Eine pastellfarbene Fantasiearchitektur empfängt einen im Obergeschoss des Mumok: In einem hellblauen, rosa und zitronenfaltergelben Bonbon-Environment hängen die A4-formatigen Collagen der Künstlerin Elisabeth Wild – fein austarierte, ebenfalls sehr farbige Papierarbeiten. 365 Werke, die stellvertretend für die Tatsache stehen, dass Wild bis ins hohe Alter jeden Tag eine Collage produziert hat, deren Material sie aus Hochglanzzeitschriften ausschnitt. Die Collagen erinnern teils an Interieurs oder an moderne Architekturen, lassen manchmal Naturausschnitte erkennen und haben oft auch einfach eine poppige Note.
Um die Arbeiten zu verstehen, hilft es, die wechselvolle Biografie Wilds zu kennen: 1922 in Wien in eine jüdische Familie geboren, floh sie 1938 vor den Nazis nach Argentinien, wo sie Kunst studierte und als Textildesignerin arbeitete. Zusammen mit ihrem Mann emigrierte sie 1962 zurück nach Europa, diesmal nach Basel, und führte 30 Jahre lang ein Antiquitätengeschäft. Schließlich zog sie 1996 zu ihrer Tochter, der Malerin Vivian Suter, auf eine ehemalige Kaffeeplantage in Guatemala, wo sie bis zu ihrem Tod 2020 lebte.
Vivian Suter war als junge Künstlerin in der Schweiz bereits sehr erfolgreich gewesen – beide zusammen wieder in den Kunstbetrieb einzuführen war die Idee von Adam Szymczyk, der ihnen auf der Documenta 14 einen großen Auftritt verschaffte.
Das Mumok zeigt nun nicht nur die erste große Retrospektive von Wild allein, sondern es ist gleichzeitig auch die letzte noch von ihr selbst autorisierte Werkzusammenstellung. In einem zweiten Teil, in dem das Frühwerk im Mittelpunkt steht, erleben wir eine völlig andere Künstlerin. In reizvoller Rauminstallation dicht gehängt in einem Nachbau des tropischen Wohnhauses aus Karton, begegnen uns frühe figurative Malereien, Zeichnungen und Textilentwürfe.
Hier liegt auch der Schlüssel für das abstrakte Spätwerk. Die untergründige Raffinesse und die eigenwillige Hermetik der flächigen Arbeiten verweben die verschiedenen Phasen, die in ihrer Tiefe die Unergründlichkeit eines Lebens in der unfreiwilligen Emigration zu spiegeln scheinen.