Langzeitbeobachtung einer Tischtennisplatte

Das vielfältigste aller Stadtmöbel

Bank, Versteck, Wäscheständer: Hayahisa Tomiyasu hat jahrelang die erstaunliche Zweckentfremdung einer Tischtennisplatte fotografiert. Die Serie zeigt, wie Städte ihren Bewohnern weiter entgegenkommen könnten

Eine der vielen Eigentümlichkeiten deutscher Städte, die von Einheimischen kaum noch wahrgenommen werden, ist die hohe Dichte öffentlicher Tischtennisplatten. Um die robusten Freiluft-Sportgeräte aus Beton oder Stahl hat sich eine eigene Kultur entwickelt: Dienste wie die "Ping Pong Map" weisen beispielsweise den Weg zu Standorten und geben Auskunft über den Zustand der Platten. Es gibt Rituale, mit denen man fremde Spieler herausfordert, Match-Variationen lassen eine fast beliebige Anzahl von Teilnehmenden zu. Doch die meisten Stadtbewohner ignorieren die Platten. Das war bei Hayahisa Tomiyasu anfangs nicht anders. Er wollte eigentlich einen Fuchs fotografieren, den er aus dem Fenster seines Wohnheims an seinem damaligen Studienort Leipzig gesehen hatte. In der Hoffnung, dass das Tier nochmal auftauchen würde, hatte er seine Kamera und Aufmerksamkeit tagelang auf die Grünfläche vor seinem Haus gerichtet - bis ihm etwas ganz anderes auffiel.

Tomiyasu sah, auf wie viele unterschiedliche Weisen Menschen eine Tischtennisplatte nutzten, die dort stand, und er fing an, das Treiben zu dokumentieren. Die Platte dient Grünflächenbesuchern als Ablageort von Jacken und Dingen, als Picknicktisch, Klettergerüst, Parcours-Hindernis, Versteck, Krafttrainings-Objekt, Wäscheständer, Schattenspender, Murmelbahn, als Bank, sogar als Matratzenlager. Nur eines sehen wir nicht auf Tomiyasus Fotos, die in einem Zeitraum von fünf Jahren bis zu seinem Auszug aus dem Heim entstanden: dass mal jemand Tischtennis spielt.

Für Fans des Sports ist solch zweckentfremdete Nutzung natürlich ein Ärgernis: Die Platten sind ständig besetzt, dreckig oder beschädigt. Aber für Stadtplaner könnte die "TTP" betitelte Fotoserie, mittlerweile in der Sammlung der Deutsche Börse Photography Foundation, Inspiration und Auftrag sein: Macht sie doch Bedürfnisse sichtbar. Und zeigt sie doch, wie hoch die Bereitschaft ist, mit Objekten in Interaktionen zu treten. Wie könnten öffentliche Wäscheständer, Matratzenlager, Schattenspender oder Murmelbahnen aussehen, die keine Tischtennisplatten sind?