Vor einigen Wochen fand man im Zuge der Sanierung der Dreikönigskirche in Frankfurt in der Glocke dieses außergewöhnlich spitzen, hohen Turmes eine Zeitkapsel. Seit 1880 waren dort Dinge für zukünftige Erdenbewohner versteckt, darunter eine abgefüllte Flüssigkeit – ob Mainwasser oder Apfelwein, war nicht genau festzustellen.
Menschen wollen sich immer schon in Erinnerung rufen, sich einweben in den großen Zeitteppich. Die Kultur der Igbo in Nigeria hält die Tradition des Webens als gemeinsamen Geschichtsfaden wach, in Verbindung mit gemeinsamen Gesängen. Jetzt liegen eigens hierfür angefertigte Webarbeiten der Igbo über den Emporen der Dreikönigskirche und schmücken sie feierlich. Akwétè heißen diese Tücher, die der Künstler Emeka Ogboh hat weben lassen. Üblicherweise folgen sie einer traditionellen Ikonografie, die Geschichten werden in Symbolen festgehalten. Nur wer die Sprache der Igbo kennt, kann sie entschlüsseln. Das gemeinsame Weben und Singen ist auch zugleich das Weiterreichen der Geschichten an die jüngeren Mitglieder. Die Tücher, die Emeka Ogboh in Auftrag gegeben hat, enthalten Symbole für "Protest", "Lockdown", "Ausbruch", "Impfung", "Hoffnung".
Die Farben, Grasgrün, Orange und Aubergine, sind gut wiedererkennbar, sie finden sich auch auf Plakaten, Wimpeln und Fahnen im Stadtbild. Einige erinnern an die Beflaggung zum Kirchentag, und das ist nicht unabsichtlich so. "Die Kunst befasst sich mit existenziellen Fragen, da schließen wir an", sagt Friederike von Bünau von der EKHN-Stiftung, einer eigenständigen Kulturstiftung der evangelischen Kirche, die Auftraggeberin für dieses große Werk ist. Im Zentrum steht ein Lied, eine Hymne, die Ogboh für diese Stadt, für diese Zeit komponieren und texten ließ. Am Eröffnungsabend wurde sie live von einem Chor vorgetragen auf dem Eisernen Steg, einer Brücke, die auch schon in den düster dräuenden Vorkriegsgemälden des Wahlfrankfurters Max Beckmann eine Rolle gespielt hat. Die Dinge kommen, die Dinge gehen.
Eine Liste von Schlüsselbegriffen aus den Medien
"This Too Shall Pass" – Auch dies wird vorübergehen, so lautet der Refrain des eingängigen Chorliedes. Ogboh hatte für das Texten der Strophen, die er in Nigeria in Auftrag gab, eine Liste von Schlüsselbegriffen aus den Medien der vergangenen Zeit aufgelistet. Der Text ist eine Collage aus lauter Worten, die die Nachrichten geprägt hatten, von Brexit über Zoom bis zur Impfung. Als gelesener Text wirkt es fragmentarisch und experimentell, aber als vielstimmig vorgetragener Chor hat das Glissando aus Harmonien und Worten eine Wirkung außerhalb des rein Rationalen, ein Wiedererkennen auf einer anderen Ebene.
Es geht eher um das Verstandensein als um das Verstehen. "We met a season of anonymy unplanned. The name, double twenty, a special brand. Corona the virus came to our space. Uncanny tension to human race." George Floyd, Donald Trump, all das kommt vor, und so neu vorgetragen, kann man es auch wieder hören. "This Too Shall Pass" ist eine ungewöhnliche Markierung des Augenblicks in der Geschichte. Ogboh hat eine eigene, nicht nur an den Verstand, aber auch nicht nur auf die Gefühle zielende Form dafür gefunden. "This too shall pass, like those before. Fear and doubts may be for sure With hope alive, our great anchor, Life will return true to the core."
"Auch die guten Dinge gehen vorüber"
Der inzwischen in Berlin lebende Künstler hatte in der letzten Zeit viele Auftragsarbeiten. Diese hier war durch die Pandemie relativ kompliziert. Er konnte nicht nach Nigeria reisen, wo ein Chor den einen Teil der Hymne eingesungen hatte – jeder für sich, genau wie in Frankfurt auch. Auch die Weberinnen, die sich mit den neuartigen Symbolen für die Frankfurter Akwétè anfangs etwas schwertaten, waren dort. Er mag Frankfurt. "Es ist relaxed hier", sagt er.
Sein zweites Standbein ist Lagos in Nigeria, die Stadt am Main kommt ihm fast fast lächerlich ruhig vor. Am Eröffnungsabend legt er selbst Musik auf, aber nur bis 22 Uhr, Nachtruhe, Anwohner! Das Lied aber wird eine Weile in der Luft bleiben. Es ertönt auf einem kleinen Platz neben dem Rathaus Römer, wenn man vorbeigeht, es wird in der Dreikönigskirche aufgeführt, und auch immer wieder mal auf dem Main auf einem Boot. Das Begleitprogramm mit Walks, Talks und Abendveranstaltungen soll diesen Sommer über das Gespräch wachhalten mit dieser Botschaft, die gar nicht nur froh ist, wie Ogboh selbst sagt, in seiner unvergleichlich entspannten und zugleich konzentrierten Art. "Es sind ja nicht nur die schlimmen Dinge, die vorübergehen. Sondern auch die guten."