Haute-Couture-Schauen in Paris

Gerüstet

Die Haute-Couture-Schauen im von Unruhen erschütterten Paris zeigten einmal mehr, wie sich die Mode vom Rest der Welt abschottet. Auch Balenciaga wappnete sich nach den Skandalen des letzten Jahres mit einem Panzerkleid für eine moderne Jeanne d'Arc

"Dann sollen sie doch Kuchen essen!". Mit Marie Antoinettes berühmtestem Ignoranz-Satz könnte man auch die Reaktion der Pariser Haute Couture Woche auf die Unruhen in Frankreichs Hauptstadt beschreiben. Denn es gab kaum eine. Unbeeindruckt nahm die Modewoche ihren Lauf. Egalité im Sinne von "ist uns egal". Am 27. Juni, wenige Tage vor Beginn der Herbst-Winter-Couture-Schauen, hatte ein Polizist den 17-jährigen Nahel Merzouk, einen nordafrikanischen Einwanderer der zweiten Generation, im Pariser Vorort Nanterre erschossen. Die Tat hatte Proteste gegen Polizeibrutalität ausgelöst, die sich in den folgenden Tagen noch verstärkten.

Das einzige Modehaus, dass seine Show am 3. Juli aus Solidarität und auch Vorsicht absagte, war Celine unter Hedi Slimane. "Eine Modenschau in Paris zu veranstalten, während Frankreich trauert und verletzt ist, erscheint mir rücksichtslos und völlig unangebracht," ließ der Creative Director in einem Statement verlauten. Desweiteren jedoch wurden die teuersten Roben gezeigt, die die Mode zu bieten hat. "The show must go on" und "wir als Bubble haben auch unsere Probleme", schien die Botschaft zu sein. 
 
Etwa jenes Problem, dass die Fluktuation in Modehäusern aktuell immens hoch ist. Jungen Designern werden altehrwürdige Marken anvertraut, doch schon nach wenigen Saisons gehen sie oder werden wieder aussortiert. Jüngst gesehen bei Ludovic de Saint Sernin, der Ann Demeulemeester direkt nach seiner Debütkollektion verließ. Zwei Kollektionen designte Rhuigi Villaseñor für Bally, dann war Schluss. Im April hatten sich auch Charles de Vilmorin und Rochas getrennt, nach zwei gemeinsamen Jahren. De Vilmorin hatte im Jahr 2021 die erste Haute Couture-Kollektion seiner eigenen Marke vorgestellt und präsentierte während der Pariser Haute Couture Woche nun seine allererste Couture-Modenschau, gleichzeitig die erste nach seinem Rochas-Intermezzo.

Elegante Zwillinge mit Schwanenschmuck

Wie eine frische Leinwand lief das erste Kleid über den Laufsteg. Transparente, weiße Falten, um den Körper des Models drapiert. Ein weißes Ensemble aus einer Jacke mit überlangen Ärmeln und Shorts, mit Perlenfransen versehen, folgte. Zwei identisch aussehende Models in einem verbundenen, weißen "Zwillingskleid", auf den Köpfen zwei riesige weiße Schwanskuplturen, legten den Couture-Schalter um und ebneten den Weg für de Vilmorin typischere, exzentrische Silhouetten und bunt gemusterte Kleidungsstücke.

Ein rot-violetter Rock ging in eine gigantische Schleppe über, die das Model mit beiden Händen über den Laufsteg trug. In den Händen zweier weiterer Modelle in rot-gemusterten Wickelkleidern fanden sich ihre Highheels, während sie barfuß die Entwürfe präsentierten. Ein schwarzes Kleid wurde mit einem an das steinerne Gesicht einer Skulptur erinnernden, skulpturalen Top gepaart. Generell dominierten Schwarz und Weiß die Kollektion, die weniger wild und ausgelassen schien, als man es von dem jungen Designer gewohnt ist.

"Diese Schau zeigt die Geschichte des Drucks des Kreierens", erklärte es de Vilmorin nach dem Event. Laut dem Designer griff diese Kollektion die Fragen auf, die er sich selbst stellt, wenn er etwas entwirft. Einschließlich der Frage, ob er etwas "Spitzes und Schwarzes" oder etwas "Verrücktes mit mehr Farbe" zeigen will. Vielleicht kann man sie wie eine Verarbeitung seiner Zeit bei Rochas deuten, einen Findungsprozess. Wer bin ich als Designer, wie will ich arbeiten? In der märchenhaften Haute Couture scheint Charles de Vilmorin vielleicht am besten aufgehoben. 

Yves-Klein-Blau und Lucian Freuds Pinselstriche

Seit Daniel Roseberrys Debüt für Schiaparelli im Jahr 2019 ist die Show eine der meist erwarteten während der Pariser Haute-Couture-Woche. Wie nur wenige versteht der US-amerikanische Designer es, die Codes des Hauses modern zu interpretieren und auf seine eigene Art und Weise umzusetzen – mit einigen viralen Momenten, wie etwa dem omnipräsenten Löwenkopf der Januarshow. Mit der Kollektion "…And the artists" wagte Roseberry sich nun über das surrealistische Erbe Elsa Schiaparellis hinaus und widmete sie den Künstler-Kollaborationen, die die Designerin im Laufe ihrer Karriere eingegangen war.

"Ich denke, die Idee war, den Fokus auf die Kollektion zu legen und die Techniken, die wir zeigen wollten, immer weiter zu vertiefen", erklärte es Roseberry. "Schiaparelli und die Künstler, das ist etwas, wovon ich mich noch nicht wirklich inspirieren lassen habe. Es ging also darum, Künstler aufzusuchen, mit denen sie zusammengearbeitet hat, aber auch Künstler, von denen ich inspiriert wurde - es gibt eine ganze Kakophonie von Referenzen." Das Yves Klein-Blau fand sich als Akzent in Kleidungsstücken, jedoch auch an den Hälsen, halben Gesichtern und Oberkörpern einiger Models, die, wie es "Dazed Beauty" formulierte, aussahen, als hätten sie mit den Schlümpfen geknutscht.

Lucian Freuds Pinselstriche waren sowohl in einem Mosaik-ähnlichen Bodycon-Kleid zu entdecken als auch auf einer voluminösen Federbett-Robe. Referenzen zu Salvador Dalí, Jack Whitten, Sarah Lucas, Joan Miró und Matisse zogen sich durch die Show. Alberto Giacomettis Werk war in langgliedrigen Händen aus Holzperlen-Ketten sichtbar. Gepaart mit Roseberrys außergewöhnlichen Gespür für Proportionen und Formen ergab die Kollektion ein wahres Meisterwerk, perfekt ausgelotet zwischen Couture und Kunst. 


Das unter Creative Director Demna Gvasalia gefühlt unschlagbare Balenciaga war geschwächt durch mehrere Skandale in das neue Jahr gestartet. Die daraufhin gezeigten Kollektionen hatten an Attraktionsfaktor eingebüßt, Demna hatte sich auf die Wurzeln des Hauses besonnen, auf Balenciaga-Klassiker und Understatement gesetzt. Die Mode hatte das Innehalten – vielleicht das Buße tun? – der Marke übersetzt.

Sonst für politische Statements bekannt und geschätzt, ließ sich auch Balenciaga für seine Couture-Show nicht auf die Proteste rund um den Firmensitz ein, sondern konzentrierte sich vollkommen auf die Kleidung als solche. Demna arbeitete erneut mit ehemaligen und zeitgenössischen Codes des Hauses, vor allem skulpturalen Silhouetten. So eröffnete die Show ein Cristobal-Balenciaga-Couturekleid, Demna-typische spitz-schultrige, scharf geschnittene, schwarze Anzüge und Kleider folgten. Doch auch aufwendige Handwerkstechniken kamen zum Einsatz und erschufen durch den Trompe-l’œil-Effekt Denim-Ensembles und Pelzmäntel. Die Schnitte lässig, das Material exquisit.

"Ich mag die Couture, die man sieht, und ich mag die Couture, die man nicht sieht. Was wirklich wichtig ist sind die Techniken, die vielleicht nicht so sichtbar sind. Das ist ein großer Teil von dem, was ich bin, und wer Cristóbal Balenciaga auch war," so Demna über seine Vision von Couture. Bodenlange Woll- und Ledermäntel sowie verschluckende Puffer-Jacken machten den Weg frei für aus roter Spitze und rosa Federn gefertigte Roben und schließlich ein silbernes Kettenhemd-Kleid. "Kleidung anzufertigen ist meine Rüstung," erklärte Demna am Ende der Show. Damit bezog er sich auch auf das finale, pompöse Ritterrüstungs-Gewand mit ausgestelltem Glockenrock, das die Künstlerin Eliza Douglas den Gästen präsentierte. Sie erinnerte den georgischen Designer an Jeanne d’Arc, die, wie er sagte, in dieser alternativen Rüstung vielleicht dem Scheiterhaufen entkommen wäre. 

Wenn sich zwei Legenden in einer dritten Person treffen

Ketten-Elemente und prunkvolle Rüstungs-Vibes waren auch bei Jean Paul Gaultier zu erleben. Der Modedesigner hatte sich 2020 zur Ruhe gesetzt, die Couture-Kollektionen unter seiner Marke jedoch laufen weiter. Gastdesigner, wie Haider Ackermann in der letzten Saison, widmen sich dem Archiv des großen Modeschöpfers und schaffen neue Interpretationen seines Werkes, das so niemals alt zu werden scheint.

Für die Saison Herbst 2023 war Julien Dossena aus dem Hause Rabanne als Kollaborationspartner ernannt worden. Gaultier hatte ihn gebeten, den kürzlich verstorbenen Paco Rabanne zu ehren, und Dossena enttäuschte nicht: beide Handschriften verband er in einer modernen Couture-Kollektion. Ein navy-blauer Nadelstreifen-Anzug zu Beginn war eine klare Hommage an Gaultier, ebenso übergroße Trapper-Mützen aus Kunstpelz oder ein mit einem Drachen besticktes Korsett, wie der Designer es in seiner allerersten Show präsentiert hatte.

Auch das durch Madonna berühmt gewordene Trichter-Bustier ließ sich an Kleidern und Bodies erspähen. Opulente, golden und silbern bestickte Kleider und schwere Spitze wurden königlich, gepaart mit auf den Stirnen thronenden Haarreifen und -bändern. Fließende, metallene Kettenkleider und -hemden zitierten Rabanne, transparente Gewänder mit aufgestickter Schambehaarung erinnerten an Gaultiers neckischen Humor, der sich stets durch seine Kollektionen zog. Gaultier, Rabanne, Dossena: Haute Couture Drei-in-Eins. 

 



"Es geht nur darum, den Aufwand zu verbergen, den die Einfachheit erfordert." Dieser Leitspruch steht vermutlich hinter jedem unnachahmlich lässig-eleganten Outfit einer Pariserin, aber auch hinter der aktuellen Haute Couture-Kollektion Valentinos. Laut Creative Director Pierpaolo Piccioli nämlich ist die Essenz der Couture zutiefst simpel. Manifestiert hatte das italienische Modehaus dies schon mit dem ersten Look seiner Herbst-Winter Couture-Kollektion: ein weißes Oversized-Hemd, flache goldene Slipper, auf die Schultern fallende Strass-Ohrringe. Und eine Jeans.

Aber halt, nein, es war keine Levis 501-Valentino-Version. Die dunkelblaue Hose war aus Seidengazar gefertigt und vollständig mit winzigsten Perlen in 80 unterschiedlichen Indigotönen bestickt worden, die so eine Denim-Struktur erzeugten. Ein Aufwand, der erst auf den zweiten oder dritten Blick zu erkennen war. "Ein schlichtweg paradoxes Trompe-l’oeil", nannte es Piccioli. Und unterstrich dadurch Kollege Demnas Herangehensweise an Couture: Es muss nicht immer ein avantgardistisches Abendkleid sein, es geht um die versteckte Handwerks- und Schneiderkunst, Präzision und damit verbundenen Wert, den ein solch einfach anmutendes Ensemble in sich trägt. 

Klare Schnitte und Silhouetten, wie bodenlange Shift-Kleider und weit sitzende Anzughosen wechselten sich ab mit den Körper umschmeichelnden, drapierten Gewändern. Selbst aufwändigere Couture-Kleider schienen pur, aus einem Guss gefertigt. "Einfachheit ist die Auflösung von Komplexität", zitierte Piccioli den Bildhauer Constantin Brancusi in der Pressekonferenz. Und bewies, dass dieses Konzept auch in der Kunst der Mode anwendbar ist.