Mode-Liebling Hunter Schafer

Sie lässt traditionelle Schönheitsstandards langweilig wirken

In der neuen Prada-Kampagne lobt die Künstlerin Miranda July die Schauspielerin Hunter Schafer als It-Girl der Stunde. Sie ist nicht der einzige Fan, denn Schafer versteht es, Mode als Kunst zu inszenieren 

"Hallo? Ist da Hunter?" In Pradas Herbst-Winter-2024-Kampagne hängen die Schauspielerinnen und Schauspieler Hunter Schafer, Harris Dickinson, Ma Yili und Damson Idris an der Strippe altmodischer Kabeltelefone. Die im Juli erschienenen Fotos wurden von Willy Vanderperre geschossen und zeigen die "Prada-Botschafter" in der aktuellen, kuscheligen Wintermode und mit dem Hörer in der Hand. 

Aber wer ist da in der Leitung? Das war bisher unklar. Im gerade veröffentlichen zweiten Teil der Kampagne stellt sich aber nun heraus: Es ist die Künstlerin Miranda July. Die neuen kurzen Filmsequenzen zeigen die Zwiegespräche, Julys Stimme schallt aus dem Hörer. 

Klingt nach einem spannenden Anruf? Den kann der neugierige Betrachter oder die Betrachterin auch selbst erleben, denn die Aktion ist interaktiv. Auf Plakatwänden in London, New York, L.A., Mailand und Bangkok (und leider nur da) wird eine gebührenfreie Nummer beworben, die Fans wählen können, um Miranda July am anderen Ende zu erreichen - oder zumindest ihre Stimme. Unterschiedliche Antworten des Anrufers sollen laut Prada "eine Vielzahl von Variationen auslösen", das vorprogrammierte Gespräch basiert auf einem von July geschriebenen Drehbuch.

Sie entspricht nicht dem Zeitgeist, sie formt ihn

In den Kampagnen-Videos sitzt Hunter Schafer in lachsfarbenem Seidenrock, grauem Blazer und roten Pumps auf dem Boden, in der Hand ein grünes Telefon. "You’re dynamic, you’re just… kapow! You have that 'It Girl‘energy'", schallt es daraus hervor. Und Julys Statement trifft zu. Hunter Schafer ist das aktuelle It-Girl, wie man Anfang der 2000er gesagt hätte. Sie entspricht nicht nur dem Zeitgeist, sie formt ihn.

Mit 17 Jahren war Hunter Schafer die jüngste Klägerin in einem Rechtsstreit gegen ein Gesetz ihres Heimatbundesstaates North Carolina, das trans Schülern vorschrieb, die Toiletten ihres bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts zu benutzen. So erlangte sie überregionale Bekanntheit und schrieb später Artikel für unter anderem "Teen Vogue" über den Kampf von trans Jugendlichen und ihre eigenen Erfahrungen. 


Schon vor ihrer ersten Schauspielrolle in der HBO-Serie "Euphoria" war Schafer als Model für alle großen Marken von Dior bis Miumiu gelaufen und während Fashion Weeks in Streetstyle-Bildern eingefangen worden. Spätestens seit ihrem Debüt auf dem Bildschirm aber wird sie auf roten Teppichen und allen weiteren Orten gefeiert, an denen sie und ihre Kleiderwahl zu bestaunen sind. Schafer lässt traditionelle Schönheitsstandards langweilig wirken, perfektioniert ihre Androgynität und trägt extrovertierte Mode mit einer nicht zu imitierenden Lässigkeit. 

Sie mixt aufstrebende und bekannte Designer, trägt im Jahr 2019 etwa ein kariertes Ganzkörper-Ensemble von Charlotte Knowles, dann wieder ein perlenbesetztes Kostüm aus dunkelblauer Seide von Christopher Kane oder einen Rick-Owens-Look aus weinrotem Kleid und tomatenroten Plateaustiefeln. Ein Jahr später tritt dann ein Rock aus tausend bunten Schnüren von Givenchy auf, dazu glitzernde Pumps bei der Oscar-Afterparty. 

Was Schafer bei all dem von anderen gut gekleideten Schauspielerinnen unterscheidet, ist das überzeugende Gefühl, dass sie die Mode genießt. Sie macht ihr Spaß, sie nutzt die Kleider als Ausdrucksmittel. Schafer lächelt oft und sieht nicht verkleidet aus, selbst, wenn es sich um Total-Looks handelt, die von der Frisur bis zur Schuhwahl ein Thema verkörpern oder einem Muster folgen. Sie trägt die Mode, und nicht andersherum – das ist etwa bei extravaganter Couture gar nicht so leicht. Man nimmt ihr sogar den Ann-Demeulemeester-Look von Ludovic de Saint Sernin ab: Eine weiße Feder quer über den Brustwarzen, dazu ein langer weißer Seidenrock. Voilà.

Kreativ trifft glamourös

Auf der großen Leinwand war Hunter Schafer zum ersten Mal 2023 in "Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds and Snakes" zu sehen, und spätestens die Pressetour zum Film machte klar, wie weit vorn Schafer im Spiel der Mode mitmischt. "Die Leute haben bereits eine Vorstellung davon, wie ein Filmstar aussieht. Wenn du ihnen das gibst - eine bestimmte Frisur, eine bestimmte Silhouette und ein bestimmtes Make-up - dann werden sie dich auch so sehen", erklärt Stylistin Dara Allen die Auftritte, in denen die Stile der beiden Frauen vereint sind. "Sie hat eine sehr avantgardistische, kreative Einstellung zur Mode, während ich eher klassisch und glamourös bin."

Ein mosaikartig zusammengesetztes Kleid aus Schiaparellis Winter-Haute-Couture-Kollektion, ein anderes, aus metallenen Blütenblättern gewebtes von Marni: Schafer trug all die herausstechenden Looks der damals aktuellen Kollektionen. Oder für sie angefertigte Einzelstücke, etwa einen goldenen Zweiteiler von Prada, der die Frühling-Sommer-Kollektion 2009 des Hauses zitierte. "Auf dem roten Teppich kann sie ein großes Risiko eingehen, weil es für sie selbstverständlich ist. Ein verrücktes, skulpturales Kleid von Marni zu tragen, ist für sie wie eine Jogginghose", erklärt Stylistin Allen die modische Energie Schafers.

Nichts wirkt unnatürlich oder erzwungen, und das macht es auch so schön anzuschauen. Bei der Berlinale 2024, als sie den deutschen Horrorfilm "Cuckoo" bewarb, war sie die erste, die einen Look der ausnahmslos gefeierten Margiela-Kollektion von John Galliano trug: einen um ihren Oberkörper drapierten Cadigan, ein geblümtes Korsett und dazu einen bronzefarbenen Fransenrock mit ausladendem Hüftreifen. Genau wie es die Models auf dem Laufsteg taten, setzte Schafer den Look theatralisch in Szene. 

Je mehr Avantgarde, desto besser

Je mehr Avantgarde, desto besser steht es Schafer. Exzentrische Schuhe, architektonische Gewänder, Silhouetten, in denen man nur stehen, aber niemals sitzen kann. An dieser Person wirken wollene Kostüme modern und das blassrosa Prada-Kleid, das in vielen Seidenstreifen um ihren Körper weht, als wäre es ein Teil davon. 

Prada und Hunter sind generell ein harmonierendes Paar, wie die Schauspielerin auch selbst findet. "Ich liebe Prada, weil ich glaube, dass die Marke im Kern eine Art zarte, unbeholfene Schönheit verkörpert, mit der ich mich sehr verbunden fühle", sagte Schafer der britischen "Vogue". "Prada hat immer den Eindruck erweckt, als ginge es nicht um Trends und so weiter, sondern um die Kunst." Mode und Kunst verbindet die Schauspielerin und Aktivistin auch selbst. Sie präsentiert stets feinfühlige Inszenierungen, nie scheint ihr Styling "nur ein Kleid" oder ein austauschbares Premierenoutfit zu sein. 

Im Juni zierte Hunter Schafer das Cover der deutschen wie auch der italienischen "Vogue". Ein Ritterschlag, gerade für die, die Mode so lieben wie sie. Sie erzählte dem Magazin, dass Fashion früher ihr Lebenselixier war, ihr Grund, aufzustehen. "Ich habe also alles Mögliche getan, um das Gefühl zu haben, dass ich in irgendeiner Weise an der Mode teilhabe“, erzählt sie. Heute ist sie so sehr Teil dieser Welt, dass sie diesen Druck nicht mehr verspürt. "Ich muss nicht mehr so viel beweisen. Es geht mir jetzt mehr darum, Spaß mit Mode zu haben, wenn es Zeit dafür ist, und mich wohlzufühlen, wenn dem nicht so ist." Und das ist vermutlich das ganze Geheimnis.