Einige Wochen bevor Frank Auerbach acht Jahre alt wurde, schickten ihn seine Eltern mit dem Kindertransport nach England. Es war ein Abschied für immer, denn man schrieb das Jahr 1939, und die Familie Auerbach aus Berlin war jüdisch. Franks Eltern - Verwandte von Marcel Reich-Ranicki - wurden in Auschwitz von den Nazis ermordet.
Aus ihm aber wurde ein Maler, der heute in England in einem Atemzug mit Francis Bacon (1909-1992) und Lucian Freud (1922-2011) genannt wird. Seine erste Retrospektive fand 1978 in der Hayward Gallery statt, 1986 wurde Auerbach bei der Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen für den britischen Pavillon ausgezeichnet. Am gestrigen Montag ist er im Alter von 93 Jahren in London gestorben - "friedlich zu Hause", wie seine Galerie Frankie Rossi Art Projects mitteilte.
In seinem Geburtsland Deutschland hielt sich die Anerkennung für seine Arbeit lange in Grenzen, zwischenzeitlich gab es fast 30 Jahre lang keine Einzelausstellung. 2015 füllte das Kunstmuseum Bonn diese Lücke und zeigte eine Retrospektive mit über 70 Werken. Ein Jahr später wurde Auerbach in der Tate Britain in London ausgestellt, 2018 war eine Doppelschau mit Lucian Freud unter dem Titel "Gesichter" im Städel in Frankfurt am Main zu sehen.
Bilder als Skulpturen
Auerbach galt als Workaholic, der sieben Tage die Woche von morgens bis abends in seinem Atelier in Camden Town anzutreffen war, das er bereits 1954 bezogen hatte. Angeblich hat er seit seinem achten Lebensjahr nur insgesamt vier Wochen außerhalb von Großbritannien verbracht - nach Deutschland ist er überhaupt nie mehr zurückgekehrt.
Auerbach malte immer wieder die gleichen Personen und Londoner Ansichten. Die Menschen saßen ihm teils jahrelang nach einem festen Zeitplan Modell, insgesamt hunderte Male. Und die Plätze und Ecken waren die, die er sah, wenn er aus der Tür trat. Es ging ihm letztlich nicht um das Dargestellte, sondern um das Malen an sich. Die Kunst dabei: "Er wiederholt die Motive, aber nie das Bild", sagte der Bonner Museumsdirektor Stephan Berg einmal über Auerbach.
Der Künstler malte ein Bild in wenigen Stunden, doch dann begann erst der eigentliche Schaffensprozess: Die Farbe wurde so dick aufgetragen, dass manche Werke wie Skulpturen wirken - oder auch brutal wieder abgekratzt. Dieses Bearbeiten konnte Monate oder sogar Jahre dauern.
Erinnerungen teilen mit Lucian Freud
Die Ergebnisse lassen sich in einem Katalog nicht wiedergeben, man muss um sie herumgehen, sie von Nahem und aus der Distanz betrachten. Dann entdeckt man plötzlich, wie viele unterschiedliche Rot- und Gelbtöne in einem zunächst schwarz erscheinenden Gemälde wie "To the Studios" stecken. Ein Bild von Auerbach, so heißt es, hält auch nach Jahren noch Überraschungen bereit.
Der Porträtist Lucian Freud - ebenfalls ein gebürtiger Berliner - verehrte Auerbach gerade deshalb. In seinem Wohnzimmer, in der Küche, im Flur - überall hingen Bilder von ihm. Die Künstler waren eng befreundet. Mitunter tauschten sie gemeinsame Prägungen aus, zum Beispiel durch deutsche Kinderbücher.
Nun wird man die beiden Maler vielleicht auch gemeinsam in Erinnerung behalten. Geoffrey Parton, Direktor der Galerie Frankie Rossi, drückt seine Wertschätzung für Auerbach so aus: "Seine Stimme wird noch für Generationen nachhallen."