Designerin Ellen Hodakova Larsson

Daraus lässt sich was machen

War das mal ein Korb? Die schwedische Designerin Ellen Hodakova Larsson schafft aus Textilresten und Alltagsobjekten so eigenwillige wie nachhaltige Kollektionen. Von dieser Kreativität und Arbeitsweise ist nicht nur Gucci begeistert

Würde es nach Ellen Hodakova Larsson gehen, würde alle Welt diesen Sommer Kleider aus aneinander genähten Büstenhaltern, Gürteln und Hosenbündchen tragen. Röcke aus zusammengeknöpften Hosen, Kleider, deren Rock sich aus einem Blazer formt. Und vor allem einer Ritterrüstung ähnliche Gewänder aus tausenden silbernen Kugelschreibern, feinsäuberlich nebeneinander angeordnet. 

Larsson gehört zu einer neuen Riege Designer, die sich dem Upcycling widmen, es nicht nur als Option sehen, sondern es perfektionieren, tragbar machen oder in Haute Couture verwandeln. Existierende Gegenstände zu neuer Kleidung formen und mit dem arbeiten, was es schon längst gibt, anstatt neue Materialien herzustellen: Das könnte ein Weg sein, sich dem stets verschlimmernden Status quo der ressourcenfressenden Modewelt entgegenzustellen. 

Von gebrauchter Kleidung wird lediglich ein Prozent in neue Teile umgewandelt. In Europa kauft jede Person im Durchschnitt jährlich fast 26 Kilogramm Textilien. Etwa elf Kilogramm davon landen im Müll. Gebrauchtes wird oft in Nicht-EU-Länder exportiert, allerdings wird der Großteil (87 Prozent) entweder verbrannt oder auf Deponien entsorgt. Da liefe es für ein Kleidungsstück doch besser, wenn es von Ellen Hodakova Larsson entdeckt und neu interpretiert würde. 

Das erste vollends nachhaltige Modehaus

Die schwedische Designerin hat eine Mission: Das erste vollends nachhaltige Modehaus der Welt erschaffen und dadurch das mindset der Masse verändern. Durch die Einschränkungen, die sie sich selbst setzt, stachelt sie ihre eigene Kreativität an, wie sie sagt. Die Arbeit mit ausrangierten Materialien zwingt sie dazu, sich auf Qualität, Potenzial und Handwerkskunst zu konzentrieren. Wie viele Vintage-Liebhaber und Second-Hand-Fans ist auch Larsson davon überzeugt, dass man eine gänzlich andere und intensivere Beziehung zu Kleidung aufbaut, wenn sie schon ein Leben gelebt hat. "Ich glaube, dass wir uns mit einem Stück auf einer tieferen Ebene verbinden, wenn es eine Geschichte hat und Schönheit und sentimentalen Wert besitzt."

Hodakova Larsson gründete ihr Label Hodakova 2021 in Stockholm. Gerade ihre letzte Modenschau, die sie während der Pariser Fashion Week zeigte, sorgte für Aufsehen und die Vergrößerung ihrer Fan-Gemeinde. In ihrer dort präsentierten Herbst-Winter-2024 Kollektion zelebrierte sie die Erinnerung an ihr Aufwachsen – auf Hodakova-Art. Die Aktentaschen ihres Vaters wurde zu einem braunen Lederkleid, über einem weißen Hemd mit Krawatte getragen. Alte Pelzmützen fanden sich als streichelbarer Tutu-Rock über einer weißen Strumpfhose wieder. Gestepptes Leder zitierte die Chesterfield-Sofas, zwischen denen Larsson groß wurde. 

Dekonstruktion gehört genauso zu ihrem Repertoire wie gewitzte Wiederverwertung, und so wurde das klassische weiße Herrenhemd zu einem Minikleid, auf links gedrehte Blazer mutierten zu schimmernden Satin-Kleidern und karierte Schiebermützen zu einem eleganten Oberteil. Silberne Tabletts formte sie zu einem Tube-Top, genauso wie schwarze Lederstiefel. 


Die Designerin umgeht krasse Farben und widmet sich eher neutralen Schattierungen, sodass ihre Entwürfe zeitlos und vielseitig einsetzbar bleiben sollen. Es gleicht einem Ratespiel, die einzelnen Gegenstände in den Kollektionen auszumachen und auf ihre originalen Aufgaben zurückzuführen. War das mal ein Korb? Ein Zaun? Ein Weinfass? 

Die Schwierigkeit beim Upcycling ist, die Kleidung nicht zu sehr nach Bastelprojekt aussehen zu lassen. Entweder transformiert man die bestehenden Materialien so umfassend, dass nur noch Bruchteile zu erkennen sind. Oder man überlässt ihnen das Feld und erschafft ein künstlerisches, geistreiches Endprodukt mit einer völlig neuen Funktion, wie etwa Hodakovas Löffelkleid. Hauptsache, die Intention des Designers ist ersichtlich und nichts wirkt absichtslos. Doch ist das noch Modedesign oder schon die Arbeit eines Erfinders, eines Innovators?

Hodakova Larsson sieht sich selbst wohl als Letzteres. Sie erklärt den Produktionsprozess in ihrem Studio eher wie das Arbeiten an einem dreidimensionalen Puzzle, wenn sie aussortierten Gegenständen in einer neuen Form wieder Leben einhaucht. Und nicht nur ihr Ansatz im Design, auch ihre Geschäftseinstellung wirkt innovativ. "Man darf nicht zu sehr an den Erfolg denken. Denk lieber darüber nach, wie deine Werte dein Ziel formen", sagte sie ShowStudio.

Nicht immer mehr Neues aus Neuem

Dieser Ansatz ist es letztlich, der zu einem wahren Wandel in der Mode führen könnte. Denn egal, wie viel Prozent nachhaltige Baumwolle in T-Shirts verwebt oder Turnschuhe aus Ozeanplastik hergestellt werden, solange es um ein ständiges Wachstum geht, kann sich unser Planet vom Klamotten-Überschuss nicht erholen. 

Laut Larsson geht es hierbei nicht um das Tempo der Modewelt an sich. Die Herausforderung mitzuhalten findet sie spannend. Vielmehr gelte es, die eigene Kreativität so einzusetzen, dass nicht immer mehr Neues aus Neuem hergestellt wird, sondern Neues aus Altem. Denkt man darüber nach, klingt es ganz logisch: Wie viel mehr Fantasie und Können braucht man, um aus etwa einem Überschuss an Gürteln ein tragbares und wertvolles Kleid herzustellen, als aus einem neu produzierten Seidenstoff? Eine Menge. Und Hodakova hat beides.

Das hat auch Gucci bemerkt und sie neben weiteren Upcycling-Genies, wie etwa Collina Strada, zu seiner Nachhaltigkeits-Initiative "Gucci Continuum" eingeladen. Hier sollten Stoffbestände und archivierte Materialien des Hauses von Designern in zukünftigen Projekte eingebunden werden, "um Abfall zu reduzieren und die Kreislaufwirtschaft durch die positive Beziehung zwischen Kreativität und bewusster Produktion zu fördern", so das Unternehmen

Neues Leben für verstoßene Gucci-Gürtel

Ganz nach dem Motto "One man's trash is another man's treasure" verarbeitete Hodakova die verstoßenen Gucci-Gürtel zu ihren legendären Lederröcken weiter. Sie gehört außerdem zu den acht Finalisten des diesjährigen LVMH-Preises, als erste schwedische Designerin überhaupt. Der Gewinner oder die Gewinnerin wird am 10. September in der Pariser Fondation Louis Vuitton von der Jury ernannt. Ob sie gewinnt oder nicht, ist für Larsson gar nicht das Wichtigste, wie sie sagt. Sondern eher, dass ihre Arbeit gesehen wird und ein Austausch stattfindet.

"Wenn die Menschen meine Arbeit und den Gedanken dahinter schätzen und anerkennen, beginnen sie zu erkennen, dass es nicht nur um Kleidung geht, sondern auch um Transformation. Die Reaktion, die dadurch hervorgerufen wird, ist Neugierde. Das ist mein Hauptziel und der Grund, warum ich die Marke gegründet habe", sagt Hodakova Larsson. Und selbst, wenn nicht jeder sich für einen Tag im Büro in den passenden Kugelschreiber-Rock werfen mag, ist es genau der Aspekt der Transformation, der Ellen Hodakova Larssons Arbeit herausstechen lässt. Denken wir außerhalb der Box und in klirrenden Kostümen, aufklappbaren Kleidern und statischen Tubetops.