Künstlerinnen des Informel in Kassel

Der Sommer dauerte nur zehn Jahre

Informel war eine der mächtigsten Kunstströmungen der Nachkriegszeit, die gestische Abstraktion kam aber auch schnell wieder aus der Mode. Eine Überblicks-Schau in Kassel zeigt nun den oft übersehenen Einfluss von Malerinnen

Es war ein weiter Weg, bis sich die internationale Kunstwelt in der Nachkriegszeit allmählich ihren weiblichen Protagonisten öffnete. Nur sieben Künstlerinnen gehörten 1955 zum Aufgebot der ersten Documenta, darunter eine betagte Pionierin der Moderne wie Gabriele Münter und die lange verstorbenen Paula Modersohn-Becker und Sophie Taeuber-Arp. 

Nur eine Künstlerin repräsentierte die damals blühende abstrakte Richtung des Informel: Die gebürtige Portugiesin Maria Helena Vieira Da Silva hatte an ihrem Wohnort Paris die Kunstströmung mitbegründet, die Anfang der 1950er-Jahre die westlichen Kunstmetropolen eroberte und 1951 vom Kunstkritiker Michel Tapie ihren bis heute gebräuchlichsten Namen bekommen hatte. Auch wenn Großausstellungen noch lange boys clubs bleiben sollten, konnte zumindest da Silva als etabliert gelten. Bei den folgenden beiden Documenta-Ausgaben war sie ebenfalls vertreten. 

In ihrer Ausstellung "InformElle" bespielen die beiden freien Kuratoren Ulrich Etscheit und Roland Knieg Kassels Neue Galerie nun mit einer großangelegten Spurensuche. Seit langem beschäftigen sie sich auch als Sammler mit diesem durchaus wechselhaften Kunstphänomen: Schon Anfang der 1960er-Jahre begann die informelle Malerei bis auf wenige, individualistische Einzelpositionen wieder von den internationalen Bühnen zu verschwinden. Wenn man großzügig ist, dauerte der Sommer des Informel immerhin zehn Jahre.

"Männer waren nicht daran interessiert, dass Frauen künstlerisch tätig waren"

In Paris stand mit den Nouveau Réalistes auch schon eine radikale Gegenbewegung in den Startlöchern: Unvergessen sind die Malmaschinen Jean Tinguelys, die abstrakte Zeichnungen von der Rolle produzieren konnten. Umso faszinierender ist eine Rekonstruktion von informellen Künstlern, die schon während des Booms vielfach um Anerkennung kämpfen mussten, nur weil sie Frauen waren. Die einzige noch lebende Protagonistin der Ausstellung, die im westfälischen Herdecke arbeitende Roswitha Lüder, erinnert sich in einem Katalog-Interview vor allem an die fatale Macht der Künstlerverbände: "Es war vollkommen klar, dass die Männer nicht daran interessiert waren, dass Frauen auch künstlerisch tätig sind."

Den historischen Anfang macht in der Schau ein Schlüsselwerk Vieira da Silvas, das gleich auf den ersten beiden Documenta-Ausgaben zu sehen war. Ihrem semi-abstrakten Gemälde "La gare Saint-Lazare" (1949) dient die belebte Architektur des gleichnamigen Pariser Bahnhofs als Inspiration für ein zartfarbiges System aus Linien und Flecken im Raum. Auch wenn gegenständliche Assoziationen bald aus dem Werk der einstigen Surrealistin verschwinden, bleiben doch architektonische Raumwirkungen vielfach spürbar – verbunden mit Anklängen an musikalische Notationen, wie sie auch bei männlichen Zeitgenossen wie Henri Michaux und Georges Mathieu besonders beliebt waren. 

Während wichtige Arbeiten da Silvas über die Jahre auf dem Kunstmarkt nur begehrter geworden sind und sechsstellige Preise erzielen, sind viele der insgesamt 16, jeweils mit bedeutenden Werkgruppen vertretenen Künstlerinnen der Ausstellung heute weitgehend vergessen. Oder wurden mit anderen Stilrichtungen bekannter als mit ihren informellen Phasen.

Vom Informel zum Körperlichen

"Ich brauchte das Informel, als Befreiung", erinnerte sich die Österreicherin Maria Lassnig 1975, "aber ich beschränkte mich nicht auf das Informel – ich wollte etwas Reales finden … Dabei entdeckte ich, dass die Empfindungen meines eigenen Körpers die wahre Realität sind." 

Wie da Silva hatten auch Lassnig und ihr Freund Arnulf Rainer über die Écriture automatique der Surrealisten zur gestischen Abstraktion gefunden. 1951 besuchten sie in Paris André Breton und erlebten zugleich die stilbildende Informel-Ausstellung, die Michel Tapié in der Galerie Nina Dausset über "extreme Tendenzen der unfigurativen Malerei" kuratiert hatte. Lassnigs Gemälde aus demselben Jahr, die aus der Nachlass-Stiftung in die Ausstellung kamen, bewegen sich auf Augenhöhe mit den dort vertretenen Künstlern wie Hans Hartung oder Wols. 

Das rein Performativ-Gestische eines Georges Mathieu begeisterte sie offensichtlich weniger. Ihr Verständnis von Körperlichkeit ging in eine andere Richtung und führte bereits 1957 zu einer Reihe "metaphysischer Selbstporträts". Als sie um 1959 noch einmal kurz zum Informel, zurückkehrte, hatte sie sich sichtlich vom Heer ihrer Weggefährtinnen und Mitstreiter abgesetzt. Wenn sie ihrem in breiten, luftigen Pinselstrichen gehaltenen Gemälde nach dem konkurrierenden Begriff für die Kunstbewegung den Titel "Tachismus" gibt, klingt das weniger programmatisch als bereits ironisch.

Ausgrenzung als Gewinn

Beim Durschreiten der wetteifernden Informel-Positionen scheinen viele Ausbrüche bereits angelegt. Wer sich gegen die uniforme Stilmode mit weiteren ästhetischen Ebenen wappnete, schien vom Abebben der Welle weniger betroffen. Die in Ungarn geborene Natalia Dumitresco übertrifft mit ihren perspektivisch erscheinenden und doch amorphen Strukturen noch da Silvas abstrakte Architekturen mit Kompositionen, die häufig an Luftbilder erinnern. 

Die Spanierin Juana Francés, in der Ausstellung mit eigen-spektakulären Großformaten vertreten, erforscht parallel zu den französischen und deutschen informellen Großmeistern Pierre Soulages und Hans Hartung die Zwischentöne des Schwarz, widmete sich aber zugleich schon in den 1950er-Jahren ökologischen Themen. Als Gründungsmitglied der Gruppe El Paso wurde sie zugleich Opfer sexueller Belästigung seitens eines einflussreichen Mitglieds. Die Ausgrenzung von der Gruppe erwies sich für ihre Karriere letztlich als Gewinn. Heute zählt sie mit ihren betörenden, hochpräzisen Mischtechniken zu den wichtigsten spanischen Künstlerinnen ihrer Zeit. 

Aber auch das charakteristische gestische Formenvokabular des Informel bot genug Raum zur individualistischen Vertiefung. Die ungarisch-französische Malerin Judit Reigl lieferte mit einem monumentalen Ölbild das Postermotiv der Ausstellung – einen hochdynamischen Farbstrudel, der ebenso spontan wie durchkomponiert wirkt.

Ausstieg, bevor ein Stil zum Dogma wird

Dass diese Arbeit erst vor kurzem bei Sothebys mit 240.000 Euro einen Höchstpreis für die Künstlerin erzielte, zeugt von einem neuen Interesse an den weiblichen Vertretern des Informel. Andere, einstmals bekannte Künstlerinnen, wie die aus Detmold stammende Hedwig Thun, werden abseits des Kunstmarkts in Museumsausstellungen wiederentdeckt. Die Malerin, die in den frühen 1930er-Jahren am Dessauer Bauhaus studiert hatte, erneuerte in den 1950er-Jahren ihre Arbeitsweise mit Techniken des Abstrakten Expressionismus. 

Vor zwei Jahren in einer großen Retrospektive des Bielefelder Kunstforums Hermann Stenner geehrt, würde man diese Individualistin vielleicht zunächst gar nicht dem Informel zuordnen – innerhalb der Ausstellung erscheint dies allerdings ebenso plausibel wie erfrischend. Eine bekannte Unbekannte ist auch Sigrid Kopfermann, die sich vor dem Hintergrund der informellen Bewegung – ähnlich wie prominente Vertreterinnen des amerikanischen Abstrakten Expressionismus – zu einer faszinierenden Koloristin entwickelte.

Auch für Mary Bauermeister war das Informel eine zeitlich begrenzte Phase, die sie gleichermaßen prägte wie auf andere künstlerische Ausdrucksweisen vorbereitete. "Konstruktiven Tachismus" nannte Max Bill kritisch ihre wohlkomponierte Arbeit mit scheinbar zufälligen Strukturen. Dankbar nahm sie den Begriff auf und machte ihn sich zu eigen. Bereits 1958 lässt die spätere Fluxus-Künstlerin mit ihren variablen Scharnier-Bildern die Eindeutigkeit des Informel hinter sich – und kehrt einer der mächtigsten Kunstströmungen der Nachkriegszeit in jenem Augenblick den Rücken, als sie insbesondere für viele ihrer männlichen Kollegen bereits zum Dogma geworden ist.