Illustratorin Kimiya Justus

"Im Malen finde ich meine Stimme"

Kimiya Justus ist für ihre feministischen Illustrationen bekannt und arbeitet sowohl frei als auch für Auftraggeber. Hier spricht sie über Bilder auf Bestellung, Gefühle beim Malen und die Frage, ob KI ihr den Job wegnehmen wird


Kimiya Justus, was unterscheidet Illustrationen von anderer bildender Kunst?

Ich mache beides, meine Arbeiten werden aber meistens als Illustration verstanden, vor allem weil ich viel digital arbeite. Mein Stil wird oft in die Pop-Art-Schiene geschoben, weil meine Kunst superbunt ist. Die meisten Menschen suchen nach einem schon bekannten Stil, um meine Werke einordnen zu können.

Wie würden Sie ihren Stil denn beschreiben?

Auf jeden Fall nicht mit Pop-Art. Ich will mich gar keiner Stilrichtung zuordnen, sondern frei darin sein, was ich mache. Ich liebe die Themen Körper, Sexualität und Weiblichkeit. Und Farben! Es gab in meinem Leben nie eine Suche nach meinem Stil. Natürlich hat sich meine Technik entwickelt, und meine Linien sind selbstbewusster geworden. Aber die Art und Weise, wie ich male, ist gleich geblieben.

Wie kamen Sie zu Malen?

Früher ist es mir schwergefallen zu sprechen, ich war ein sehr schüchternes Kind. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich im Malen meine Stimme finde. Heute bin ich zwar nicht mehr so schüchtern, aber trotzdem male ich, wenn ich einen Konflikt habe, traurig oder glücklich bin oder Liebe verspüre. Wenn ich den Drang habe, meine Gefühle zu zeigen, ist das Malen mein Weg.

Heißt das, dass in Ihren Illustrationen immer etwas persönliches steckt?

Man könnte sagen, dass ich durch meine Kunst sehr zugänglich bin. Trotzdem habe ich durch das Malen einen Schutz. Menschen, die mich gut kennen, sehen in meiner Kunst andere Dinge, als Leute, die mich nicht kennen. 

Zuletzt haben Sie einige Illustrationen zur Protesbewegung in Iran gemacht. Eignen sich Illustrationen besonders gut für politische Kunst?

Ich bin selbst Iranerin, deswegen beschäftigt mich das Thema besonders. Ich war noch nie dort, fühle mich aber trotzdem zugehörig. Wenn ich über die Situation in Iran nachdenke, wird mir ganz eng um die Brust. Daraus kommt das Gefühl, etwas machen zu müssen. Wenn ich etwas dazu male und auf Instagram poste merke ich, dass es auch viele andere Menschen sehr bewegt.

Was inspiriert Sie?

Ich habe immer etwas zum Malen dabei, sammle Screenshots und Gedanken, wenn ich unterwegs bin. Auf meinem Handy habe ich außerdem einen Ordner mit Farbpaletten. Wenn ich irgendwo Kombinationen sehe, auf der Straße oder im Café, die mir gefallen, fotografiere ich sie ab.

Hat sich Ihr persönlicher Bezug zur Kunst geändert, seitdem Sie damit ihr Geld verdienen?

Meinen Drang danach zu malen und meine Lust daran kann ich nicht verlieren. Egal, ob es für einen Job ist oder nicht. Ich bin ein sehr sensibler Mensch und brauche die Kunst. Auch wenn ich damit kein Geld verdienen und niemand etwas davon sehen würde, würde ich niemals damit aufhören.

Ihre Illustrationen stehen oft im Kontext von Texten, zum Beispiel in Magazinen. Wie sieht der Entstehungsprozess aus?

Wenn ich für einen journalistischen Text eine Illustration mache, dann habe ich meistens viel Freiraum. Während ich den Text zum ersten Mal lese, schreibe ich mir Stichpunkte raus, die ich als besonders wichtig empfinde. Danach beginne ich zu recherchieren, suche nach Symbolen zu bestimmten Worten und sammle meine eigenen Assoziationen. Daraus entstehen erste Formen oder Figuren, die ich male. Skizzen mache ich eigentlich nur, wenn ich an einer sehr komplexen Illustration arbeite. Sonst entsteht der Rest im Prozess.

Sie arbeiten als Künstlerin, trotzdem müssen Sie sich bei Aufträgen auch nach den Vorstellungen anderer Menschen richten. Wie funktioniert das?

Je genauer die Vorstellung der Menschen ist, desto schwieriger wird es für mich. Die konkrete Idee einer Person zu treffen, ist sehr schwer. Ich würde sagen, dass ich ziemlich abstrakt male. Wenn dann realistische Abbildungen von mir gefordert werden, kann es schwierig werden, manchmal aber auch eine tolle Herausforderung sein. In der Regel werde ich genau für meinen Stil gebucht.

Zeigt eine Illustration auch immer Ihre persönliche Perspektive?

Ich zeige damit meine Sicht auf die Dinge. Meine Wahrnehmung ist bei meiner Arbeit wichtig. Auch wenn ich für andere Menschen arbeite, etwas von mir steckt immer darin, alles andere wäre unmenschlich.

Momentan erhält Künstliche Intelligenz, die Bilder erzeugen kann, viel Aufmerksamkeit. Was halten Sie von dem Hype?

Ich habe gemischte Gefühle. Auf der einen Seite hasse ich alles daran, vor allem, weil die KI von bestehenden Kunstwerken lernen und dadurch viel klaut. Auf der anderen Seite finde ich es faszinierend, wie das funktioniert. Es wird nicht vermeidbar sein, dass in Zukunft immer mehr mit bildgenerierender KI gearbeitet wird.

Ist das eine Gefahr für Ihren Job?

Das ist nicht vermeidbar. Gleichzeitig glaube ich, dass die Menschen auch immer wieder mehr nach analogen und haptischen Sachen suchen. Vor allem aber nach Dingen, die ein anderer Mensch gemacht hat, keine Maschine.

Welche neuen Felder könnten sich durch KI als "Illustrator" auftun?

Ich glaube, dass vor allem Illustratoren die Menschen sein werden, die bildgenerierende KI richtig steuern können. Wir haben das Know-how darüber, wie Illustrationen funktionieren, kennen uns mit Bildsprache aus und haben das passende Vokabular. Die KI damit entsprechend zu füttern, müssen wir lernen. In fünf Jahren habe ich bestimmt andere Aufträge als heute, auch weil Firmen durch die KI sparen können. Da kann ich schon verstehen, warum viele Künstler dagegen protestieren.

Glauben Sie, das eine KI Bilder in Ihrem Stil produzieren kann?

Ich würde gerne ausprobieren, ob ich die KI so trainieren kann, dass sie meinen Stil adaptiert. Spannend fände ich aber vor allem, ob ich dann noch das Gefühl habe, es trotzdem selbst gemacht zu haben. Oder ob es sich fremd anführt, weil die eigene Handschrift und Linie fehlt.

Was würden Sie in Zukunft gerne künstlerisch umsetzen?

Da habe ich ganz viele Ideen. Zum Beispiel würde ich gern mal ein ganzes Haus anmalen.