"Die Fußstapfen, in die Sie treten, sind sehr groß. Ich hoffe, Sie wissen das." Diese kleine Fiesheit am Ende des Mode-Kultfilms "Der Teufel trägt Prada" wird wohl auch in der Luft hängen, wenn die Job-Interviews für die Stelle des neuen Creative Directors bei Gucci beginnen. Wie das italienische Modehaus am gestrigen Mittwoch bekannt gab, trennt es sich von Alessandro Michele, Chefdesigner seit 2015. Dieser hatte mit seinen zukunftsweisenden, gefeierten Entwürfen die etwas eingestaubte Marke zu einer der gefragtesten weltweit aufsteigen lassen.
"Heute endet für mich eine außergewöhnliche, mehr als 20-jährige Reise in einem Unternehmen, dem ich unermüdlich meine ganze Liebe und kreative Leidenschaft gewidmet habe", erklärte Michele, der am morgigen Donnerstag 50 wird, auf seinem Instagram-Account. Nur wenige Stunden vor der offiziellen Trennung war ein Bericht veröffentlicht worden, in dem eine anonyme Quelle behauptete, Michele sei gebeten worden, "einen starken Designwechsel" bei dem Label einzuleiten. Diese Anfrage hatte der Designer wohl nicht erfüllen können – oder wollen. Wie auch, wenn seine außerirdische, maximalistische Design-Philosophie seine Identität bei Gucci, wie auch den Erfolg der Marke der jüngsten Vergangenheit ausgemacht hatte?
Das erste Mal einen Hype erfahren hatte das Luxushaus mit Tom Ford als Creative Director, der es in den 1990er-Jahren spektakulär sexy machte. Nach etwa zehn Jahren voller Angst, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, wurde der in Rom geborene Alessandro Michele als Creative Director ernannt und löste eine nie dagewesene "Guccimania" aus. Die Marke vollzog einen extremen Image-Wandel, getrieben von CEO Marco Bizzarri, einem grandiosen Marketing-Konzept und Micheles scheinbar unerschöpflichen Visionen.
Wunderlich romantisch, magisch und fast poetisch
Dessen exzentrische, androgyne Designs wirkten wunderlich romantisch, magisch und fast poetisch. Die Schnitte zitierten oft die 70er- und 80er-Jahre, die Looks waren gefertigt aus Kombinationen verschiedener Materialien, übersät mit Gucci-Logos und Mustern, die sich zwischen Flora und Fauna bewegten. Immer wieder bediente sich Michele bei Phänomenen der Popkultur und aus unterschiedlichen Jahrhunderten. Die italienische Renaissance existierte neben Gothic-Chic und casual Streetwear, die Models trugen Babydrachen und Replika ihrer eigenen Köpfe in den Händen, wenn sie über den Laufsteg schwebten.
Seine Shows waren wie dafür gemacht, in den sozialen Medien verbreitet zu werden und einen Einblick ins mystische Gucciverse zu gewähren – einem Ort, an dem gerade am Anfang seiner Übernahme jeder einen Platz ergattern wollte. Und viele waren willkommen. Gucci wurde unter Michele progressiver und inklusiver. Die Abnehmer seiner größtenteils genderneutralen Kreationen waren vor allem junge Kunden der Generation Z, zu der die Marke eine authentische, emotionale Beziehung entwickeln konnte. Charismatische Models in nostalgischen Werbekampagnen, modernisierte Ladengeschäfte und vergötterte Gucci-Träger wie Jared Leto oder Harry Styles verstärkten den Hype. Und so wurde Gucci 2016 zu einer der begehrtesten, lukrativsten und meistimitierten Modemarken weltweit.
Alessandro Michele las den Zeitgeist, verstand das Bedürfnis nach einer Traumwelt, in die man sich flüchten kann. Gleichzeitig wusste er um die Notwendigkeit, Mode für jeden zugänglich zu machen, sie von ihrem kalten, exklusiven Thron herunterzuholen. So begann er, alles von der Norm abweichende zu seinen eigenen Hauptdarstellern zu ernennen. Junge Künstlerinnen und Künstler wurden mehr und mehr in die Kampagnen des Hauses eingebunden, Mode mit anderen kreativen Disziplinen gekreuzt. Unter Michele wurden außergewöhnliche Kollaborationen initiiert, wie das "Hacking-Lab" mit Balenciaga oder die Zusammenarbeit mit der Sportmarke Adidas. Nichts schien unmöglich.
"Neues Kapitel aufschlagen"
Sein extremer Stil, Wiedererkennungswert und das anfängliche absolute Verlangen nach Micheles Gucci sind nun wohl auch der Grund für seinen Abgang. Zunächst brachte seine neue Vision Kering, dem französischen Luxuskonglomerat zu dem Gucci gehört, mehrere Milliarden Dollar ein. Doch die Zahlen gingen in den letzten Jahren zurück und alle Anstrengungen des Kreativchefs, den Fall abzuschwächen, konnten an den gewohnten Erfolg nicht anknüpfen. Im Vergleich zu Kerings anderen Luxushäusern, vor allem Yves Saint Laurent, war Guccis Wachstum nicht mehr zufriedenstellend. Kering-Chef Francois-Henri Pinault kündigte schon im vergangenen Jahr einen "Sanierungsplan" für das 101 Jahre alte Unternehmen an. Eine Quelle erklärte, Pinault versuche, "den Über-Luxuskonsumenten zurückzugewinnen", und den – öfter im höheren Alter – spricht Michele mit seiner schrägen Ästhetik wohl kaum an.
Luca Solca vom Analysehaus Bernstein sieht dem plötzlichen Wechsel positiv entgegen. Er ließ verlauten, dass "Gucci nicht zum Mainstream übergehen oder zeitlos werden muss, um wieder Fahrt aufzunehmen. Das Unternehmen muss ein neues kreatives Kapitel aufschlagen. Dies kann aller Wahrscheinlichkeit nach nur mit neuer kreativer Energie und neuem Talent geschehen." Laut dem Experten leidet Gucci an "Markenmüdigkeit", da Michele "seit sieben Jahren immer das Gleiche" mache. "Die Verbraucher, die früh viel gekauft haben (die Chinesen), haben sich zuerst gelangweilt. Das ist nicht überraschend".
So gern man der Mode auch als einer kreativen, grenzenlosen Wunderwelt begegnen möchte, geht es letztlich um Zahlen, Verkauf und Wachstum. Und obwohl Micheles Kreationen weiterhin begeisterten und Gucci bei weitem nicht am Abgrund steht, wird nun eine Ära beendet, die vielleicht ihren Zenit noch gar nicht erreicht hatte. Doch wird etwas zu lange betrachtet, oder wiederholt sich gar, erlischt die Faszination, und der Wunsch nach etwas wiederum ganz anderem wird groß. So groß wie Micheles Fußstapfen vielleicht, die in diesem Moment fast unmöglich auszufüllen scheinen.