Insta-Watchlist Shannon Cartier Lucy

"Das Unbehagen in meinen Bildern ist ein universelles Gefühl"

Shannon Cartier Lucy malt aus ihren eigenen Erfahren heraus: Sie streift Momente der Irritation im Alltäglichen. Anika Meier hat mit der Künstlerin und Psychologin über ihren Erfolg bei Instagram gesprochen

Shannon Cartier Lucy, Sie haben jahrelang keine Kunst gemacht und nun plötzlich wieder damit angefangen. In der Zwischenzeit haben Sie als Psychologin gearbeitet. Wie kamen Sie wieder zur Kunst? 

Vor Jahren hatte ich eine Idee für ein Bild, damals habe ich noch in New York gelebt. Es sollte eigentlich eine Installation werden, aber es war klar, dass ich nicht ein paar Goldfische im Glas auf eine Herdplatte stellen kann. Ich dachte, dass es vielleicht mit Präparaten gehen könnte. Das hat aber irgendwie nicht geklappt. Also wurde es für mich zu einem nicht-realisierten Projekt, das immer in meinem Kopf war. Irgendwann kam ich dann auf den Gedanken, dass ich ja malen kann und fragte mich: Warum male ich das jetzt nicht einfach? Das habe ich gemacht. Und jetzt kann ich mit dem Malen nicht mehr aufhören. Manchmal ist alles eine Frage des richtigen Timings. 

Warum die lange Pause? 

Ich habe einfach versucht, zu überleben. Ich hatte Einzelausstellung und war Teil von Gruppenausstellungen, meine Arbeit war damals nicht so stark, wie sie es jetzt ist. Vielleicht liegt es daran, dass ich älter bin und Dinge anders angehe. Vielleicht bin ich jetzt furchtloser. Ich denke nicht mehr zu viel über meine Kunst nach. Ich lasse einfach alles raus. Das Leben passiert. Wenn man erkältet ist, kann man nicht malen. Ich hatte jahrelang eine emotionale Erkältung. Ich konnte nicht malen. Ich bin viel umgezogen und gereist, ich habe mich scheiden lassen und mein Leben in Frage gestellt. Und ich wollte nicht ständig zu Eröffnungen gehen müssen und Menschen in der Kunstwelt schmeicheln, damit meine Kunst beachtet wird. 

Wie erklären Sie sich Ihren plötzlichen Erfolg und den Hype? Liegt das auch an Instagram? 

Absolut, Instagram hat mir sehr geholfen. Mein New Yorker Galerist hat mich kontaktiert, weil ihn jemand auf meinen Instagram-Account aufmerksam gemacht hat und ihm sagte, er müsse unbedingt meine Bilder ausstellen. Wir kannten uns nicht, aber ich wusste, dass ich meine Bilder nicht in einem Coffee Shop in Nashville zeigen möchte. Also habe ich zugesagt, weil ich ja auch nicht jünger werde. New York war damals sehr anstrengend, wie das Leben in einer großen Stadt eben so ist. Nachdem ich mich habe scheiden lassen und mich dafür entschieden habe, New York zu verlassen, dachte ich, das war es jetzt definitiv mit mir und der Kunst. Ich bin nach Nashville gezogen, aber ich kenne natürlich viele Leute in New York. Als ich anfing, meine Bilder auf Instagram zu teilen und Leuten zu zeigen, wurde ich sofort gefragt, was ich damit vorhabe. Ich fühlte mich verletzlich, das hat mir Angst gemacht. Aber ich habe ja meinen Beruf, ich bin Psychologin. Ich habe nichts zu verlieren. Wenn man Kunst macht, um Aufmerksamkeit zu bekommen, ist das irgendwie anders, als wenn man Kunst macht, weil man genau das möchte. Mir geht es jetzt darum, ehrliche Gefühle auszudrücken, und offenbar können sich Menschen damit identifizieren. Ich glaube, meine Gemälde passen gut in die Zeit. Das Unbehagen in meinen Bildern ist ein universelles Gefühl. Neurosen und Irritationen in den eigenen vier Wänden, durchleben wir das nicht gerade alle? Es ist doch absurd, dass wir jeden Tag aufstehen und jemand sein müssen. Haben wir nicht alle diese Momente, in denen wir denken: Wie seltsam ist das Leben eigentlich? 

Empfinden Sie Ihre Gemälde als traurig? Als ich Ihre Bilder das erste Mal auf Instagram gesehen habe, musste ich an die Künstlerin und Feministin Audrey Wollen und ihre Sad Girl Theory denken: "Feminismus muss anerkennen, dass es eines der härtesten Dinge in unserer Welt ist, ein Mädchen zu sein. Unser Schmerz darf nicht im Namen des Empowerments weggewischt werden." Die Traurigkeit von jungen Frauen sei ein Resultat der misogynen Umstände. Ich muss auch an Bücher wie "Normal People" von Sally Rooney oder "My Year of Rest and Relaxation" von Ottessa Moshfegh denken. Frauen spielen darin die Hauptrolle, die nicht recht in diese Welt passen wollen und versuchen, sich ihr zu entziehen. Die Protagonistin in Moshfeghs Buch möchte einfach nur schlafen, das versucht sie mit allerlei Medikamenten so lange wie möglich zu schaffen. 

Oh nein, jetzt wo Sie das sagen, denke ich, ich sollte nicht noch eine traurige Frau malen. Die Gemälde sind ein Selbstporträt, sie geben meine Stimmung wieder. Ich sehe mich selbst nicht als traurigen Menschen. Ich male Bilder, die ich sehen möchte. Bilder, die für mich eine Wahrheit ausdrücken. Bilder, die einen Zustand ausdrücken, der sich nicht so einfach in Worte fassen lässt. Die Bilder sind kein Statement über Frauen in dieser Welt. Die Bilder sind persönlich, und ich bin eine Frau. 

Die Medien in Amerika haben sich überschlagen. Ihre Comeback-Ausstellung "Home is a crossword puzzle I can’t solve" in der Galerie Lubov in New York nach zehn Jahren Pause wurde in den Medien gefeiert. Der "New Yorker" und "Artforum" haben beispielsweise berichtet. "Artnet" hat ihre Gemälde mit Filmen von David Lynch verglichen. Wie beschreiben Sie selbst, was in Ihren Gemälden vor sich geht? 

Sie fragen da, glaube ich, die falsche Person. Für mich ist das alles normal, was ich male. Als ich angefangen habe, meine Bilder zu teilen, war ich schockiert, dass Menschen Gewalt sehen. Und das war noch bevor, wie jetzt in meiner Ausstellung in Paris, Blut zu sehen war. Mich hat auch schockiert, dass Menschen unangenehm berührt waren. "Oh wow", dachte ich, "dann lebt mal in meiner Haut. Offenbar fühle ich mich ständig unwohl." Ich male meine Welt.  

Was hat es mit dem Titel "Fooled Again", Ihrer aktuellen Ausstellung in Paris, auf sich? 

Ich habe ein Kartenspiel gefunden, eine der Karten war mit "Fooled Again" beschrieben. Ich mochte diese klassische und gleichzeitig süße Umschreibung dafür, dass man verloren hat. Daraus wurde dann das Thema der Ausstellung. Ich habe beispielsweise ein mit Blut beschmiertes Bügeleisen gemalt, man weiß nicht recht, was passiert ist. Wurde jemand ermordet? Ein anderes Bild zeigt einen Nachtisch mit einer Lampe und einem Werkzeug. Es hat sich jemand bei mir gemeldet und mir erzählt, was er in diesem Bild sieht. Ich mag, dass Menschen Geschichten und Drama in meinen Bildern sehen. Ist es nicht großartig, was Kunst kann? 

Malen sei eine Tortur, sagten Sie in einem Interview. 

Das stimmt. Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich alles mache, um zu prokrastinieren. Über Instagram verkaufe ich jetzt die Motive als Poster, nach denen ich immer wieder gefragt werde. Mein Partner sagte zu mir: "Das machst Du doch nur, um nicht malen zu müssen." "Stimmt", sagte ich, "aber immerhin verdiene ich so noch ein bisschen Geld." Malen, das macht absolut keinen Spaß. Gemalt zu haben, das ist ein gutes Gefühl. Ich erinnere mich selbst immer daran, dass ich ja nicht für mich selbst male. 

Als Sie wieder damit angefangen haben, haben Sie für sich selbst gemalt?

Es war das notwendige Übel. Es war wie eine Therapie. Als ich jahrelang nicht gemalt habe, fühlte ich mich schuldig. In meinem Leben hat etwas gefehlt. Als ich wieder gemalt habe, wusste ich, dass es das war, was mir all die Jahre gefehlt hat.