Gruppenschau in Bonn

Was kann junge Malerei heute?

Die Bonner Gruppenaustellung "Cherries on Top" soll das krönen, was bereits gut ist, und stellt dabei die Frage, welche Art von Malerei Menschen heute noch in physische Galerien lockt

Man fühlt sich auf frischer Tat ertappt, wenn man die Bonner Galerie Judith Andreae dieser Tage betritt. Ertappt, weil man sich womöglich eine Gummibären-Kirsche zu viel aus der silbernen Schale am Eingang stibitzt hat. Und weil man sich dabei vom Männlein im Busch beobachten lässt. Es hält ein Fernglas im Klammergriff und trägt sein Grinsen verkehrt herum auf der Stirn. Kippt man selbst den Kopf um 180 Grad, ähnelt das Wesen auf der Leinwand nun einem Ninja-Turtle. Die zynische Fratze weicht einem sanften Lächeln und die nächste Gummi-Kirsche kann unbesorgt in den Mund wandern.

Die Acrylleinwand "Stalker" von Max Weiss, die gegenüber dem Türeingang hoch oben über einem Treppenabsatz lauert, ist Teil der Gruppenaustellung "Cherries on Top". Das bedeutet so viel wie "die Kirschen auf der Torte". Ein Titel, an dem sich gut erahnen lässt, wie Aufmerksamkeitsökonomie heute in der Kunst zu funktionieren hat. Gefällige Bilder gibt es zuhauf. Es braucht nunmehr das gewisse Extra – das Topping.

Auf der Suche nach jener Krönung, hat sich Katja Andreae vorgenommen, Malerei ins rechte Licht zu rücken. Fündig geworden ist die Kuratorin dafür an den Kunsthochschulen und Kunstszenen in Düsseldorf, München, Hamburg, Leipzig, Frankfurt, Berlin und Weimar. Dabei fiel die Entscheidung auf 15 Positionen, die in der Ausstellung mal miteinander harmonieren, lieber aber mit Lust und Laune aneinander vorbeischrammen. Wie lässt sich sonst erklären, dass die vergoldeten Keramikhände von Ivana de Vivanco, die ein Gemälde erröteter Männer-Wangen zart umrahmen, mit Sebastian Maas' Ölmalerei "Wolfsjagd" im selben Raum koexistieren?

Maas lässt, angelehnt an die fast gleichnamige Arbeit von Barockkünstler Peter Paul Rubens ("Die Wolfsjagd"), Tiere und Menschen die Zähne fletschen und Schwerter schwingen. Und das auf Großformat in teils schroffen, teils frechen vektorartigen Flächen. Was würde wohl der alte Meister dazu sagen? Der eigene Blick flüchtet schnell wieder rüber zu Vivancos "Gold touch", und man fühlt sich jetzt eingeschüchtert und aufgehoben zugleich. "Reibung muss sein und gerade deshalb müssen die Arbeiten in einen Dialog treten", erklärt Katja Andreae. Und in der Tat provozieren ihre herausgepickten "Kirschen" jenen Dialog nicht nur untereinander.

So kommt man bei den Werken von Arno Beck, die Andreae im Erdgeschoss der Galerie verteilt hat, rasch ins Grübeln. Man hält die Kunst zunächst für alles andere als Malerei. String-Art vielleicht, also mit Nägeln aufgespannte Stricke, die beeindruckende Gitter-Formen bilden können. Dreidimensional dringen die Linien auch bei Beck aus der Fläche hervor und ergeben dann die Wörter "Off The Grid", "Soft Where?".

Tritt man näher heran, lassen sich die Wortspiele wie topografische Karten bis ins kleinste Detail verfolgen. Deutlich wird auch für fachunkundige Augen – hier ist nichts wirklich 3D, hier wurde sehr geschickt gemalt. Katja Andreae deckt den Entstehungsprozess auf: "Arno Beck zeichnet seine Kompositionen zunächst auf einem iPad vor. Wichtiger Bestandteil des Arbeitsprozesses ist dabei die Einbindung von Maschinen, in diesem Fall eine selbstgebaute, umprogrammierte CNC-Maschine."

Und tatsächlich: Dort wo eigentlich die Fräse sitzt, klemmt bei Beck ein Aquarellstift, der die digitale Zeichnung auf das Papier überträgt. Der Bewegungsablauf sei dabei vollkommen identisch mit der Linienführung auf dem iPad. So werde zum Beispiel auch das Zittern der Hand übertragen, erklärt Andreae und resümiert: "Das Ergebnis ist überraschend plastisch, wie ein zerknautschtes Kissen, in das man sich hineinwerfen möchte." Eine von Becks Arbeiten wird ab dem 04. Juni auch als Sonderedition in einer Auflage von 20 Stück über die Galerie online zum Verkauf stehen.

Neben Arno Beck fällt auch Elisa Breyer auf. Die junge Künstlerin hat ihre Berufung darin gefunden, Alltagsobjekte, mal mit Pastelltönen, mal mit Knallfarben zu beseelen. So zum Beispiel eine giftgrüne Wärmflasche, die als treue Freundin in der Menstruationszeit bis zur Hälfte in der blauen Jogginghose von Adidas verschwindet. Oder ein ebenso grüner, zerlatschter Kaugummi, der sich nicht von der abhebenden Schuhsohle verabschieden will. Die Fäden ziehen sich weiter und weiter. Hinter Breyers seriösem Handwerk verbirgt sich ein liebevoller wie ironisierter Blick auf Realität und Identität. Entdeckt hat Katja Andreae diese Perspektive über Instagram. Dort posiert Breyer, die unter anderem an der Bauhaus-Universität Weimar studiert hat, gern mit poppigen Outfits und Haarfarben vor ihren Werken.

Ein Augenzwinkern hier, eine Täuschung da, ein bisschen Härte und dazu noch ganz viel Zärtlichkeit. Die Werke bei "Cherries on Top" überraschen. Man kennt diese kleinen Dopamin-Kicks von Social-Media. Da, wo es ständig etwas zu entdecken gibt, das aufploppt. Immer noch ein neuer Layer, der sich hinter einem Swipe versteckt. Aber lässt sich Malerei auch auf diese Weise konsumieren?

"Man muss aus der breiten Masse etwas herausfischen, das gerade schon einen gewissen Zeitgeist trifft, der ja vor allem im Digitalen stattfindet", begründet das Katja Andreae. Es bedeute jedoch nicht, dass dieses Digitale automatisch Einfluss auf die Technik der Künstler und Künstlerinnen habe. Vielmehr gehe es ihr in der Ausstellung um die Kombination von Gesten, Perspektiven, den spielerischen Umgang mit Farben und die Irritation. "Man geht in diese Ausstellung und sieht etwas, das einem visuell oder atmosphärisch vertraut-, vielleicht sogar schon einmal begegnet ist, und sei es eben auf Instagram. Ich verstehe 'Cherries on Top' als subtiles Weiterdenken von dem, was uns umgibt."

Handwerk trifft Instagramability. Die Malerei biete aus Andreaes Sicht dafür das nötige Spielfeld. Es gehe primär aber um die Kommunikation der Arbeiten miteinander. Die Dichte, das Gedrängte spiegelt laut der Kuratorin zugleich das Tempo und die Gleichzeitigkeit digitaler Bildwelten wider. Mit dem Unterschied, dass das Medium der Malerei dem Visuellen eine Sinnhaftigkeit verleihe, die man im Netz nicht immer vorfinde. Denn, sind wir doch mal ehrlich, auch viele einzelne Dopamin-Kicks werden in der Summe irgendwann zum Einheitsbrei. Bei "Cherries on Top" ist dem nicht so. Im Gegenteil: Hier erwartet Digital Natives wie Social-Media-Verweigerinnen eine kurzweilige Ausstellung mit Tiefgang. Diese schmeckt - und das nicht nur wegen der Gummi-Kirschen am Eingang.