Fashion Week in Paris

Wenn dem Zirkus die Tricks ausgehen

Die Pariser Fashion Week offenbarte erneut ein drängendes Problem der Modewelt. Entweder sind die Entwürfe mehr Hype als Design oder erschreckend profan. Zum Glück kann man sich auf Labels wie Loewe verlassen

Ein übermenschlich großer, schwarzer Fellball auf Plateau-Stiefeln verliert die Orientierung und taumelt ins gut gekleidete Publikum. Diese Szene ereignete sich bei der Modenschau von Christian Cowan, der außerdem auch ein Model als Discokugel über den Laufsteg schickte. Ein kurzer Wow-Effekt, der schnell vergessen ist.

Wenige Tage vorher hatte Harris Reed für Nina Ricci den vermutlich banalsten Look der ganzen Modewoche präsentiert: eine schwarze Anzugweste und eine schwarze Hose, kein Styling, kein nichts, das diese Kombination zu etwas Neuem und Zeigenswerten verwandelt hätte. "Ich schätze Schlichtheit, aber es gibt eine Unterscheidung zwischen Minimalismus (bei dem es mehr Qualität und Ausführung geht) und einfach fantasieloser Kleidung", beschrieb es der Modejournalist Shelton Griffith auf der Plattform X, ehemals Twitter.


Und der Unterschied ist ein gewichtiger. Mary-Kate und Ashley Olsen etwa haben den luxuriösen Minimalismus zu The Rows Markenzeichen gemacht. Man verzehrt sich nach den puren, teuren Teilen in ihren klassischen, doch neu interpretierten Formen. Courrèges unter Nicolas Di Felice hingegen schwankt zwischen Banalität und moderner Schlichtheit. Während einige Teile den Zeitgeist treffen, werden andere zu wenig weiterentwickelt, verharren in ihrem Status des Herrenhemds oder T-Shirts. Und das grenzt an Einfallslosigkeit.

Die letzte Show bei der Modewoche in Mailand hatte die schwedische Marke Avavav unter der Kreativdirektorin Beate Karlsson gezeigt. Eine die Meinungen spaltende Parade an unfertigen, sich im Prozess befindenden Looks hechtete unter dem Titel "No Time to Design, No Time to Explain" über den Laufsteg. Als eine Kritik an die Modewelt gerichtet, prangerte die Kollektion den kaum einzuhaltenden Kalender der Modewochen an.

Die Models zogen sich im Laufen an, "Add Back?" war als eine Designer-Notiz an sich selbst auf ein T-Shirt gedruckt. Kleider wurden durch unzählige Sicherheitsnadeln zusammengehalten. Ein Anzug komplett aus gelben Post-its und ein Kleid aus Panzertape machten die Not, die Eile der Designer, zu kreieren, plastisch. Nicht genug Zeit für Kreativität. Diese dramatische Darbietung glich mehr einer Showeinlage als einer Modenschau. Intensiv, humorvoll, unterhaltsam, aber kaum tragbar, wenige neue Formen, keine exquisiten Details.


Es scheint, als pendele die kürzlich gezeigte Mode oft zwischen zwei Extremen. Entweder gleicht sie Kostümen und die Modenschau einer Performance, in der die Kleidung in den Hintergrund tritt. Oder die Mode kommt einem so repetitiv und nichtssagend vor, dass man sich fragt, wieso sie überhaupt existieren muss.

Manchmal, im schlimmsten Fall, tritt auch beides gleichzeitig ein, wie etwa bei den Pariser Schauen im letzten Herbst. Nachdem Coperni eine relativ charakterlose, Influencer befriedigende Kollektion präsentiert hatte, kam es zu einem viralen Show-Moment. Supermodel Bella Hadid wurde mit einer weißen Tinktur eingesprüht, die sich wie ein Netz um ihren Körper legte und letztlich zu einem Kleid gezupft wurde. Da kommt man nicht umhin sich zu fragen: Sollte dieses blendende Element über eine (unter)durchschnittliche Kollektion hinweg helfen?

Ähnlich sieht es bei Harris Reed für Nina Ricci aus. Der mit seinen ausgefallenen Red Carpet Looks bekannt gewordene Designer scheint in dem französischen Modehaus und seiner neuen Rolle noch nicht angekommen zu sein. Deutlich wird das durch wild zusammengewürfelte Looks, in denen der Kollektionsgedanke wenn überhaupt an immer größer werdenden Schleifen zu erahnen ist. Knallbonbon- Kleider aus pinkem Glitzer können mehr als Übersprungshandlung denn als wohldurchdachtes Design verstanden werden. Dazwischen dann der traurige Westen-Look. "Da ist ein Mangel an Richtung und Originalität, der dadurch kompensiert wird, dass alles immer größer wird", kommentierte @chaoswintour auf X.

Das Beste und Überraschendse herausholen

Modezirkus wird zu wörtlich genommen, Kreativität ersetzt durch das Verlangen nach Hype, Mode durch wie auf die Schnelle entstandene Kostüme. Kollektionen fehlt es an dem einen wichtigen roten Faden, der Geschichte, die sie erzählen sollen. Sie scheinen unfertig, entstanden, weil sie müssen, nicht, weil das Gehirn eines Modedesigners vor Ideen übersprudelte. Das Absurde steht dem Profanen gegenüber - und beides möchte man nicht tragen.

 "Paris ist eine absolute Hungersnot gewesen. Sicherlich können wir alle herumreisen, um den sich selbst erfrischenden Zyklus eines Schuhs oder einer Tasche und einige lustige Details zu sehen, aber es gibt nichts Bemerkenswertes, das wir in unsere zukünftigen modischen Absichten umsetzen können, weil all diese Ideen bereits vorhanden sind", fasste die Modekritikerin Alexandra Hildreth ihr Erlebnis der Pariser Modewoche zusammen.

Daneben das Bild einer mehrere Saisons alten Bluse, die genau so kurz zuvor über Courrèges Laufsteg spaziert war. Man kann der Mode nicht vorwerfen, sich zu wiederholen. Es entspricht ihrer Natur, sich nach einer bestimmten Zeitspanne regelmäßig an Vergangenem zu orientieren. Der Kreative Kopf einer Marke steht dann in der Verantwortung, diese Strömung dem Zeitgeist und vor allem seiner Kreativität entsprechend zu lenken. Das Beste und Überraschendste aus dem herauszuholen, was es schon gibt und so zu etwas zu machen, was es noch nie gab. Und da stockt es oft.

Schönheit, Witz, Absurdität und ein intimer, persönlicher Touch

Doch es gibt die Riege Designer, auf die man sich fast immer verlassen und einigen kann. Nicht, weil ihre Kleidung leichte Kost wäre, im Gegenteil: Sie schaffen es, aus dem Gewöhnlichen etwas Ungewöhnliches zu formen. Etwas, das Assoziationen hervorruft, zum Nachdenken anregt. Es sind die Designer, deren Kleidung man versteht, weil sie in ihrer Simplizität komplex, vielschichtig und gut recherchiert ist.

Dies zeigt sich an richtigen und wichtigen Details und einem sichtbaren, aber nicht ins Gesicht springenden Konzept. Einer spürbaren Stimmigkeit. Phoebe Philo, die am 30. Oktober ihre erste Kollektion unter eigenem Label präsentieren wird, gehört dazu. Demna Gvasalia für Balenciaga, Matthieu Blazy für Bottega Veneta, Dries van Noten und Louise Trotter für Carven auch.

Ihre Kleidung löst Emotionen aus. Verlangt ein gewisses Understatement. Schwankt zwischen unfassbarer Schönheit, Witz, Absurdität und oft einem intimen, persönlichen Touch. Genannte Designer zitieren starke Referenzen, ohne zu kopieren, entwickeln ihr eigene, progressive Version. Gvasalias Frühling/Sommer-2024-Kollektion lobte das "i-D-Magazin" als "extraordinary everyday clothes" - außergewöhnliche Alltagskleidung. Das ist es, was fasziniert: klassische Details und Formen mit großem Wiedererkennungswert, weitergedacht in eine ganz neue Silhouette. Ein nie endendes Spiel, das einige meisterhaft spielen.

Etwas Subversives, aber sehr zivilisiert

Der Ire Jonathan Anderson etwa. Als Loewes Creative Director überzeugt er seit Jahren, und so auch dieses Mal in Paris. "Vogue Runway" schrieb: "Jonathan Anderson hat soeben das Rätsel gelöst, dem Mode dieser Tage gegenübersteht: Wie gibst du einer Frau einen spannenden Silhouettenwechsel und eine neue Art, Kleider zu tragen - während du gleichzeitig 'normale' Kleidung machst?"

Alltagsbekleidung ist die Antwort, simpel, aber mit einem Twist, wie Anderson es beschreibt. "Wie drehst du etwas so, dass man sagt 'Oh, ja – ich erkenne das Oxford-Shirt und das weiße Paar Jeans', aber dann ist es auf seltsame Weise anders. Es hat etwas Subversives an sich, ist aber sehr zivilisiert."

In der Kollektion fanden sich bis knapp unter die Brust reichende Cordhosen, ein brauner Blazer mit Handwärm-Taschen auf Brusthöhe und Kokon-artige, armlose Grobstrick-Cardigans. Letztere wirkten nicht wie verlorene Raupen, und die hohen Hosen nicht wie vom Clown geklaut. Vielmehr glichen beide einer Albernheit, die man ernst nimmt, weil sie so brillant übersetzt und exakt ausgeführt wurde. Und in der richtigen Balance zum restlichen Outfit steht. Sexy wird ausgeglichen mit Großeltern-Schuhen, Weites mit Nacktem, Niedliches mit Strengem. Keine Übertreibung, keine Langeweile, genial.

Selbstironie als Schlüssel

Oft bedient sich Anderson an comichaften und surrealistischen Elementen, besonders in seinen Kollektionen seit der Pandemie. Der Hoodie im Pixel-Look bleibt unvergessen, ebenso die Luftballon-Kleider und die Anthurium-Tops. Er schaffte es sogar, einen metallenen Mantel zu entwerfen, der nicht an einen Mittelaltermarkt erinnerte.

Selten driftet der Designer so weit ab, dass man nicht mehr wüsste, wie oder wo man seine Kleidung tragen sollte. Laut "Tagwalk" waren die meistgeklickten Loewe-Looks diese Saison neben der braunen Cordhose ein Top aus metallenen Strass-Blumen zu einer weiten Navy-blauen Jeans und ein khakigrüner Wildledermantel, dessen eine Seite sich zu einer Tote-Bag hochgeschlagen hatte, die das Model über der Schulter trug.

Andersons Mode macht Spaß, berührt. Sie gleicht einem Balanceakt, in dem feinste Nuancen über Erfolg oder Ablehnung eines Looks entscheiden. Und gerade bei der zuletzt gezeigten Kollektion in Paris ist Selbstironie ist ein Schlüsselwort. In der sollten auch wir uns üben, bevor wir im nächsten Frühjahr als eleganter, armberaubter Schmetterlingskokon durch die Straßen flattern.