"Der beste Teil der Show war, als sie endete", schrieb eine enttäuschte Livestream-Zuschauerin wenige Minuten nach dem Finale der Gucci-Show unter einen Instagram-Post des italienischen Modehauses. "Das einzige, was mir gefiel, war der Soundtrack", klagte eine andere.
Die Verfasser dieser Kommentare waren nicht die einzigen, die die am Freitag gezeigte Modenschau der Marke für ein Debakel hielten. Während wenige Stimmen das neue, "abgespeckte" Gucci gut hießen, schien der Großteil unglücklich zu sein. Wie konnte es so weit kommen?
Im Januar diesen Jahres war Sabato de Sarno zu Guccis neuem Creative Direktor ernannt worden. Man kannte das Gesicht des Neapolitaners noch nicht, obwohl er schon über viele Jahre für einflussreiche Modehäuser tätig gewesen war. Zuletzt für Valentino, wo er als rechte Hand Pierpaolo Picciolis galt und mit ihm zusammen die Marke zu ihrem aktuellen Hype-Status verhalf, etwa durch die Schöpfung des PP-Pinks.
Eleganz statt Exzentrik
Nach dem dramatischen Abgang Alessandro Micheles, der Gucci im letzten November als kreative Leitung verlassen musste, wurde viel gerätselt, wer wohl den Platz des legendären "Guccimania"-Mannes einnehmen würde. Und wie die Vision und Version des "Gucciversums" des Nachfolgers aussehen würden. Michele hatte ein inklusives, magisches Märchenreich voller eigenartiger Wesen, Unisex-Shows und vor allem mit einem unvergesslichen Wiedererkennungseffekt geschaffen. Wie würde De Sarno dieses lose Ende zu einem neuen, starken Anfang führen?
Spekuliert worden war bei seiner Ernennung, dass er die Exzentrik Micheles durch klassische Eleganz ersetzen solle. Den Namen Gucci in ein Imperium verwandeln, das Wirtschaftskrisen, Inflation und Pandemien übersteht, ohne rote Zahlen zu schreiben. Das in Richtung Louis Vuitton, Tradition statt wilder Kreativität, wertschätzt und den typischen Luxuskunden bedient.
Sabato de Sarnos Amtsperiode begann laut Guccis Instagram-Acocunt mit einer Kampagne mit 2000er-Kult-Model Daria Werbowy. Diese trug nichts außer schwerem "Horsebit"-Goldschmuck: die Trense ist ein Motiv des Gucci-Archivs, das auf die Vergangenheit der Marke als Sattel-Geschäft zurückzuführen ist. Wenige Tage vor der Show am Freitag dann wurde der Account mit der neuen "Gucci Ancora"-Kampagne geflutet, dem wahren Neubeginn unter de Sarno.
Eine Kollektion als Landkarte
Ein weißer Schriftzug auf dunkelrotem Untergrund. Ein tiefes, schweres, fast blutiges Rot, das alles einnehmen sollte: Plakatwände in Mailand, London, Bangkok und nicht zuletzt Florenz, der Geburtsstadt der Marke. "Meine erste Kollektion ist eine Landkarte. Sie ist persönlich, es geht um meine Designs, meine Sensibilität, meine Leidenschaften. Das sind die Themen, die ich bei Gucci weiter erforschen möchte", heißt es von de Sarno auf Instagram, neben einem in Rot gehaltenen Reel. Nach Guccis Aufstieg unter Michele war die erste Show des Sarnos die wohl meist erwartete des ganzen Modemonats.
Mit "noch mal", "wieder", "erneut" kann das italienische ancora übersetzt werde. Oder, wie de Sarno es selbst wenige Tage vor seinem Debüt erklärte: "Ancora ist ein Wort, das man benutzt, wenn das Verlangen noch nicht zu Ende ist, sei es bei einem Kuss, einer Umarmung oder beim Liebemachen; es ist, als ob man etwas besitzt und mehr davon will." Er wolle bewirken, dass die Zuschauenden sich noch einmal neu in Gucci verlieben. Doch mehr davon, was am Freitag über den Laufsteg lief, will man überraschenderweise eher nicht.
Als minimalistisch und essentiell statt ausufernd war seine Kollektion vorausgesagt worden. Möglicherweise mit überdurchschnittlich viel Oberbekleidung, die als seine Spezialität gilt. Und die Show begann mit einem anthrazitfarbenen, scharf geschnittenen, wadenlangen Mantel mit eckiger Schulterpartie. Dazu trug das Model ein weißes Tanktop, sehr kurze schwarze Shorts, die fette Goldkette aus der Daria-Kampagne, Gucci-Loafer in der Plateau-Version. Und die wohl klassischste aller Gucci-Taschen: die 1961 entworfene "Jackie Bag" im neuen Gucci-Rot. Schockierend simpel-kommerziell. Es folgte ein sehr kurzes, weißes, trägerloses Kleid, sehr kurze Anzüge – Looks zwischen Büro und Party, doch für das eine etwas zu nackt, für das andere etwas zu streng.
Was Kering will, ist in jedem Blazer sichtbar
Die Sicherheit, die sich der Mutterkonzern Kering, vertreten durch François-Henri Pinault im Publikum, wünschte, war in jedem Blazer sichtbar. Es folgten sportliche Sweatjacken und Kapuzenpullover, gepaart mit lackledernen Shorts und Röcken in: Rot. Ensembles, die laut und deutlich "Hailey Bieber auf dem Weg zum Gym" schrien, nicht aber, "Gucci, ich liebe dich". Wo das doch alles war, was man sich und dem sehr jung und sympathisch wirkenden 40-jährigen de Sarno wünschte.
Mit an Miumiu und Prada erinnernden Kleiderschnitten, Lederjacken und monochromen Pullover-Minirock-Kombinationen ging es weiter. Schon fast die Hälfte der Kollektion war auf dem Laufsteg vorübergeschritten und nichts sorgte für Begeisterung. Ein giftgrüner Mantel mit langen silbernen Fransen versuchte es, schien jedoch etwas misplaced zwischen seinen faden Kollegen und überzeugte nicht.
Etwas lebendiger wurde es in der zweiten Hälfte. Ein grober, dunkelblauer Strickpullover mit breitem, mit Glitzersteinen besticktem Kragen wurde zu einer weiten Jeans kombiniert. Ein kurzes Schlangenleder-Ensemble in Guccis Markenfarben Blau, Rot und Weiß erweckte müde Geister. Doch auch in dem zweiten Part überwogen die sehr kleinen, jetzt roten, aber immer noch ziemlich nichtssagenden Ensembles.
Wer soll das tragen und vor allem, warum?
Auf glitzernde Kleidchen folgten solche mit Spitzenbesatz. Und dann wurden die hohen Loafer mit weißen Sneakern ausgetauscht und mit den bisher kürzesten, uninteressantesten schwarzen Kleidern kombiniert. Spätestens hier kam man nicht mehr umhin sich zu fragen: Hängt das nicht genau so bei Zara? Was sehe ich hier? Wer soll das tragen und vor allem, warum?
Was vielleicht mondän und luxuriös erscheinen sollte, wirkte in dieser Kombination zu viel und zu wenig zugleich. Es fehlte die Balance. Zu viel Rot, das man sich jetzt schon fast übergesehen hat. Zu wenig Styling, zu viel Jersey an unpassender Stelle, zu wenige Eigenheiten. Während Alessandro Micheles Designs oft zu speziell für viele Geschmäcker waren, schien de Sarnos Debut so sehr für die breite Masse kreiert, dass man meinte, fast alles schon ein mal irgendwo gesehen zu haben.
Man kommt nicht drum herum, auch Tom Ford als Vergleich hinzu zu ziehen, der Gucci einst zu der anziehendsten Brand weit und breit gemacht hatte. Doch auch wenn viele der heute gesehenen Stücke reizvoll wirkten, konnten sie sich der smarten und mutigen Sexiness Fords nicht annähern.
Das Gegenteil von "Ugly Chic"
Also, was ist de Sarnos Vision von Gucci? Doch hoffentlich nicht "charakterlose 'Quiet Luxury'"? Das Wort, das der Designer für seine Interpretation von Gucci verwendet, ist "Italianity", wie er es "Vogue" wenige Tage vor seiner Premiere erklärte. "Gucci", sagte er, "ist eine sehr italienische Marke mit einem großen Erbe. Italienische Handwerkskunst, italienischer Geschmack, und ich glaube, wir haben das verloren. Ich möchte es zurückbringen. Das Italienische ist Teil meiner Geschichte, ganz klar."
Das Interessante war, dass die meisten seiner Looks auf den zweiten Blick tatsächlich der stylischen Mailänder Gen-Z wie auf den Leib geschneidert schienen. Junge, schlanke Mädchen im Stadtteil Brera vielleicht, die von der Pike auf lernen, wie man sich auf italienische Weise herausputzt, konnte man sich erstaunlich gut in der De-Sarno-Kollektion vorstellen. Aber auch nur die.
Im italienischen Streetstyle fällt auf, wie traditionell schick sich generell gekleidet wird. Das Gegenteil von coolem, skandinavischen "Ugly-Chic", der sich als Mode-Vorreiter etabliert hat. In Italien kommt erstaunlich oft ein Blazer zum Einsatz, spitze Pumps, Plateau, enge Lacklederhosen, zu lange Handtaschen, die auf Hüfthöhe hin und her baumeln. Highheels, weite Ausschnitte und irritierende Materialien (Fransen!) treffen beim Aperitivo aufeinander. Und bei de Sarno.
Gib uns den Sabato, de Sarno
Verglichen mit den lässigen Trends aus nördlichen Regionen wirkt der italienische Geschmack oft etwas altmodisch-overdressed. Und doch scheint diese Art sich zu kleiden sich über Generationen etabliert zu haben – der gemeine Italiener macht sich eben gerne zurecht. De Sarno beschrieb seine erste Gucci-Kollektion als eine "Geschichte von allem, aber dieses Mal durch Freude ausgedrückt". Und die Freude der Italiener daran, sich festlich zu kleiden, muss man lieben.
Nach dieser Interpretation ist die Botschaft der Kollektion greifbarer. Trotzdem ist sie noch immer keine, die eine neue Ära eines so renommierten Modehauses definieren kann. Wohin de Sarno will, ist nicht eindeutig. Ebenso wenig ist klar, wie viel Spielraum er hat, wenn das Hauptaugenmerk darauf liegt, zu verkaufen.
Die gezeigten Kleider könnten diesen Anspruch übrigens gut erfüllen. So unbestimmt und ungefährlich kommen sie daher, dass sie viele selbst Unentschiedene ansprechen könnten, die schon immer mal Gucci tragen wollten. Das gleicht fast einer Bankrotterklärung an die Modewelt: Kreativität, Drama, Leidenschaft, Emotionen aus Stoff weichen mehr und mehr der Verkäuflichkeit. Für die nächste Modenschau im März würde man sich mehr Mut wünschen, nicht im Sinne von minimaler Rocklänge, sondern von eigener Handschrift. Ein Attribut, das das Hause Gucci immer nach vorne katapultiert hat. Sei es Fords Sexiness oder Micheles Märchenwelt. Gib uns Sabato, de Sarno, und versuch es, ancora.