegen ihrer erotischen Aufladung viel Kritik auf sich zog. Kunstkritiker Jerry Saltz nannte das Werk "Ooh-La-La-Feminismus", der lediglich auf sexueller Attraktivität beruhe. Auch die erfolgreichen Instagram-Accounts "Feminist" und "Change" und deren Inhaber Jacob Castaldi und Tanner Schweitzer standen in den vergangenen Wochen in der Kritik. Aktivist*innen prangerten immer wieder an, dass die beiden Kreativität von Künstler*innen ausbeuteten, ohne deren Namen zu nennen, und sich queerfeministische Themen durch ihre Accounts aneigneten. "Pinkwashing" also.
Nun steht ein anderes Werk im Fokus von Aktivist*innen: Die Installation "Broken" des Künstlers Dennis Meseg aus 222 Schaufensterpuppen soll eigentlich auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen - zieht bis jetzt aber auch eine Menge bad press an. Aktivist*innen kritisieren die durch Meseg zugeteilte Opferrolle der von Gewalt betroffenen Personen und formen sich unter dem Hashtag #stillnotbroken zum Gegenprotest.
Die Schaufensterpuppen-Armee des Künstlers, die schon in mehreren deutschen Städten zu sehen war, soll die Masse betroffener Frauen und deren Herabwürdigung als "Püppchen" visualisieren, rotes Klebeband auf den Puppen "Verletzungen" darstellen, Sticker mit Mantras wie "Schäm dich nicht!" oder "Talk About It!" möchten Betroffene ermutigen. Sein Werk habe – natürlich! – hohen symbolischen Wert, so der Künstler.
Die Aktion wurde ursprünglich vom Arbeitskreis Gleichstellung Rhein-Sieg in Bonn initiiert und dort im November aufgebaut. Zusätzlich wurden dort Hilfsangebote für von Gewalt Betroffene vorgestellt. Der Arbeitskreis wollte sich ursprünglich die Schaufensterpuppen aus einer Installation Mesegs zur Corona-Krise ausleihen, aber der Künstler bot an, ein neues Werk zum 25. November - dem Internationalen Tag für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen - zu schaffen. Danach schloss Meseg eine Kooperation mit der Organisation Zonta und tingelt seither mit seinem Puppentheater durch Deutschland: Nach Stopps in Köln, Dresden, Hamburg, München und vielen anderen Städten wird die Tour am heutigen Donnerstag, dem Tag der Menschenrechte, auf dem Potsdamer Platz in Berlin enden.
Keine kaputten Puppen
Schon nach der Bonner Installation warfen 20 Feminist*innen dem Künstler einen uninformierten, unsensiblen Umgang mit dem Thema vor. Das an dem Protest beteiligte Referat für Frauen und Geschlechtergerechtigkeit Bonn hat die Kritik in einem gemeinsamen Statement zusammengefasst. Neben dem als peinlich empfundenen Fauxpas des Künstlers, keine gendergerechten Sprache zu verwenden, stören sich die Initiator*innen am Titel des Projekts. Der Künstler hat nach eigener Aussage den Namen "Broken" gewählt, da auch minimale Gewalterfahrungen etwas in der Person "zerbrechen" ließen, wie "kleine Risse". Die Gewalterfahrung “beeinflusse das ganze Leben”. Die Aktivist*innen empört diese zugeschriebene Opferrolle, als wären Betroffene "defekte Roboter", und weisen auf den psychologischen Schaden solcher Rollenzuschreibungen hin. Der Protest richtet sich gegen die Anmaßung, dass ein weißer Mann von Gewalt betroffenen Frauen erzählen wolle, wie sie sich zu fühlen hätten.
Auch die Schaufensterpuppen selbst sind nach Ansicht der Kritiker*innen problematisch, da sie unrealistische Körperbilder reproduzieren würden. Die damit verbundene Ansicht, dass nur "schöne" Frauen Opfer von sexualisierter Gewalt würden, werde verfestigt. "Mehr- und hochgewichtige, insbesondere von Misogynie betroffene Black, Indigenous and People of Color haben mit rassistischen, fettfeindlichen Narrativen und Stereotypen zu kämpfen", so das Statement. "Auch Frauen und weiblich gelesene Personen mit Behinderungen wird die Gewalterfahrung häufig abgesprochen."
Das Bündnis kritisiert zudem, dass der Blick nur auf Betroffene gehe, nicht auf Täter*innen. "Die Männer, die da zum Täter werden, das sind ja auch oft die Opfer", findet hingegen Meseg. Er beschreibt das Phänomen, dass Täter*innen in der Kindheit oft Gewalt erfahren hätten und das Erlernte weitergeben. "Das hat ja auch oft mit Verlustängsten zu tun, dass man den Partner, Partnerin dann unter Druck setzt, aus Angst denjenigen zu verlieren." Diese Verhaltensweisen, seien laut Meseg nicht "böse gemeint".Allerdings weisen Aktivist*innen darauf hin, dass bei einer Gewalttat nicht die Bösartigkeit der Absicht des/der Täter*in, sondern die Auswirkungen auf die Betroffenen zählen. Der Künstler bagatellisiere durch diesen Ausblick auf die psychosozialen Ursachen des Täter*innenverhaltens die Traumata der Betroffenen.
Und genau diese Traumata machten das Werk so problematisch, berichten die Aktivist*innen. Durch die Positionierung der Installation im öffentlichen Raum setze das Werk Betroffene der Gefahr einer Retraumatisierung aus.
Trotz der Kritik berichtet der Künstler selbst nur von positiven Reaktionen. Laut dem Aktionsbündnis habe er auf die Kommentare in sozialen Medien allerdings mit Löschung und Unterstellungen reagiert. Die negativen Stimmen kämen von "einigen extremen Feministinnen". Er behauptete die Aktivist*innen seien "neidisch" auf seinen Erfolg und würden ihn nur kritisieren, weil er ein Mann sei. Er bezeichnet sich als Opfer einer "Hexenjagd" und behauptet, jetzt endlich verstehen zu können, wie Frauen oder Mädchen sich im Netz fühlten.
Sexismus oder schlechte Kunst?
Reiht sich "Broken" also ein in die Reihe schief gelaufener feministischer Kunstwerke von Männern? Wäre die Kritik weniger heftig ausgefallen, hätte eine Frau das Werk geschaffen? Sollten Männer überhaupt noch versuchen, feministische Kunst zu machen? Autorin Anna Gien schrieb für Monopol: "Feminismus ist kein 'Thema'. Feminismus ist auch kein ‘Genre'". Wenn wir davon ausgehen, dass Feminismus kein Genre und auch kein Stil ist - was ist dann feministische Kunst?
Das Attribut "feministisch" kann einerseits den Inhalt eines Werkes meinen, andererseits auch dessen Umsetzung. Letzteres besagt, dass Bildinhalte feministisch realisiert werden: Frauen und weiblich gelesene Personen werden im Werk nicht erniedrigt oder objektiviert und patriarchalische Machtverhältnisse nicht reproduziert. Wenn man den Begriff so versteht, sollten alle Menschen feministische Kunst machen, so wie alle Feminst*innen sein sollten. "We should all be feminists" – der zum T-Shirt-Spruch avancierte Slogan der Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie gilt also auch für männliche Künstler.
Natürlich sollen Männer als Verbündete Mitstreiter*innen ermöglichen, diskriminierende Strukturen zu überwinden. Diese Arbeit findet aber nicht unbedingt im Scheinwerferlicht statt. Dennis Meseg lässt keine von Gewalt betroffenen Personen zu Wort kommen, selbst auf den Fotografien vom Team des Projekts sind nur Männer zu sehen. Er eignet sich die Thematik an, setzt sie unsensibel um, lässt keine Kritik zu.
Erweitern statt "canceln"
Ist es richtig, das Werk deswegen zu "canceln"? Das Bündnis #stillnotbroken jedenfalls will das nicht, sondern fordert, das Kunstwerk, wenn es noch häufiger gezeigt werden sollte, zu erweitern, Informationen über Beratungsstellen für Betroffene zu integrieren und strukturelle Gewalt gegen Frauen zu thematisieren. Außerdem solle eine Form des Sichtschutzes aufgebaut werden, damit Betroffene nicht unvermittelt mit der Installation konfrontiert werden. Vor Ort wollen die Aktivist*innen ihre Kritik äußern und informieren.
Aber warum das Werk überhaupt noch zeigen? Politische Kunst erfordert mehr Feingefühl als ein Blumenstillleben und Dennis Meseg hat mit seinem "Mahnmal" gezeigt, dass er daran gescheitert ist. Auch unter rein ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet, ist seine Arbeit überladen, bedeutungsheischend und Anspruch, Aufwand und Ergebnis stehen in keinem guten Verhältnis. Feministische Kunst von Männern kann es geben, aber so sieht sie nicht aus.