Es gab viele Jahre lang in Frankfurt auf dem Grünstreifen Taunusanlage einen Standpunkt, der eine verlockende bildjournalistische Verdichtung ermöglichte. Mit einer Kameraeinstellung gelang es, die Heroinszene und die Doppeltürme der Deutschen Bank auf ein Bild zu bringen. Es wurde immer wieder publiziert, es gab für jede Erzählung etwas her, von sensationslüstern bis sozialkritisch. Vor allem außerhalb prägte es sich tief ein. Man sieht dieses Image immer noch in den erstaunten Blicken durchschimmern, wenn man äußert, dort zu leben – Frankfurt, Bankfurt, Krankfurt.
Das Image ist so hartnäckig, dass von außen kaum bemerkt wird, dass es nicht zutrifft. Und manche derjenigen, die es wissen, behalten es für sich. "Niemand weiß, wie gut es hier ist", sagt Yasmil Raymond, die Direktorin der Städelschule, ehemals New Yorkerin, heiter. Philipp Demandt erzählt: "Als das Angebot kam, die Nachfolge von Max Hollein zu übernehmen, habe ich sofort 'ja' gesagt." Er war damals Direktor der Alten Nationalgalerie in Berlin und bereute "nicht einen Tag", ans Städel Museum gegangen zu sein.
Susanne Pfeffer, Direktorin des MMK, sagt, sie habe noch in keiner anderen Stadt erlebt, dass Förderer und Sponsoren so offen und interessiert an ihren Themen seien. Die waren in diesem Jahr keineswegs gefällig, ihre Ausstellung "Crip Time" von und über Menschen mit Einschränkungen, zählte zum Herausforderndsten und Besten des Kunstjahres. Wahrscheinlich ist Frankfurt längst die interessantere Kunststadt. Nur dass sie unbeeindruckt von sich selbst ist.
Der Städelschule, weltweit für ihre Studierenden und Lehrenden geschätzt, wird hier unaufgeregt und diskret Geld und Aufmerksamkeit von Unternehmen und Privatmenschen zuteil. Anschließend an das Studium bietet das bundesweit einzigartige Konzept des Atelierhauses Basis Studiofläche und internationalen Austausch. Es gibt mehrere ausgezeichnete Off-Spaces aus dem Umfeld der beiden Kunsthochschulen und dem Studienfach Kuratieren und Kritik der Goethe-Universität.
Ein Kraftfeld der Kunst
Die Kunsthalle Schirn verankert mit ihren Schauen über die Surrealistinnen oder Paula Modersohn Becker ganz selbstverständlich feministische Aspekte in der Kunstgeschichte. Gerade wurde hier von der Kulturdezernentin Ina Hartwig ab Sommer ein neuer Leiter installiert, ein männlicher Kollege für das fast ausschließlich weibliche Team starker Kuratorinnen. Zusammen mit dem MMK und dem Frankfurter Kunstverein könnte hier ein Kraftfeld entstehen, das visionär und populär zugleich ist.
Verbindet man die drei Ausstellungsäuser zu einem imaginären Dreieck, liegt dazwischen eine wiederaufgebaute Altstadt, deren historienverliebte Idylle man geschichtsrevisionistisch nennen kann. Der Streit um die reaktionäre Stadtgestaltung war beispielhaft für die Reibung in Frankfurt, wo Raum knapp und teuer ist. Man setzt sich auseinander, es wird öffentlich gestritten, dabei selten so, dass man sich anschließend nicht mehr begegnen mag. Man sieht sich.
Wie legendär kurz die Wege sind, zeigte sich auch immer schon daran, dass die Kinder aus den höheren Villenlagen im Umland sich mit derselben Wahrscheinlichkeit in der Heroinszene in der Taunusanlage wiederfanden wie die Kinder aus den ärmeren, migrantisch geprägten Vierteln Positionen in den Bankentürmen einnahmen.
Das Harte und das Schützende auf engstem Raum
Genau an der Stelle, wo damals das eingängige Bild von Glanz und Elend, Drogen und Geld entstand, steht seit Sommer ein Kunstwerk von Cyprien Gaillard. Eine zylindrische Säule, zum Himmel hin offen, innen aus zartrosafarbenem Stein. Ein geschmiedeter Metallring an der Innentür ermöglicht, sie einhändig zu verschließen. Darin ist man plötzlich allein an einem unerwartet angenehmen Ort. Der "Frankfurter Schacht" lässt sich zu jeder Tageszeit für viele Bedürfnisse nutzen, die nach Privatheit verlangen.
Der Künstler war für diese Auftragsarbeit eingeladen worden vom MMK. Gaillard hatte Frankfurt intuitiv sofort begriffen. Das Harte und das zu Schützende, es findet alles auf engem Raum gleichzeitig statt. Es gibt nichts zu beschönigen. Aber den Populismus und den Voyeurismus, die das früher dominante Frankfurt-Bild in den 80er-Jahren so groß hatten werden lassen, weist sein Kunstwerk von sich und setzt Großzügigkeit dagegen. Ein Marmorbad für die Straße. "Fountain", das Urinoir von Marcel Duchamp, für das 21. Jahrhundert.
"Ich glaube nicht an Kunst, ich glaube an Künstler", hatte Marcel Duchamp gesagt, der große, rätselhafte Veränderer der Kunstgeschichte, an den sich seit mehr als 20 Jahren kein Ausstellungshaus mehr herangetraut hat. Eine Neubewertung seines komplexen Werks aus der Perspektive von heute steht bislang aus. Frankfurt glaubt mehr an Künstler als jede andere Stadt, ohne Gegenleistung. Im März widmet das MMK Frankfurt Marcel Duchamp eine große Ausstellung.