Der Künstler Andreas Greiner reise nicht mehr per Flugzeug, auch nicht für die Arbeit. Seit 2017 habe er sich nun streng an diesen Vorsatz gehalten. "Ich hatte genug davon, dass wir in der Kunst die Ideen nur repräsentieren, ohne sie selbst zu leben", sagte er bei einer Podiumsdiskussion am Freitag in Berlin. Auf dem Podium hat Greiner zugleich seinen Meister gefunden: Künstler Tino Sehgal, der 20 Jahre lang kein einziges Mal geflogen sei, der zu seiner Ausstellung in Japan mit dem Zug fuhr und zu der in New York mit dem Schiff, aber ohne viel Aufhebens von seiner Person zu machen – und lange bevor Flugreisen öffentlich in der Kritik standen.
Im Gespräch mit Greiner winkte der altgediente Umweltschützer Sehgal jetzt nur müde ab. Mittlerweile fliege er in Ausnahmefällen sogar wieder, und zwar dann in neuen Maschinen von ausgewählten Airlines, die vollgepackt mit Fracht und Passagieren seien. Auf die Weise sei das Fliegen am effizientesten. Sowieso habe alles, was man in der Rolle des "verrückten Künstlers" mache, wie damals seine große Zugreise nach Japan, noch niemanden ernsthaft zur Nachahmung inspiriert, sagte Sehgal. Das war ein früher Dämpfer für eine Veranstaltung, die sich eigentlich genau das zum Ziel gesetzt hatte: eine positive Einflussnahme im großen Stil.
Der Kunstbetrieb sei zwar nur für einen geringen Anteil der Klimaschäden direkt verantwortlich, könne aber einen immensen Fußabdruck in den Herzen und Köpfen der Menschen hinterlassen, hieß es zu Beginn vonseiten der Berliner Gallery Climate Coalition (GCC), die hier zu ihrem ersten öffentlichen Event eingeladen hatte. Seit April 2021 hat das Bündnis einen Ableger in Berlin (Mitglieder kommen zum Beispiel von den Galerien Sprüth Magers und Esther Schipper), neben Los Angeles und dem Original in London, wo 2020 das Konzept entstanden war. Alle Mitglieder wollen ihre CO2-Emissionen bis 2030 mindestens um die Hälfte senken, müssen dafür jedoch erst mithilfe eines von GCC zur Verfügung gestellten Rechners herausfinden, wie viel sie genau emittieren, und sind danach auf praktische Tipps und Tricks angewiesen. Außerdem wollen sie Abfall gänzlich vermeiden. Nachhaltiges Verpackungsmaterial für Kunstwerke konnte man sich am Ende des Events mit nach Hause nehmen.
Museen laufen nur einem Trend hinterher
Den nächsten Dämpfer bekam das Gespräch von der Künstlerin Luiza Prado De O. Martins verpasst. Wenn Museen und Galerien sich heute in Klimaschutz üben, wie Tino Sehgal es sich jahrzehntelang von ihnen gewünscht hätte, dann nur, weil sie einem Trend hinterherlaufen würden, sagte Martins. Es gebe keine aufrichtigen Motivationen auf institutioneller Seite. Diesen Vorwurf ausgerechnet auf einer Veranstaltung der Gallery Climate Coalition zu erheben, war ein wenig ironisch. Denn gegründet wurde GCC in London ja nicht etwa von Aktivisten, sondern von solch wuchtigen Branchengrößen wie Matthew Slotover, dem Unternehmer und Gründer der Frieze-Kunstmessen.
Umso besser, dass sich das Bündnis mit den drei Berliner Künstlern Greiner, Martins und Sehgal drei unabhängige Stimmen und deren geballte Unverfrorenheit aufs Podium holte. Vor allem Luiza Martins hatte keine Lust auf Schönwetter-Talk und übte lieber Ideologiekritik. Sie lehne es ab, dass in der Debatte im globalen Norden ständig über "Ressourcen" oder "Bestand" geredet werde – ganz so, als wäre der Planet Erde von vornherein nur auf seine häppchenweise Aufzehrung durch (weiße) Menschen ausgerichtet.
Zwei deutsche Vorzeigeprojekte mit Tücken
Zwei deutsche Vorzeigeprojekte aus dem Jahr 2020 wurden hier kritisch aufgearbeitet: die Ausstellungen "Down to Earth" im Berliner Gropius Bau und "Zero Waste" im Musem der bildenden Künste Leipzig. Beide hatten Nachhaltigkeit damals nicht nur künstlerisch thematisieren, sondern konsequent umsetzen wollen. Beide Ausstellungen hatten Einfluss auf die Debatte in Deutschland, stießen dabei aber an ihre Grenzen und verursachten Streit hinter den Kulissen.
Die Leipziger Kuratorinnen Hannah Beck-Mannagetta und Lena Fließbach wollten für "Zero Waste" eigentlich die Architektur voriger MdbK-Ausstellungen verwenden und ärgerten sich, als diese "wegen schlechter Kommunikation" vom Museum entsorgt worden sei. Den Plan, dass die nach Leipzig eingeflogenen indonesischen Künstler zumindest gleich eine Tour durch Europa machen könnten, habe derweil die Corona-Pandemie vereitelt.
Tino Sehgal scheiterte beim Gropius Bau mit seiner hartnäckigen Forderung, die Klimatisierung des Hauses einmal ganz abzuschalten, was die Statistiken des Gropius Baus ruiniert hätte und somit womöglich das Vertrauen der Sammler. Der Klimatisierung allein werden zwei Drittel des Energieverbrauchs der Museen zugerechnet.
Was wird aus Mona Lisa?
Eine schwierige Aufgabe hatte Kathrin Grotz vom Berliner Institut für Museumsforschung, die plötzlich stellvertretend für alle Museen dieser Welt sprechen musste. Immer wieder beteuerte Grotz, dass der Wille zur Veränderung in den Häusern grundsätzlich vorhanden sei (entgegen Martins' Behauptung), und dass der Ausstellungsbegriff dort nicht mehr ganz so altmodisch sei, wie Sehgal es darstellte (Objekte würden Subjekten im Museum stets frontal gegenübergestellt, beklagte Sehgal). Grotz appellierte an den gesunden Menschenverstand. "Niemand würde die Mona Lisa dem Verfall überlassen wollen", sagte sie mit Blick auf die energiefressende Klimatisierung. Da die Dimensionen globaler Ungleichheit nicht ein einziges Mal zur Sprache kamen, stieß der Satz über die Mona Lisa auf Unverständnis.
Im Innenhof, wo später die Cocktailbar aufgebaut war, holte eine Zuhörerin zu einer Wutrede über den Rassismus und Speziesismus in der Klimadebatte aus. Und sie behauptete freiheraus: "In Brasilien geben die Menschen doch einen Scheiß auf die Mona Lisa!"