Slow Fashion

"Nachhaltigkeit sollte das neue Normal sein"

Mit ihrer Plattform "Slow Exposure" will die Journalistin Eliza Edwards über Nachhaltigkeit in der Mode aufklären. Ein Gespräch über Fast Fashion als Droge, Rückschritt als Fortschritt und die Frage, ob es bewussten Konsum wirklich geben kann 


Eliza Edwards, wann und warum wurde nachhaltige Mode ein so wichtiges Thema für Sie?

Als ich nach Berlin kam, habe ich in der Mode-PR gearbeitet, aber langsam gemerkt, dass ich da nicht so richtig reinpasse. Ich betrachte Dinge kritisch und frage nach und möchte etwas nicht anpreisen, wenn ich nicht weiß, ob ich wirklich dahinterstehen kann. Für einige Modemarken habe ich beispielsweise feministische Kampagnen entwickelt, aber schnell erfahren, dass in deren Nähstätten insbesondere Frauen als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden, da machte es nicht mehr viel Sinn, von Feminismus zu sprechen. Von diesem ganzen System, in dem ausbeuterische Strukturen geschützt und nicht aufgedeckt werden, wollte ich nicht länger ein Teil sein.

Wo arbeitet man in der Mode-Industrie, um diesem System auszuweichen?

Ich habe für Sardin gearbeitet, das war damals eine nachhaltige Pre-Order-E-Commerce-Plattform. Dort habe ich als Redakteurin vor allem geschrieben und Kampagnen geplant, dazu habe ich viel zu nachhaltigen Marken und alternativen Modellen recherchiert. Dadurch habe ich gesehen, was auf dem Gebiet nachhaltiger Mode möglich ist. Ich habe großartige Designer entdeckt, deren Kleider ich ästhetisch sehr ansprechend fand, ganz fern dieser typischen Öko-Mode, mit der man oft konfrontiert wird, wenn es um umweltfreundliche Kleidung geht.

Seit zwei Jahren führen Sie diese Arbeit auf "Slow Exposure" weiter. Was ist der Kern der Plattform?

Ich wollte all den spannenden Marken, die ich immer wieder entdecke, einen eigenen Raum geben und habe begonnen, Texte über meine Neuentdeckungen zu schreiben. Denn die sind innovativ, kreativ, machen aus Stoffresten die schönsten, zusammengesetzten Oberteile. Ich lege den Fokus besonders auf Brands, die mit Upcycling oder Recycling arbeiten: Was kann man mit dem machen, was schon da ist? Mit den Materialien, die es schon gibt, ohne neue zu produzieren? Mein Ziel ist es, durch das Vorstellen alternativer Marken mit neuen Produktionsmodellen zum Denken anzuregen, zum bewussten Konsum. Ich will gar nicht, dass alle Lesenden bei diesen Brands ihre gesamte Kleidung kaufen, das geht finanziell für die meisten nicht. Aber ich wünsche mir, das jemand einen Artikel von mir liest und das nächste mal bei Zara vorbei läuft, anstatt hinein zu gehen. Das ist mir das liebste Feedback.

Können Sie ein paar Lieblingsentdeckungen nennen?

Bettter ist einer meiner Favoriten. Julie Pelipas, die Mode Direktorin der Ukrainischen "Vogue", hat diese Upcycling-Marke herausgebracht, jedes Stück ist Second Hand oder Vintage, herausgesucht aus der großen Vintage-Szene der Ukraine.


Dead White Men’s Clothes, kurz DWMC, ist eine Plattform, ein Kunstprodukt und eine Modemarke. Sie stellen ökofreundliche Produkte her, verkaufen umgearbeitete Second-Hand-Kleidung und Zines.


Kerne Milk ist ein Upcycling-Label aus Kopenhagen. Die Kollektionen werden in Editionen gelauncht und nicht in Kollektionen oder Saisons. So soll der Kleidung eine längere Lebensdauer im Kleiderschrank der Kaufenden garantiert werden, da sie nicht an Relevanz verliert. Hergestellt werden die Kleider aus deadstock-Material.

 

Wo finden Sie spannende, aber nischige Unternehmen? Gibt es ein Netzwerk, das nachhaltiger Mode gewidmet ist?

Meistens schreibe ich über wirklich sehr kleine Marken, die vielleicht aus nur einer Person bestehen, die eine gute Idee hatte und begann sie umzusetzen. Das sind Unternehmen, die ich unterstützen möchte und dafür recherchiere ich viel online oder auf Instagram. Ich suche in dem Magazin "1Granary," in dem die Future-Designer der wichtigsten Mode-Unis vorgestellt werden und bin außerdem mit den Mitarbeitern der Plattform "Café Forgot" in Kontakt. Ich wünschte mir aber, dass diese Foren öffentlicher werden und jeder mal hinein gerät, nicht nur die bubble, die schon "aufgeklärt" ist.

 

"The Slow Exposure Podcast", in Zusammenarbeit mit Vestiaire Collective, ist ein weiteres Medium, mit dessen Hilfe Bewusstsein für das Thema nachhaltige Mode geschafft werden soll. Wo liegt da der Schwerpunkt?

In dem Podcast stelle ich meinen Gästen Fragen, die ich mir entweder selbst immer wieder stelle, oder die meine Community mir öfter zugeschickt hat. Wir diskutieren darüber, warum Nachhaltigkeit einen höheren Preis verlangt, verabschieden Stereotype, die immer wieder im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit in der Mode auftreten und besprechen, wie man der Verführung konstanten Konsums widerstehen kann, denn das ist gar nicht so leicht. Unter den Gästen sind Orsola de Castro, Gründerin der Plattform "Fashion Revolution" und Erica Toogood von "House Of Toogood", einem bekannten Möbel-, Design,- und Modehaus aus London. Ich denke, durch den Podcast können sich alle, die es interessiert, mit der oft exklusiven Welt der Mode und auch der nachhaltigen Mode, auseinander setzen. Es ist ein sehr demokratisches Medium.

Was müsste in der Modeindustrie passieren, damit Sie Ihr Ziel als erreicht ansehen?

Ich würde mich gerne, in sagen wir mal fünf Jahren, nur noch Modejournalistin nennen können, ohne, dass Nachhaltigkeit noch erwähnt werden müsste, da es ohnehin das Grundkonzept der Mode geworden wäre. Nachhaltigkeit das neue Normal werden lassen, das ist das Ziel. Aber es scheint so fern. Ich lese gerade ein sehr interessantes Buch von Dana Thomas, "Fashionopolis: The Price of Fast Fashion and the Future of Clothes". Durch die Statistiken darin bekomme ich "Eco Anxiety": Durchschnittlich trägt eine Person ein Kleidungsstück sieben mal, bis es im Müll landet, das ist unglaublich. Das ganze System in dem sich die Mode bewegt und das ein rein kapitalistisches ist, müsste sich ändern, und das bereitet mir Sorgen.

Das Problem ist, dass das Modesystem uns an jeder Ecke "kauft, kauft, kauft!“ zuruft?

Unser aktuelles Konsumverhalten besteht daraus, ständig neues zu kaufen, quasi unreguliert. Kleidung wird extrem schnell und billig produziert, wir kaufen sie, tragen sie, sind nach kürzester Zeit nicht mehr befriedigt und lechzen nach etwas Neuem, das uns wieder besser fühlen lässt. Es ist wie eine Art Droge, die extrem einfach zu bekommen ist. Fast Fashion Brands bringen bis zu 24 Kollektionen im Jahr heraus, die Kleidungsstücke kosten kaum etwas, werden also schnell mitgenommen und dann sind wir nicht lange glücklich damit, weil es kein hochwertiges Produkt ist.

Oft sind Mäntel aus Vintage-Geschäften die schon 40 Jahre alt sind, besser erhalten, als ein Mantel heute, der fünf Jahre alt ist, das klingt nicht richtig.

Das Problem dahinter ist, dass Kleidung extra so hergestellt wird, dass wir sie nur für eine sehr kurze Zeit hält und wir sie schön finden. Die Qualität ist schlecht, das Design nicht durchdacht, die Passform stimmt nicht. So suchen wir bald wieder nach etwas Anderem. Die Wertschätzung des Materials ist über die Jahre verloren gegangen, Kleidung ist nur noch ein Gebrauchsgegenstand, nichts mehr, das man pflegt und schätzt.

Wie können wir eine langlebigere, gesündere Einstellung zu Kleidung wieder erlangen?

Dafür ist die emotionale Verbindung zwischen Käufer und Kleidungsstück essentiell. Oft entsteht die, wenn man die Geschichte eines Stückes kennen lernt und es von guter Qualität ist, es so zu einem Lieblingsstück wird. Und das passiert nicht, wenn ich mir etwas für 30 Euro online bestelle, das dann von einem anderen Kontinent verschifft wird. Das passiert, wenn mir eine Frau auf dem Flohmarkt erzählt, wo sie vor 40 Jahren diese eine Bluse bekommen hat. Wenn man emotional an ein Kleidungsstück gebunden ist, behandelt man es komplett anders. 

Müssen wir also, auf die Modeinsdustrie bezogen, in die Zeit zurückkehren, aus der unsere gut erhaltenen Vintage-Stücke stammen, also etwa in die 1970er-, 80er-Jahre?

Das wäre die Lösung. Rückschritt ist Fortschritt, in diesem Fall. Damals wurde ein Mantel gefertigt, um so lange wie möglich zu halten, er wurde vererbt, über Generationen. Wir sollten in diese Zeit zurückkehren, was Produktion und Menge angeht, und das Innovative von heute mit nehmen: Upcycling, Recycling, alternative Materialen, das Verleihen von Kleidung, so könnten wir ein gesundes System aufbauen.

Damals gab es, anders als heute, viele kleine Geschäfte, die alle auf unterschiedliche Bereiche der Mode spezialisiert waren. Sollten wir uns auch an diesem Modell wieder orientieren?

Es wäre gesünder, wenn es wie früher verschiedene Experten für unterschiedliche Größen und Kleidungsstücke gäbe. Ein Geschäft für Anzüge, eines für Strickwaren, daneben eine Näherei, die Kleidung repariert, denn auch das passiert nicht mehr oft genug. Heute gibt es alles bei einem Riesen-Anbieter, und das ist es, was der Konsument erwartet. Wir sind faul geworden und die großen Firmen, die heute den Markt bestimmen, wollen diesen Status Quo natürlich erhalten. Sie sind mächtig und spielen so gut in diesen kranken Strukturen mit, dass es für neue Unternehmen fast unmöglich ist, dazwischen irgendwie zu wachsen und sichtbar zu werden.

Auch Plattformen wie Instagram und TikTok spielen eine große Rolle bei der ständig rotierenden Garderobe ...  

Ja, das Problem ist vielschichtig und eine Schicht ist definitiv Instagram. Die App kann nur durch die Werbung überleben, die über sie vertrieben wird - und diese Werbung funktioniert, weil wir uns in diesem konsumabhängigen System befinden. So lange das so ist, werden tausende von Influencerinnen und Influencern Videos und Bilder von Fast-Fashion-Kleidung posten, und die wird von ihren Followern nachgekauft, die auf neue Kaufvorschläge warten wie hungrige Tiere. Oder auch diese TikTok-Videos, die sind ganz schlimm. Eine Person schlüpft innerhalb von wenigen Sekunden in zehn verschiedene Outfits, die sie vielleicht sogar nur für dieses eine Video gekauft hat und nächste Woche wegschmeißen wird. Das hat absolut nichts Individuelles mehr.

Reicht es denn zu sagen "Kauft einfach das Richtige!"? Oder muss nicht eine radikale Reduktion des Konsums her, die sich nicht so interessant vermarkten lassen würde?

Wenn man sich mal überlegt, dass ich mich vor eine weiße Wand stelle und sage: "Kauft nichts!“ Und dann stellt sich jemand anderes vor die gleiche Wand mit 100 verschiedenen Looks - was ist interessanter? Das ist das Problem. Ich finde das Konzept des Leihens sehr interessant, bei dem man für ein paar Tage oder Wochen ein neues Kleidungsstück besitzt und dann wieder abgibt. Letztlich aber muss man beides verbinden, die Menschen sollten das Richtige kaufen und dann so lange Freude daran haben, dass sie gar nicht den Drang verspüren, wieder etwas Neues zu besitzen. Das geht Hand in Hand.

Wie kann dieser Glücksmoment durch ein neues Kleidungsstück länger bewahrt werden, so dass man der Spirale des Kaufens leichter entweicht?

Man sollte das Potenzial der Kleidung wieder voll auszuschöpfen wissen. Der Reiz sollte darin liegen, mit dem Wenigen und Guten, das man besitzt, so viele Varianten wie möglich zu erfinden. Das ist doch das Kreative, das Interessante! Nicht immer wieder neue Total-Looks von Zara. Es ist so viel befriedigender, macht so viel glücklicher wenn man weniger Ballast mit sich schleppt und nur wenige gute Stücke besitzt. Ich hoffe, dass dieses Shifting bald in viel mehr Köpfen passiert.

Wie kann man dieses Umdenken vorantreiben?

Was mir am wichtigsten ist, ist meine Leserinnen und Leser nicht zu deprimieren, sondern zu interessieren. Ich will niemanden ermahnen, sondern lege den Schwerpunkt auf die positive Nachricht: Es gibt Alternativen! Ich merke, dass, wenn ich meine eigenen Outfits zeige, über meine persönlichen Erfahrungen berichte, Flohmarktschätze und interessante Upcycling-Mode präsentiere, Menschen darauf positiv reagieren. Ich zeige, dass mit kleinem Budget und ohne ästhetische Kompromisse machen zu müssen, gutes Anziehen funktioniert, und hoffe, dass sich bei den Lesenden eine Offenheit für diesen neuen Konsum einstellt.

Bei nachhaltiger Mode folgt oft die Assoziation von sackartigen Hanfhemden, das macht sie für viele weniger attraktiv ... 

Es gibt tatsächlich viele Marken, deren Kleidung quasi schreit: "Ich bin nachhaltig produziert worden!", und gerade das will man ja nicht. Damit die Menschen sich für fair produzierte, nachhaltige Mode interessieren, müssen wir zeigen, dass diese sogar noch besser als die Standard-High-Street Mode aussehen kann, denn nur so kann sie zu einer ernstzunehmenden Alternative werden. Ich finde es ein Problem, nachhaltige Marken zu pushen, die man selbst nie tragen würde, denn dann bleibt es für immer ein belächeltes Nischenprodukt.

Wer sich mit nachhaltiger Mode beschäftigt, lernt schnell über das zirkuläre System. Kleidung endet nicht in der Endstation Müll, sondern befindet sich von ihrer Produktion an in einem Kreislauf. die Ressource wird so lang und effektiv wie möglich genutzt.

Ich glaube an dieses System. Richtig bildlich wird es durch dieses Beispiel: Man nimmt eine Box, legt seinen Bio-Abfall hinein und dazu Kompostwürmer. Diese verarbeiten den Kompost zu Erde, auf der man Pflanzen anlegen kann, die man wiederum essen kann. Die Reste des Angepflanzten bilden wieder den Kompost. So entsteht ein Kreislauf und so sollten wir auch in der Mode denken. H&M und Zara könnten in dieser Struktur nicht überleben, ihr Firmenkonzept wäre ausgehebelt. Ich weiß nicht, ob es jemals dazu kommen wird, es wäre aber der Traum. Dann müssten wir aber auch für die Menschen, die in dem jetzigen System arbeiten, einen Platz finden. Es ist ein komplexes Problem, und ich bin froh, dass ich es nicht lösen muss. Aber es muss gelöst werden.

Wenn Sie sich so intensiv mit den Problemen der Modeindustrie beschäftigen, liegt da nicht der Gedanke nahe, die Mode ganz hinter sich zu lassen?

Ich kann verstehen, wenn Leute der Modeindustrie den Rücken kehren, ich will da auch manchmal raus. Es ist alles zu festgefahren und zu dominiert von großen Firmen, die man unmöglich zum Umdenken bewegen kann. Das ist deprimierend. Aber gleichzeitig gibt mir das Energie. Ich will dann noch mehr bewirken, egal, wie klein meine Stimme auch sein mag.