Debatte
Von ihrer Erfahrung in der Jury des renommierten Literaturpreises des Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) berichten die Autorinnen Ronya Othmann und Juliane Liebert (nicht ohne Polemik) in der "Zeit". Dabei greifen sie auch den HKW-Intendanten Bonaventure Ndikung und sein Team an. Zwar ziehen sie die literarische Qualität des Siegerwerks von 2023, Mohamed Mbougar Sarrs "Die geheimste Erinnerung der Menschen", übersetzt von Holger Fock und Sabine Müller, nicht in Zweifel; in der Diskussion der Jury sei es aber oft nicht um Qualität, sondern um Identitätsmerkmale und Politik gegangen. So sei ein Werk zwischenzeitlich von der Shortlist geflogen, weil die Autorin "eine weiße Französin" gewesen sei. Aus ihrem Erlebnis ziehen Othmann und Liebermann eine recht generalisierende Schlussfolgerung: "Nach außen Entscheidungen 'ohne Bevorzugung oder Vorurteile in Bezug auf Verleger*in, Herausgeber*in, Autor*in, Übersetzer*in, Nationalität, ethnische Zugehörigkeit sowie politische und religiöse Ansichten' zu behaupten, intern rigoros nach Hautfarbe und Herkunft zu sortieren, der eigenen Jury gegenüber intransparent zu sein, um Drama zu vermeiden, und jene, die Einwände hatten, hinterher auszusortieren – so eine Praxis wie in unserem Falle ist verhängnisvoll. Sie bedroht neben Literatur und Kultur letztlich auch die politische Moral." Inzwischen hat das HKW eine Stellungnahme zu dem Text verschickt und die Darstellung zurückgewiesen. Darin heißt es: "Weder das HKW noch die anderen Jurymitglieder wurden im Vorfeld des Beitrages um eine Stellungnahme und Prüfung der Fakten sowie der wörtlichen Aussagen gebeten, damit wurde die journalistische Sorgfaltspflicht nicht eingehalten. Die gebotene Diskretion, die notwendige Grundlage unabhängiger Juryarbeit ist, wurde nicht gewahrt. Wir stehen hinter dem Auswahlverfahren für den Internationalen Literaturpreis 2023 und insbesondere zur Unabhängigkeit der Jury und ihrer Arbeit, die mit den Vorwürfen angegriffen wird."
Schauspieler Kevin Spacey hat sich nach Aufkommen der Vorwürfe wegen sexuellen Fehlverhaltens gegen ihn vorschnell verurteilt gefühlt. In einem Interview der britischen Zeitung "Telegraph" wurde er gefragt, ob er den Eindruck habe, dass die Vorwürfe vor dem Hintergrund der MeToo-Bewegung aufgeblasen worden seien. "Ich denke, es wurde auf jeden Fall schnell geurteilt", antwortete Spacey. Unternehmen wie Netflix hätten sich damals von ihm getrennt, bevor sie auch nur eine Frage gestellt hätten. "Alles, was ich jemals wollte, war, dass Leute Fragen stellen und nachforschen", sagte der Schauspieler. "Und mir ist wohl bewusst, dass das nicht passiert ist." In dem etwa 45-minütigen Gespräch sagte Spacey, wenn man Medien und soziale Plattformen wie Twitter außer Acht lasse, habe er von Menschen viel Freundlichkeit erlebt. Mehrere Männer hatten Spacey ("House of Cards", "American Beauty") unangemessenes Verhalten vorgeworfen. In einem Prozess in London wurde er vergangenes Jahr freigesprochen. Die Anklage hatte das Bild eines Mannes gezeichnet, der seine Macht ausnutzt, um Männer sexuell zu belästigen. Spacey hatte die Vorwürfe bestritten, beziehungsweise gesagt, es habe sich um einvernehmlichen Sex gehandelt. Er akzeptiere vollkommen, dass er sich manchmal schlecht verhalten habe, sagte Spacey dem "Telegraph". Er habe sich manchmal in Situationen befunden, etwa am Set, in denen er zum Beispiel Witze gemacht habe, was damals üblicher gewesen sei. Später habe er in Gesprächen verstanden, dass manche sich davon herabgesetzt und veralbert gefühlt hätten. "Das war furchtbar zu hören", sagte Spacey. Das sei nie seine Absicht gewesen. Diese Gespräche seien wichtig gewesen, weil er sein Verhalten dann mit seinem Therapeuten habe besprechen könne, sagte Spacey in dem Videointerview, in dem ihm zeitweise die Tränen kamen und er auch Vorwürfe aus einer neuen Dokumentation des Senders Channel4 zurückwies. "Ich arbeite jeden Tag daran, ein besserer Mensch zu werden", sagte der US-Amerikaner. Im "Telegraph" sprachen sich Kollegen wie Sharon Stone und Liam Neeson für seine Rückkehr auf die Leinwand aus.
Kunst und Zensur
Als ein "Divertimento mit plötzlichen Pausen und Schlagzeugstößen" bezeichnet Kerstin Holm in der "FAZ" den derzeitigen russischen Kunstbetrieb. So gebe es weiterhin beeindruckende Ausstellung, aber viele Museen zeigten hauptsächlich regimetreue Kunst und jedes Projekt müsse ein mehrstufiges Kontrollverfahren durchlaufen. "Putins Pressesprecher Dmitri Peskow hat erklärt, die derzeitige Kriegssituation mache eine gewisse Form von Zensur notwendig, wenngleich die russische Verfassung Zensur verbietet. Seit dem Sommer 2022 ist das russische Kulturministerium verpflichtet, in den ihm unterstellten Museen Ausstellungen zu verhindern, die der von Putin abgesegneten Strategie der nationalen Sicherheit widersprechen. Das entsprechende Dokument, das die Moskauer Kunsthistorikerin Xenia Korobejnikowa auf ihrem Telegram-Kanal 'Ku-ku' veröffentlicht hat, verlangt eher nebulös den Schutz traditioneller moralischer Werte und Geschichtsnarrative – gemeint sind ein autoritäres Staatsverständnis, patriarchale Familienstrukturen mit einer klaren Absage an sexuelle Minderheiten sowie die Loyalität der Völker Russlands zu der vom Kreml deklarierten Siegesmission im Zweiten Weltkrieg und jetzt in der Ukraine."
Interview
In einem langen Interview mit Claire Beermann im "Zeit Magazin" spricht die britische Künstlerin Tracey Emin offen über ihre lebensbedrohliche Krebserkrankung, ihren neuen Drang zum Malen und das Gefühl, trotz ihres langjährigen Erfolgs Zeit vergeudet zu haben: "Ich habe während meiner Krankheit mein Haus und mein Studio in London verkauft, ich habe ein anderes Haus in London gekauft und mich hier in Margate niedergelassen. Das ist eine ganze Menge, wenn man Krebs hat. Ich habe mir damals vorgenommen, mein Leben komplett zu ändern, selbst wenn ich kurz darauf sterben sollte. Ich wollte auf keinen Fall mehr so leben wie in den 20 Jahren davor. Diese Erkenntnis hatte ich schon, bevor ich die Diagnose bekam. Dieser Plan, mein Leben zu ändern, hat mich auch am Leben gehalten. Er gab mir etwas, worauf ich mich freuen konnte. Obendrein war ich frisch verliebt. Das gab mir das Gefühl, gewollt zu werden."
Ausstellung
Ein bisschen mulmig wird Autor Rüdiger Schaper in der Ausstellung "The End of Aging" in Basel, im Haus der Kulturstiftung H. Geiger. Dort werden künstlerische und wissenschaftliche Positionen vereint, die den menschlichen Verfall und das Sterben aufhalten wollen. Im "Tagesspiegel" schreibt Schaper: "Man fühlt sich in dieser Ausstellung wie bei einem philosophischen Gesundheitscheck. Geht die Entwicklung in ein Land von Zombies? Wer will sich endlos durch die eigenen Fantasiereiche schleppen? Ist es nicht irgendwann genug? Schließlich gibt es in der Schweiz Organisation, die einen würdigen Weg aus dem Leben ermöglichen. Das ist hier nicht das Thema. Aber natürlich schwingt all das mit, wenn 'The End of Aging' untersucht wird."